logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   
Facebook Literaturhaus Wien Instagram Literaturhaus Wien

FÖRDERGEBER

Bundeskanzleramt

Wien Kultur

PARTNER/INNEN

Netzwerk Literaturhaeuser

mitSprache

arte Kulturpartner

traduki

Incentives

Bindewerk

kopfgrafik mitte

Leseprobe: Karl-Markus Gauß - "Die fröhlichen Untergeher von Roana."

"Aber", setzte Gabriel fort, "die Assyrer bilden in Indien nicht nur eine einzige große Gruppe, sondern auch viele Untergrüppchen. Und Sie würden sich vermutlich besonders für jene in Indien lebenden Assyrer interessieren, die erst in den letzten hundert Jahren aus Russland dorthin ausgewandert sind! Die haben ihre ganz eigene, eigenartige Kultur, synkretistisch aus Orientalischem, Russischem, Indischem gebildet." "Denken Sie nur, wenn in der Rateshow gefragt wird: Orientalische Russen in Indien? Dann wissen Sie als einzgier die Antwort: Assyrer." Auf dem Schreibtisch von Gabriel, dessen Familie zu den Ersten gehörte, die in den sechziger Jahren aus dem Libanon nach Schweden gekommen waren, lag ein Buch von nachgerade würfelhafter Form. "Das ist sein Leben", sagte Augin, "24 Zentimeter lang, 30 Zentimeter breit, 14 Zentimeter hoch, fünf Kilo Papier." Auf dem Buch stand "Svensk-assyrisk ordobok"; nach dreißigjähriger Arbeit hatte Gabriel Afram vor wenigen Wochen sein schwedisch-assyrisches Wörterbuch veröffentlicht, das Einzige, das es gab. Ich schaute mir den Lexikographen an, einen gewitzten Mann mit Brille, einer scharf gezogenen, zur Unterlippe hin sich überwölbenden Nase, hellem Haar, den Zügen des Intellektuellen und dem Schalk des Heranwachsenden. "Man muss aber wissen", sagte Augin, "dass die assyrische Sprache eine sehr einfache und es darum kein großes Kunststück ist, ihr Wörterbuch und ihre Grammatik zu schreiben. Noch leichter ist höchstens Neugriechisch." Ich hielt das für einen der Witze, mit denen sie sich unablässig neckten, doch Gabriel mochte der Einschätzung seines Freundes durchaus zuzustimmen und setzte fort, dass der Erfinder der assyrischen Sprache ein Mathematiker gewesen sein müsse, so logisch, in sich schlüssig und klar strukturiert sei das Assyrische, das eben darum auch leicht zu erlernen sei. Vor ein paar Jahren hatte Gabriel ein Büchlein mit erotischen Gedichten veröffentlicht. Das war ein großer Spaß gewesen, sagte er – "vor allem für uns", warf Augin ein –, aber gar nicht so leicht, denn die assyrische Schriftliteratur war über die Jahrhunderte liturgisch und theologisch bestimmt gewesen. Natürlich hätten die Leute im Alltag nicht gesprochen wie in der Kirche, sondern über einen alltagstauglichen Wortschatz verfügt, zu dem auch Worte für sexuelle Dinge gehörten, aber das war eben eine gesprochene, nicht die geschriebene Sprache. Das Innovative an Gabriels Dichtkunst bestand also schon darin, Wörtern, die in verschiedenen Dialekten seit Jahrhunderten, nein Jahrtausenden gesprochen wurden, erstmals eine schriftliche Form gegeben zu haben. "Das war das Schönste", sagte er, "die eigene Sprache geschrieben zu sehen! Worte zu sehen, die man bisher nur gehört hatte!" Sogar die kirchlichen Würdenträger waren entzückt, erinnerte sich Augin, und der Verfasser der freizügigen Gedichte wurde von ihnen nicht getadelt; insgeheim meldete sich bei ihm mancher syrisch-orthodoxe Bischof, nicht um ihm mit Fegefeuer oder Ausschluss aus der Gemeinschaft zu drohen, sondern um ihm zu danken und um ein paar Exemplare zu bitten und so dem Diözesansekretär die Peinlichkeit zu ersprachen, in einer Buchhandlung nachfragen zu müssen.
(S. 61f)

© 2009 Paul Zsolnay Verlag, Wien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Link zur Druckansicht
Veranstaltungen
Sehr geehrte Veranstaltungsbesucher
/innen!

Wir wünschen Ihnen einen schönen und erholsamen Sommer und freuen uns, wenn wir Sie im September...

Ausstellung

Tipp
OUT NOW: flugschrift Nr. 35 von Bettina Landl

Die aktuelle flugschrift Nr. 35 konstruiert : beschreibt : reflektiert : entdeckt den Raum [der...

INCENTIVES - AUSTRIAN LITERATURE IN TRANSLATION

Neue Buchtipps zu Ljuba Arnautovic, Eva Schörkhuber und Daniel Wisser auf Deutsch, Englisch,...