Der Dichter Joachim Veitel fuhr einmal im Monat in die Nachbarstadt. Was er am Ziel der zehnminütigen Fahrt tat, hatte mit seiner Ehe nichts zu tun. Im Gegenteil. Joachim liebte seine Frau Maria und ihre gemeinsamen Söhne Tobias und Horst. Er konnte sich nicht einmal vorstellen, mit der Frau aus der Nachbarstadt zusammenzuleben. So wie er sich nicht vorstellen konnte, vom Schreiben seiner Gedichte leben zu wollen. Ein solches Leben hätte einen Zwang enthalten, der nach Veitels Ansicht das Gedichteschreiben behindert und zuletzt wohl unterdrückt hätte.
Zwischen Joachim und dieser Frau war von Anfang an alles klar: Große Gefühle, doch von Scheidung war nie die Rede. Sie trafen einander selten im Freien oder außerhalb des Hauses, in dem die Frau mit ihrem Mann lebte, und er war jedes Mal überrascht von dem, was geschah, auch wenn er wußte, was geschehen würde, nachdem er einmal im Monat bei ihr eintrat und sie die Haustür hinter ihm versperrte. Manchmal, wenn sie mit ihren Vorbereitungen auf seinen Besuch nicht fertig geworden war, begrüßte sie ihn frisch geduscht und trug dabei nur ihren schwarz glänzenden Kimono obwohl ausgemacht war über die Filme von Francois Truffaut oder endlich einmal über die Gedichte Rainer Maria Rilkes zu sprechen, drehte sie den Schlüssel im Haustor und sein Herz begann schneller zu schlagen. Auf dem Weg ins Schlafzimmer trat sie in ihr Büro und rief unter irgendeinem Vorwand ihren Mann und die Kinder an, um sicher zu sein. Die Spannung zwischen ihm und der Frau löste sich erst in ihren Umarmungen und dem, was danach kam. Das hatte mit dem Rest seines Lebens so wenig zu tun, daß Joachim alles vergaß, wenn er dieses Haus in der Nachbarstadt betrat. Sogar sein Sohn Tobias existierte in dieser Zeit nicht. Der Vater stand oft an den Rändern der Spielfelder, auf denen sein Sohn Handball spielte, wobei er sich ausmalte, wie sich der sportliche Erfolg in dessen Leben auswirken würde.
Joachim und die Frau lachten viel, wenn sie miteinander nackt im Bett lagen, auch darüber, daß sie in sieben Monaten Großmutter sein würde. Sie redeten oft über ihren Alltag, erzählten einander von den Kindern und Freunden der Familien, ihren zur Feier des 58sten Geburtstages ihres Mannes gekochten Spezialitäten, der Party zum 40iger seiner Frau und oft taten sie ein zweites Mal, wozu er gekommen war. Auf dem Heimweg lächelte er bei der Vorstellung, wie sie aus diesem Bett stieg, sich anzog und aus dem Schlafzimmer hinüber in die Küche an den Herd ging, um ihrem Mann das Abendessen zu machen, der ihren Händen und ihren Lippen nicht ansehen würde, was sie noch vor zwei Stunden angegriffen und im Mund gehabt hatte.
(S. 9-14)
© 2010 Picus Verlag, Wien