Sprecher: Jürgen Uter
Regie: Sabine Hildebrandt. Joszi Sorokowski
5 CDs
Spielzeit 55:11, 62:10 72:55, 68:56, 63:04. ISBN 978-3-8337-2647-7
Hamburg: GoyaLIT, 2010
Das Rezept des Romans ist echt Köhlmeier: Ein Erzähler, er heißt Sebastian Lukasser und ist Köhlmeier-Lesern kein Unbekannter, bekommt etwas erzählt, das er uns weitererzählt. "Madalyn" ist eine Pubertätsgeschichte rund um die erste große Liebe zwischen der ein klein wenig wohlstandsverwahrlosten Madalyn und dem aus zwielichtigeren Verhältnissen kommenden Moritz, der sich von einem (Lügen)Streich zum anderen schwindelt. Der Erzähler ist Madalyn einst als Nachbar zufällig bei einem Unfall beigestanden, und die Herangewachsene schätzt ihn, weil er immer ehrlich reagiere. Das würde man als Hörer/Leser nicht unterschreiben, sein Interesse an Madalyn scheint nicht ganz frei von Untertönen; dass er fortwährend ihren eigenwilligen Namen - der auch Moritz bezaubert - aussprechen will, fällt ihm sogar selbst auf. Für den Sprecher der Hörversion, den 1951 in Stuttgart geborenen Jürgen Uter, Ensemblemitglied am Schauspielhaus Hamburg, birgt der Name seine Tücken, denn er kann sich nicht so recht entscheiden zwischen Mádalyn oder Madalýn, bei Moooriz wiederum wollen sich österreichische Ohren an das lange o nicht gewöhnen
"Woher ich das alles weiß?" fragt der Erzähler im Roman immer wieder, Madalyn habe es ihm erzählt. Doch ganz so hat sie es ihm wohl nicht erzählt; über einiges wie die beschriebene Handyphonitis, Kleiderfragen oder die latenten Essstörungen scheint sich ein pädagogischer Impetus gelegt zu haben, und mit den wiedergegebenen Dialogen der Jugendlichen spielt Köhlmeier vielleicht ein wenig zu hoch. Uters verhaltener Umgang mit Variationen in der Tonhöhe und stärkererem Einsatz von Tempowechseln in den Dialogen ist wohl die beste Möglichkeit der Umsetzung.
Sehr fein gelingt Köhlmeier im Roman die Darstellung der Implikationen juveniler Lügengespinste, die potentiell außer Kontrolle geraten können, samt den verborgenen Verbindungslinien zwischen Lügengeschichten und Erzählen insgesamt. Die einzige redaktionelle Beigabe am kargen Mini-Booklet ist ein Satz auf der Rückseite, der sozusagen das thematische Primat der pubertären Liebesverwickung bekräftigt: "Die erste Liebe bleibt unvergesslich."
Prinzipiell gehört Mut dazu, einen Roman Michael Köhlmeiers zu lesen, wenn man nicht Michael Köhlmeier heißt. Zumindest hierzulande hört man in den Sätzen fast automatisch die überwiegend als einschmeichelnd empfundene Stimme des viel rezitierenden Autors mit. Zwar hat der akustische Köhlmeier-Overkill im heimischen Radiosender Ö1 etwas nachgelassen, über viele Jahre aber war er mit seinen Mythen-Nacherzählungen in endlosen Fortsetzungen omnipräsent. Wer Stimme und Intonation des Autors immer schon als hart am Rande des Schmalzigen empfand, für den könnte eine gediegen deutsche Stimme eine gute Alternative darstellen. Jürgen Uter gelingt das auch weitgehend, trotz einer streckenweise etwas übertemporierten Modulation, aber das mag durchaus auch Geschmackssache sein.
Keine Geschmackfrage ist es hingegen, dass das Hamburger Label GoyaLIT den gesamten Roman ohne jeden Strich einspielen hat lassen; das ist ein Verdienst, das weder auf dem Cover noch auf dem "Beipackzettel" erwähnt wird, und dabei ist das absolut keine Selbstverständlichkeit. Die Gestaltung des Hörbuchs macht es auch leicht, Buch und Hörversion parallel zu verfolgen, denn die 34 Tracks entsprechen den Kapiteln des Romans und tragen als Titel den ersten Satz bzw. Satzanfang des jeweiligen Abschnitts.
Muss man keine Besprechung eines Hörbuchs schreiben, mag es absurd anmuten, mit dem Buch in der Hand lesend die Stimme im Ohr zu begleiten. Doch das ist eigentlich ein durchaus empfehlenswertes Verfahren, denn dabei ergeben sich überraschend häufig unerwartete Entdeckungen im Text, sprachlich wie inhaltlich. Dass der Erzähler für Madalyn einen Kaffee "brüht", fällt erst in der deutschen Aussprache aus dem österreichischen Text heraus. Klaus Modick hat einmal die Frage aufgeworfen, weshalb in den Romanen nie jemand die Schuhe ausziehen muss, wenn er eine fremde Wohnung betritt, was man im wirklichen Leben doch fast immer tun muss, und niemand erspart einem die anschließende Hauspatschenpeinlichkeit. Nun ist er sozusagen da, der Roman mit der vergessenen Szene: Madalyn muss es beim Erzähler tun, ein halber Nebensatz den man möglicherweise rascher überliest als überhört. Vielleicht ist das Hörbuch als Mittel für Textinterpretationen noch zu wenig entdeckt. In der Verschneidung von Lesen und Zuhören entsteht eine gesteigerte Aufmerksamkeit: Man könnte ja, für sich lesend, immer schon weiter sein, wird von Kunstpausen und Rallentando-Passagen ständig ausgebremst, da beginnt man vieles zu lesen und zu hören, was bei stiller Lektüre vielleicht nicht aufgefallen wäre. Eine textgetreue und unprätentiöse Wiedergabe wie hier durch Jürgen Uter unterstützt diesen Effekt.
Evelyne Polt-Heinzl
20. September 2010
Originalbeitrag
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