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Leseprobe: Michael Donhauser - "Vom Sehen."

Flugsamen

"195. Würden alle Farben weisslich, so würde das Bild mehr und mehr an Tiefe verlieren."
Ludwig Wittgenstein: Bemerkungen über die Farben

Mailuft, Zusammensetzung von Mai und Luft und Bewegung und Wärme und Schatten zu Fahrtwind, Maifahrtwind, Zugluft durch diesen, den Eilzug der Ungarischen Staatsbahnen, der offenen Zugfenster, dass die Landschaft als Sonnenwärme, morgensonnengewärmt, mailichtgelindert durch die Waggongänge und in die Abteile zieht und gegen die Abteilwände schlägt und in die Vorhänge, die Maiabteilvorhänge, und in die Fahrgastgesichter, dass sie stumm bleiben und zwinkern im Wind, dem Staub der Windblütler, dem Industrieblütenstaub, Überlandstrassenstaub, dem Rapsblütenduft, dem Robinienblütenduft, dem warmen, in Wellen, Robinienduftwellen: ich habe meine Handgelenke auf die Zugfensterkante gelegt, und die Metalleiste der Fensterkante ist reingeschmiert gewesen mit einem schmutzigen Wischlappen und russverklebt und luftgetrocknet und sonnenwarm, eine erinnerte Hand, ein berührter Arm, und die Dinge sind die Dinge gewesen und mitziehend, für eine Weile, je eine Weile in sich eröffnend namens Stromverteilerkasten und Einstellschuppen und Fensterlosigkeit und Ziegelblösse und Hallengestänge und Steppengelände, Lichteinbruch und Wiesenwogen, und die Intervalle sind so nicht die Abstände gewesen zwischen den Dingen, die Dinge selber sind die Intervalle gewesen, jetzt hier, dann dort, dann hier oder anhaltend, ein anhaltendes Intervall habe ich den Zaun genannt, wenn er sich dem Bahndammfuss entlang gezogen hat mit seinem Zaunschatten, mit seiner Stelle, wo er gegen den Damm her geknickt gewesen ist und niedergetreten, während ein Löwenzahn hart an einer Abstellgleisschiene seine weissen Samenköpfe über das Schienenrostrotbraun gehoben hat: und der Samen hat sich gelöst wie meine Handgelenke sich gelöst haben, von der Fensterkante, nach einem Zögern, und ist aufgestiegen über das Weiss des Wiesenkerbels, seiner taumelnden Dolden, und über die russschwarzen Ziegelmauern und die Kastanienbaumkronen und so über alles Blühende, Verblühende, Russige und Duftende, Numerierte, über die Hinweistafeln und den Flieder und die Schilder, die Totenkopfschemen, die Blitzschlagschemen, über alles Umrandete, Rostzersetzte, Verfetzte und Durchnässte und von der Sonne Getrocknete, Ausgebleichte, in der Sonne, in die Sonne aufsteigend, scheinend: und die Sonne ist ein Nachbild des Mondes gewesen, des von einem Wohnblock verfinsterten, so erinnerten, des Mondes, wie er hinter einem Wohnblock den Wohnblock mit seinem Hof umgeben hat, und während dieser Augenblick noch gedauert hat, habe ich die Sonne als Sonne wiedererkannt.
(S. 7f)

© 2004, Urs Engeler Editor, Wien / Weil am Rhein / Basel.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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