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Leseprobe: Sven Daubenmerkl - "Forscher Geist."

Sommerfrische

Farm Hall, Godmanchester, Cambridgeshire,
Großbritannien, 8. Juli 1945

Sommerfrische war die treffendste Bezeichnung. Sommerfrische in einem englischen Landhaus. Krüger hatte noch nie einen Urlaub im Ausland gemacht. Sein Salär war für große Reisen zu knapp bemessen gewesen, und dann war der Krieg gekommen. Herrliche Ironie, dass er seinen ersten Urlaub ausgerechnet im ehemaligen Feindesland verbrachte! Allerdings nicht freiwillig.
Vor fünf Tagen hatten sie Belgien verlassen. Mit einer alten Dakota wurden sie über den Kanal geflogen. Krüger fand den ersten Flug seines Lebens grauenvoll: Beim Einsteigen waren ihm rostige Stellen an den Tragflächen aufgefallen. Dann, mitten über dem Meer, hatte er Bekanntschaft mit einem physikalischen Phänomen gemacht, das der flugerfahrenere Major Rittner als Luftlöcher bezeichnete. Die Luft hat Löcher? Krüger verfluchte Orville und Wilbur Wright. Der klaustrophobische Laderaum der Dakota verstärkte seine Beklemmung, die ihm die Luft zum Atmen nahm.
Auch den anderen war nicht wohl bei diesem Flug. Was, wenn das Flugzeug abstürzte? Harteck hatte Hahn vor dem Start der Maschine süffisant gefragt, welche Gefühle er beim Einsteigen habe; eine Anspielung auf die letzten Monate in amerikanischem Gewahrsam, wo man ihnen manchmal den Eindruck vermittelt hatte, man wolle sie verschwinden lassen und wisse bloß noch nicht, bei welcher Gelegenheit. Statt einer Antwort hatte Hahn nur ein gequältes Lächeln zustande gebracht. Erst als die amerikanischen Begleitoffiziere eingestiegen waren, hatte sich die Spannung gelöst. (S. 74)

XV.

"Spielen Sie eigentlich Schach?", fragte Krüger unvermittelt.
Jones war verblüfft. Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht mit so einer Frage. Was Major Rittner seinerzeit in den Kurzbeschreibungen der Charaktere über Krüger geschrieben hatte, traf zu: Der Mann war ein völliges Rätsel.
Jones suchte eine bessere Sitzposition und ächzte. Seine Arthritis ließ ihm selten länger als eine Viertelstunde Ruhe.
"Ist es das, warum Sie nach Farm Hall zurückgekommen sind? Um Schach zu spielen?"
"Nein, natürlich nicht", erwiderte Krüger schnell, "Eigentlich wollte ich herausfinden, was schief gelaufen ist mit der Physik."
"Hier? In Farm Hall? Etwas schief gelaufen?"
"Nein, nicht hier. Schon vorher. Lange, lange vorher", murmelte Krüger, vergaß den neben ihm Sitzenden und konzentrierte sich auf den Grund für seine späte Reise.
Die Wissenschaft ist so beschaffen, dass früher oder später erkannt wird, was erkannt werden kann. Die Bombe war schon gebaut und abgeworfen, bevor dem amerikanischen Forscherteam die Isotopentrennung gelang, bevor Joliot die Freisetzung von Sekundärneutronen, die für eine funktionierende Kettenreaktion notwendig sind, nachweisen konnte, selbst bevor Hahn die Kernspaltung entdeckt hatte. Sie war gebaut und abgeworfen, bevor Heisenberg die Quantenmechanik begründet und bevor Schrödinger seine Gleichung formuliert hatte, sie existierte, bevor Bohr sein Atommodel aufstellte oder Rutherford den Goldfolienversuch durchführte, bevor Einstein das Energieäquivalent der Masse erkannte hatte, bevor das Ehepaar Curie das Radium isolieren konnte, bevor Becquerel, angeregt durch die Versuche Röntgens, die Radioaktivität entdeckt hatte, bevor Maxwell seine elektromagnetischen Gleichungen aufgeschrieben hatte, bevor ... (S. 229)

© 2000, Mandelbaum, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

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