Maira kann nicht erkennen, ob der Mann sie tatsächlich ansieht oder nicht ansieht, denn sie ist kurzsichtig, doch tut das etwas zur Sache? Er trägt eine runde Brille, ein Metallbügel blitzt in der Sonne; das dunkle Haar hat er in einer seltsam altmodischen Art nach hinten frisiert; überhaupt, macht nicht seine ganze Gestalt einen unzeitgemäßen Eindruck? Die weite Hose, das weiße Hemd mit den hochgerollten Ärmeln, die breiten Hosenträger? Der Rucksack? Dazu das schwarze Fahrrad? Er kann, denkt Maira nun wieder, das Buch unmöglich als Köder ausgelegt haben. Wäre es tatsächlich seine Absicht gewesen, sie in eine Art Falle zu locken, wäre er dann nicht aufgetaucht, spätestens: jetzt, und hätte sich zu ihr gesetzt, mit den Worten: Und gefallen Ihnen meine Zeichnungen?
Er hätte sie in ein Gespräch über die große Hitze verwickelt, die seit Tagen herrscht, wäre ihr nähergekommen, hätte sie wie zufällig berührt, ihren nackten Unterarm gestreift; hätte Interesse an ihr gezeigt oder vorgetäuscht, sie vom braunen Kurzhaarkopf abwärts gemustert, sich ihre Geschichte angehört, wie und warum sie wohl hier auf dieser Bank zu sitzen kam; hätte ihr im geeigneten Moment gesagt, wie schön sie sei; wie gern er sie zeichnen würde; sie überredet, Modell zu stehen, nackt.
© 2010 Picus Verlag, Wien.