Veronika fand zuerst wieder die Worte. „Wir haben uns so lange nicht gesehen, Papa! Das ist alles. Wir reden, wenn wir von Lily reden, auch von uns. Deswegen tun wir uns so schwer. Wäre es ein Thema, das außerhalb von uns existiert, das mit dir und mir nichts zu tun hat, so würden wir uns schnell einig sein. – Oder vielleicht auch nicht.“ Sie stand auf, legte den Arm um seinen Rücken, den Kopf auf seine Schulter. Er aber blieb regungslos wie eine Marmorstatue sitzen und starrte vor sich hin.
„Ich habe Lily zu wenig geliebt. Ich habe ihr … Selbstbehauptungskräfte, zu wenig, mit auf den Weg gegeben. Aber mehr noch quält mich, und davon komme ich … in all den Jahren nicht los, dass ich sie mit meiner … Lebenstraurigkeit angesteckt … Getötet hat sie wohl mein Lebensüberdruss, mein unglückliches Geschick, mein eigenes … Lebensfreude, ich konnte ihr keine Lebensfreude …“
Der Vater schlug voller Zorn mit seiner Hand auf den Tisch, dass das Wasser aus den Gläsern schwappte. Danach heulte er aufs Neue los, verlor sich im Dschungel trüber Gedanken, und keine Heldinnen kamen ihm zu Hilfe.
(S. 70)
© 2011 Folio Verlag, Wien-Bozen.