Leseprobe: Reinhard Kaiser-Mühlecker - Die Therapie.

THERAPEUTIN Ich sehe es nicht als meine Aufgabe, Ihnen jedes Mal wieder zu sagen, dass Regelmäßigkeit wichtig ist. Verstehen Sie das nicht? Sie wollen doch der Sache auf den Grund gehen, oder etwa nicht?
LEO Doch. Natürlich. Was haben Sie nur?
THERAPEUTIN Sie kommen, wie es Ihnen passt. Sie rufen nicht einmal an, wenn Sie eine Sitzung ausfallen lassen! Wochenlang höre ich nichts von Ihnen- plötzlich stehen Sie wieder da!
LEO Manchmal ist mir eben nicht nach Reden.
THERAPEUTIN Es ist ja nicht so, dass ich etwas von Ihnen will. Sie wollen etwas. Deshalb kommen Sie her.
LEO Bezahle ich die ausgefallenen Stunden etwa nicht?
THERAPEUTIN Hören sie doch auf! Sie wollen mich nicht verstehen. Sie stellen meine Methode infrage.
LEO Nein. Das dürfen Sie nicht denken. Das ist es nicht. Ich kann bloß manchmal einfach nicht sprechen. Tagelang. Da kann ich dann nicht kommen.
Die Therapeutin seufzt. Sie steht auf und macht ein paar Schritte Richtung Ausgangstür. Leo folgt ihr mit dem Blick-
LEO Was sollten wir denn dann tun? Sollte ich etwa herkommen und nichts sagen? Das wäre doch idiotisch.
Stille.
LEO Ist Ihnen das vielleicht noch nie untergekommen?
THERAPEUTIN Doch. Natürlich. Das ist ganz normal. Diese Stunden gehören dazu.
LEO Ich kann mein Schweigen nicht teilen. Verstehen sie?
Ihr Ton wird einen Moment lang heftiger.
THERAPEUTIN Meinetwegen! Aber wissen Sie, es gibt Regeln. Nicht nur welche, an die Sie sich halten müssen. Es gibt auch für mich Regeln. Wenn unsere Sitzungen nichts bringen, müssen wir die Therapie beenden. Ich muss Sie bitten, sich einen anderen Therapeuten zu suchen. Sie nehmen einem anderen, der es ernst meint, den Platz weg.
Leo richtet sich auf.
LEO Aber ich meine es doch ernst.
Die Therapeutin setzt sich wieder. Sie räuspert sich.
THERAPEUTIN Also gut.
LEO Aber ich meine es doch ernst!
Stille
THERAPEUTIN Wollen wir weitermachen?
LEO Ja, bitte.
Die Therapeutin atmet tief durch. Sie schließt die Augen und öffnet sie wieder.

(S. 31-32)