Gegen Mittag holte ich mir zwei der Plastikbeutel aus der Kühlbox, stellte sie in den Schatten und spazierte nach einer Pause wieder den Weg entlang, auf dem wir hergekommen waren. Wieder bewunderte ich die hohen Steinmonumente entlang des Wegs. Er führte in einer Entfernung von ungefähr fünf Metern an Felsformationen vorbei, die sich in ihren Strukturen, ihren Formen, ihren Farben unterschieden, trotzdem war es im Grunde eine einzige Felswand, mit wechselnden Höhen auch, insgesamt wie eine undurchdringliche Mauer. Auf mehreren hundert Metern nirgends eine Stelle, an der eine Öffnung gewesen wäre, nicht einmal eine Spalte, durch die man wer weiß wohin gelangt wäre. Eine Ahnung stieg auf in mir, welche Kräfte da vor vielen Millionen Jahren am Werk gewesen sein mussten, der Gedanke wieder, dass es in der Geschichte dieser Landschaften die allermeiste Zeit den Menschen nicht gegeben hat.
Eine Wand faszinierte mich besonders: Violett, mit kobaltblauen Einsprengseln schien sie – leicht nach außen gewölbt – unter dem Gewicht von auf ihr lastenden anderen Felsmassen erdrückt zu werden. Auf der glatten Oberfläche war von oben bis unten eine Art von Schrift zu sehen. Aus der Entfernung konnten es indische Buchstaben sein, dann wieder hebräische, welche teilweise von einer dünnen kobaltblauen oder türkisfarbenen Schicht förmlich konserviert zu sein schienen. Die Oberfläche des in den Himmel ragenden anschließenden Felskolosses, der in einem Stück hoch in den Himmel ragte, schien bemalt zu sein, Malereien, welche da und dort weggeschabt worden waren. An seinem Fuß wuchsen vertrocknete Gräser und Wacholderbüschel. Als ich weiterging, den Blick auf die Felswände, sah ich, dass die Formationen immer seltsamer wurden. Es waren jetzt schmale, in den Himmel ragende Monumente, jedes in anderer Farbe und Struktur. Einige zapfenförmige waren wohl vor Urzeiten zwischen zwei Felswände geraten, aus dem Untergrund hoch gedrückt und beinah verschmolzen mit diesen riesigen Wällen. Von einigen waren dünne Schichten abgeblättert, darunter zeigten sich faszinierende malerische Formen. Manchmal glich der Untergrund einer Schicht wie dem Schnitt durch einen Edelstein; auf anderen Wänden sah ich blasenförmige Motive. An einer Stelle schmiegte sich ein Felsenstück, dessen Umrisse einem Kind ähnelten, in eine senkrechte Kluft. Am Ende der Formation dann ein vorwiegend glatter Felsen, an den sich ein riesiger Wacholderbaum drückte, beinah mit ihm verwachsen; rund um seinen Stamm lagen verwitterte, eingerollte Äste. Und auf einem schmalen Vorsprung lagen an die Wand gepresst steinerne Würfel, wie von Menschenhand dort deponiert. Aus der schmalen Kluft eines gespaltenen Felsens wuchs ein Strauch mit stacheligen Ästen und winzigen türkisfarbenen Blättern.
Als ich schon umkehren wollte, bemerkte ich näher treten auf einmal doch einen Spalt in der Felsenformation, welcher den Blick in eine Art Wüstenfeldebene freigab, auf der jedoch rötliche Grasbüschel wuchsen. Am Horizont sah ich wieder Dolls, dicke und dünne dübelförmige Sandsteinfiguren, in Abständen rotbraun-weiß gestreift, manche schief aufsteigend oder die Reihe überragend. Ich überlegte, was sie von den bisherigen Puppen unterschied. Sie hatten etwas Neckisches, wie um den Betrachter schmunzeln zu lassen: Auf den Gipfeln der Puppenköpfe gewissermaßen waren schräg noch Zapfen aufgesetzt, nach links zeigend oder nach rechts, in einem vielleicht musikalischen Rhythmus. Zwei haushohe, tonnenförmige, aneinandergepresste nach vorne geneigte Felsen sahen aus wie die Eltern der verspielten Puppen, aber insgesamt auch wie Spielzeuge eines versteinerten Volks von Riesen.“
(S. 77 - 79)
©2012 Carl Hanser Verlag, München-Wien.