Ich treibe mich am Rand des Bildes herum, nahe den Grenzen der alten Methode oder Krankheit: kann hineingesaugt werden, wie in einen tiefen Schlaf. Man würde sich im Innern als tierhaftes oder (den Strömungen biegsam angeschmiegt) fast pflanzliches Wesen bewegen oder bewegt werden. Ich brauche mein Bett nicht zu verlassen, um in diese Unterwasserregion zurückzukehren. Das Licht, das einen aus Filmen heraus oder aus manchen Gemälden, vielleicht auch nur einzelnen Stellen in diesen Gemälden trifft: ein Fluss bei Joachim Patinir, der wie ein dunkles Fruchtwasser die Lebenden von den Toten scheidet, Grün, das ins Schwarz übergeht, Symbole, die (während ganz langsam die nackte Seele in einem kleinen Boot zur Hölle hintreibt) im Raum ihren Wert verlieren, deren Bedeutung im Raum aufgeht; ein blauer Strudel im Innern eines Pavillons, der auf einer der Tafeln des Isenheimer Altars die Engel zu ihrem stummen Konzert ins Helle hinaus ausspeit oder sie wieder in sich hineinnimmt. Im tiefsten Innern ist auch kein Licht mehr, nur die Beklemmung; jeder Atemzug muss gewollt und wie eine schwierige Aufgabe geplant werden und hat dann doch etwas Falsches (Unechtes, Unrichtiges, Unnützes). Hier sehe ich mich als Kind die Angst entdecken, eine vollendete Angst, die alles fortreißt. Ich zehre von dieser Angst, verwandle sie: sterben ohne zu sterben; etwas an der Stelle des wirklichen Sterbens, für das es keinen Trost gibt. Man kann immer zu denselben Gesten, denselben festgeschriebenen Schleifen zurückkehren. Maurice Blanchot schreibt in „Die Literatur und das Recht auf den Tod“ vom „Ekel eines Überlebens, das keines ist, und eines Todes, der nichts ein Ende setzt“: dieser Ekel folgt dem Rückbezug auf das unwirklich gemachte, um sich kreisende Ich, das sich im Text weder bestätigen noch auflösen kann.
Wenn ich Autoren las, die sich bemüht hatten oder denen es fast gelungen zu sein schien, sich in Schrift zu verwandeln und den Unterschied zwischen Leben und Schreiben auszulöschen (und noch der Reflexion und der Analyse des eigenen Scheiterns und Nichtlebenkönnens eine sinnliche Qualität zu geben), fand ich in ihrem Schreiben nicht nur die imaginäre Verdopplung ihrer Existenz, sondern zugleich eine Reflexion der Existenz und Reflexion der Verdopplung, hin zu einem Taumel und einer scheinbaren Totalität eines endlosen Einander-Bestätigens, -Negierens, Ineinanderübergehens der Schichten des Sprechens, in die sich der Autor, der nur noch Stimme ist, aufgeteilt hat. Es erschien mir fast wunderbar, wie seine Sätze ein wirkliches Leben (das nur durch sie hindurch sichtbar war) zugleich ausstellen und verschleiern konnten; wie die rücksichtsloseste Offenheit eine äußerste Zurücknahme ermöglichte. Im Raum des Lesbaren hielte sich das Leben, in einer anderen, nicht weniger dichten Form von Körperlichkeit, zugleich, in irreduzibler Ambivalenz, in Schwebe.
(S. 8-10)
© 2012 Literaturverlag Droschl, Graz-Wien.