(1)
Als sei das Land, das ich für einige Zeit bewohnt und bereist habe, nicht mehr vorhanden: das ist eine Vorstellung, die sich hat überwältigen lassen von der medialen Bilderflut. Es ist eine Vorstellung, die von der nicht nur phantasmatischen Furcht herrührt, das Übermaß an Katastrophe sei nicht lokal zu begrenzen, der Dreißig-Kilometer-Sperrbereich um das kollabierte Kernkraftwerk betreibe eine heimliche Auslöschung von Lebensland, die sich immer weiter über den Globus ausbreite.
Die Narayama-Verse sind die Lieder eines Dorfes, die dann zu hören sind, wenn ein Einwohner sich der Regel des Freitodes zu entziehen versucht, indem er sein Alter leugnet: Mutter O-Rin, siebzig, hat sich mit einem Stein die Zähne zerschlagen, als Beweis, dass sie schon keine Esserin mehr ist, die in der Hungersnot das allgemeine Elend durch ihren Egoismus vergrößert. Die Lieder fordern ihre Pflicht ein, in den Berg hinaufzusteigen, den Narayama, und dort den Tod zu erwarten. Der Einzelne zählt nicht, darf nicht zählen, wo es um das Überleben der Gruppe geht. O-Rin bricht auf: „Am besten ist es, beim ersten Schnee auf den Narayama zu gehen.“ Es hat zu schneien begonnen, die Schneeflocken scheinen die Aufgabe zu übernehmen, die Grausamkeit zu besänftigen.
(aus dem Beitrag von Elfriede Czurda, Seite 54/55)
(2)
Zur Entfernung kommen wir
durch Zufall, wie zu Produkten,
die uns helfen, uns zu wahren,
unangetastet, anziehend.
Entfernung springt aus der Sprache.
Betonplatte, hingelegt,
ein Krug, eine Vase, ein Stein,
ein Name, und die Möglichkeit,
regelmäßig zu bewässern.
(aus dem Beitrag von Ann Cotten, Seite 40)
© 2012 Luftschacht, Wien