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Leseprobe: Peter Hankde - Versuch über den Stillen Ort.

Auch für mich hier hat der Stille Ort eine Geschichte, eine in manchem verschiedene, aber mit der gerade nacherzählten vergleichbare; eine, in Anbetracht des nicht einmal »monotonen« Ortes, lebendig vielfältige. Diese Geschichte möchte ich versuchen, jetzt, nicht eigens ausgeführt, nachzuziehen, parallel und kontrapunktiert mit ansatzweisen Geschichten und Bildern, welche der und jener mir hat zukommen lassen.
Es war an der Schwelle zwischen der Kindheit und dem Heranwachsendenalter, daß der Stille Ort mir etwas zu bedeuten begann über das Übliche oder Gewohnte hinaus. Wenn ich mir heute, hier am Schreibtisch weit weg von den Kindheitsgegenden wie der Kindheit, die Klosetts nach dem Zweiten Weltkrieg in Ostberlin, Niederschönhausen, dann Pankow, und später den Abort des bäuerlichen Großvaterhauses im südlichen Kärnten vergegenwärtigen möchte, kommen mir nur spärliche Bilder in den Sinn – von der Großstadt nicht ein einziges –, und außerdem, und vor allem, gibt es mich nicht in ihnen, nicht als Kind und nicht als ein Wesen; fehlt in ihnen ein Ich oder Ich selber; sind diese Bilder wesenlos.
Nichts als das Übliche: die handlich zu mehr oder weniger dicken Packen zurechtgeschnittenen Zeitungen, gelocht und an einer Schnur von einem Nagel in der Holzbretterwand hängend, mit der Variante, daß die Sprache der Schnipsel überwiegend das Slowenische war, des vom Großvater abonnierten Wochenblatts »Vestnik« (»Der Bote«). Der senkrechte Schacht vom Sitzloch hinab Richtung Misthaufen, der zu dem Viehstall unten gehörte – oder führte er nicht doch weiter zu einer Art Sickergrube? –, mit der Nuance, daß jener Schacht ungewöhnlich lang war, oder mir Kind jedenfalls so erschien, indem der Abort sich im ersten Stock des in einen Steilhang mitten im Dorf gebauten Bauernhofes befand, am Ende einer ausgedehnten hölzernen Galerie, in deren Übergang zur Scheune, Teil oder Winkel zugleich dieser wie auch der Galerie, vollkommen unauffällig, von derselben grauen Verwitterungsfarbe wie die Planken der Galerie und die Bretter der Tenne, leicht zu übersehen, kaum als eigener Ort kenntlich, nicht einmal als Verschlag, geschweige denn als »Abtritt«, zumal das mehr oder weniger landesübliche Herz in der Tür fehlte, und diese auch nicht als eine Türe kenntlich war – nichts als die zwischen Galerie und Tenne leicht vorspringende Bretterwand, in den Augen eines Ortsfremden vielleicht die Nische für die großväterlichen Zimmermannswerkzeuge.
Jedoch es kam ins Haus selten ein Besucher, höchstens, einmal im Jahr, der Bezirksvertreter der Allgemeinen Versicherung, der »Assicurazioni Generali«, und für den hätte im Fall eines Brandschadens oder Blitzschlags eine solche Räumlichkeit kaum mitgezählt. Auffällig, so oder so, wie weit weg von allem sonst, Alltag wie Fest, jener bäuerliche Abort lag; schwer vorstellbar in dem slowenischen Dorf Stara Vas, im Unterschied zu den bürgerlichen Marktflecken unten in der Ebene, ein öffentliches Notdurftverrichten wie etwa auf manchen holländischen Genrebildern aus dem 17. Jahrhundert.
Jetzt aber fällt mir an jenem Stillen Ort noch etwas Spezielles auf: das Licht in dem kleinen Verschlag, sogar zweierlei Lichter (ohne Lichtschalter natürlich, und ich weiß nicht, wie die verzweigte Familie in der Nacht dahin fand über die finstere Galerie, mit Petroleumlicht? Taschenlampe? Kerze? tastend?): das erste der Lichter oben, an Ort und Stelle sozusagen – wie es durch die Ritzen des Holzverschlags kam? nein, der Großvater war Fachmann genug, daß er beim Zimmern keinen Platz für auch nur eine Ritze gelassen hätte – das Licht drang vielmehr durch das Holz und aus dem Holz selber, wie gefiltert, punktweise auch durch die winzigen, kaum nadelöhrgroßen Durchstiche an den einstigen mehr oder weniger runden Aststellen des zu Brettern gesägten Baumstamms, die im Trocknen vielleicht stärker geschrumpft waren als der Stamm.
Seltsames indirektes Licht, wie nirgends sonst im Haus; indirekt, das heißt ohne Fenster, dafür umso stofflicher; Licht, das umgab – von dem man sich in dem Stillen Ort umgeben fand – man? – ich, also doch schon damals »ich« dort?

(S. 9 - 15)

© 2012 Suhrkamp Verlag, Berlin.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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