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Leseprobe: Kurt Leutgeb - Kirchstetten.

Erster Teil

1972


Seine Mutter geht ans Telefon. Breschnew selbst
hebt nie den Hörer ab. Er hat Angst, die Armee
könnte ihn doch noch einziehen wollen und hier
nach ihm suchen. Sagt er. Er sagt nicht, dass er Angst
hat, es könnte der KGB sein. Sich vor dem KGB
verstecken zu wollen, wäre eine Torheit. Aber es beruhigt
ihn doch, die Mutter zwischen sich und dem
Geheimdienst zu wissen. So muss er nicht daran
denken, wie er reagieren würde, wenn der Geheimdienst
ihn anriefe.
Nein, ihr Sohn sei nicht da, sagt seine Mutter. Ja,
das werde sie ihm ausrichten.
Es sei das OWIR gewesen. Er solle heute um fünf
kommen. Es sei in seinem Interesse.
Das OWIR? Breschnew ist ebenso perplex wie
seine Mutter. Das OWIR ist eine Art Meldeamt.
Dorthin wird man nicht gerufen. Im OWIR stellt
man sich stundenlang an, wird von Saulus zu Paulus
geschickt und muss am nächsten Tag wiederkommen,
weil immer irgendetwas fehlt oder zu viel oder
falsch oder zweifelhaft ist. Das OWIR ist dazu da,
dass Sowjetbürger Sowjetbürger schikanieren, dass sie
sich und einander dem Staat unterwerfen. Aber im
OWIR gibt es keine Schläge, keine Elektroschocks,
keine Scheinhinrichtungen, keine Hinrichtungen. Das
OWIR nimmt man nicht recht ernst. Außerdem
sperrt es um drei zu.
Im Laufschritt erwischt Breschnew gerade noch
die Tramway. Bevor er einsteigt, zieht er ein letztes
Mal an der siebten Zigarette seines Tages und wirft
sie hinter sich. Gerade heute hat er unglaublich viel
zu tun, so viele unaufschiebbare Wege zu erledigen,
dass sich fünf Uhr nur mit Mühe ausgehen wird. Er,
der einst wegen Nichtstuns und Parasitentums zu
sechs Jahren Haft verurteilt wurde, muss in der Redaktion
eines Journals seine Übersetzungen einiger
Gedichte aus dem Englischen und Polnischen abliefern,
bei einem Verlag Texte, die er übersetzen soll,
abholen, bei einem anderen einen Text einreichen,
einer Theaterprobe und einer Redaktionssitzung beiwohnen
und zwischendurch alle möglichen Leute
treffen. Um Punkt fünf Uhr öffnet er die Tür des eigentlich
geschlossenen OWIR, neben der ein Polizist
postiert ist.
Es ist Mai in Tschechowgrad, anderthalb Monate
vor den Weißen Nächten. In zwei Wochen wird
Breschnew zweiunddreißig. Er ist ein international
bekannter Poet, nicht nur wegen der Gedichte in der
von ihm entwickelten Langform, die er mit an der Liturgie
der russisch-orthodoxen Kirche geschulter
Monotonie und Melodiosität vorträgt, sondern auch
wegen seiner Verurteilung. Wer ihn denn zum Dichter
gemacht habe, fragte ihn, der als seinen Beruf
Dichter angab, die Richterin. Wer ihn denn zum
Menschen gemacht habe, fragte Breschnew damals
zurück. Die fünf Jahre Gefängnis wurden bald in
Verbannung in ein kleines Dorf im Hohen Norden
Russlands umgewandelt. Das karge Leben in seiner
kleinen Hütte bekam Breschnew gut. Er war glücklich,
sich Morgen für Morgen mit dem Rest des Landes
zur Arbeit zu begeben, zumal ihn die Bauern
immer schon zu Mittag von der Sowchose in seine
Hütte zurückschickten. Nach zweieinhalb Jahren
konnte er auf Drängen sowjetischer und ausländischer
Dichter in die elterliche Eineinhalbzimmerwohnung
an der Newa zurückkehren.

(S. 7-9)

© 2012 Limbus Verlag, Innsbruck.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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