Zärtlichkeit war für Hubert, meinen Ehepartner, ein Fremdwort.
Es hat mich Jahre meiner Ehe gekostet, bis ich für sein Verhalten
endlich die Formel fand. Man hat ihn als Kind zum Seelenkrüppel
geschlagen. Seine Mutter hat sich um ihn als ihr Kind wenig
gekümmert. Ihre Zuwendung, soweit eben das Potential ihres
derben Naturells reichte, galt seinen Halbschwestern. Von seinem
Stiefvater erhielt er Hiebe, wenn den beiden Mädchen danach
war. Es gab nichts, das sie nicht erfanden, um den Bruder zu verpetzen.
An den Torturen, denen er ausgesetzt war, hatten sie ihr
Vergnügen, und die Mutter sah diesem Treiben, ohne einzugreifen,
tatenlos zu. Nie hat sie ihren Sohn vor den Übergriffen ihres
Partners beschützt. Ein Szenario wie im Mittelalter bei der Bestrafung
von Delinquenten auf dem öffentlichen Marktplatz. Mit
dem Unterschied, dass das nach Schmerzensschreien und Blut
lechzende Volk nur aus drei Personen bestand, die ihre sadistischen
Gelüste befriedigten. Um das Bild, das ich mir nach den
Schilderungen seiner Mutter vom Leidensweg Huberts in der
Kindheit machte, abzurunden, finde ich es sinnfällig, wenn ich
sie mit einem Zeitsprung von Jahrzehnten abschließe. Als ich an
der Bahre meines Mannes stand, erklärte Pater Anton Wanner
in seiner Rede zur Verabschiedung, dass heutzutage eine solche
Kindheit wohl ein Fall für den Staatsanwalt gewesen wäre.
Damals war eben noch alles anders. Das waren noch herrliche
Zeiten für den Herrn, für das Familienoberhaupt, der wie ein Eigentümer
über Leben und Schicksal seiner ihm Anvertrauten entschied.
Diese Freiheiten gab ihm die Gesetzeslage, körperliche
Züchtigung war ein Mittel der Wahl. Während ich diese Zeilen
zu Papier bringe, komme ich zur logischen Schlussfolgerung, dass
das Adjektiv „herrlich“ nur vom Begriff Herr abgeleitet sein
kann.
(S. 126.)
Wenn ich schon mit Liebeserklärungen und Ehrenbezeugungen
um mich werfe, gehört in dieses Repertoire ein junger Mann, der
entscheidend in mein Berufsleben eingegriffen hat. Dr. Horst
Pirker wurde im Jahre 1984 nach dem Ausscheiden seines Vorgängers,
Josef Kaufmann, Verlagsleiter der „Kleinen Zeitung“ in
Kärnten. Leicht dürfte es für ihn nicht gewesen sein, mit seinem
offenen Jungenbubengesicht, knappe 25 Jahre alt, der einfordernden
Würde seines Vorgängers zu entsprechen. Josef Kaufmann
inszenierte sorgfältigst sein Auftreten in der Öffentlichkeit. Wirkung
und Eindruck waren ihm wichtig. Das war nicht der Stil
Horst Pirkers. Sein Motto war Leistung. Keine Feste aus jedem
beliebigen Anlass. Es war ihm kein Anliegen, sich zu präsentieren.
Auf Gesichtsbäder, um gesehen zu werden, konnte er verzichten.
Die Reformen, die er in der „Kleinen Zeitung“ anstrebte, zog er
konsequent durch. Nicht zu jedermanns Freude. Privilegienrittern,
die sich der Gunst ihrer Vorgesetzten erfreuten, was sich
in Sonderzulagen zu Buche schlug, wurde das Einkommen, das
ihrer Position und ihrer Leistung entsprach, zugewiesen. Horst
Pirker hat den Rechenstift benützt. Unter seiner Regentschaft
wurde ich als freie Mitarbeiterin in den Redakteursstand versetzt.
Ich würde seinen Anlagen nicht gerecht werden, wenn ich von
ihm nicht auch das Bild des sarkastisch-witzigen und eloquenten
Gesprächspartners zeichne. Seine unorthodoxen Denkmuster
führten unflexible Hirne oft genug in die Ratlosigkeit. Alles, was
er zu sagen hatte, geschah spontan. Langes Grübeln, Zeit vergeudende
Konferenzen waren ihm ein Gräuel.
Dass er auch seine private Seite nach außen stülpen konnte, überraschte
mich.
„Ich bin so froh, dass ich mich in diesem Haus mit jemand wie
Ihnen so unterhalten kann, wie es meiner Wesensart entspricht.
(S. 236.)
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