Einer der fliegenden Händler, die sich mit dem Scharfblick von Jägern um die Buspassagiere bemühten, hatte wohl bemerkt, daß ich dem Losverkäufer gefolgt war und nun, überrascht von seinem plötzlichen Verschwinden, nach ihm Ausschau hielt. Er kam auf mich zu, bot mir mit strategischer Zurückhaltung aber zunächst keinen seiner Stadtpläne und keine günstige Führung durch die Schönheiten ValparaÃsos an, sondern eine Geschichte:
Salva, der Mann mit den Papiergirlanden, wolle niemandem etwas verkaufen, schon gar keine Lose. Was der da um den Hals trug, das waren alles Lose, mit denen er selbst hatte reich werden wollen, Nieten, im Verlauf von Jahrzehnten gesammelt und aufgefädelt. Dabei hatte er es einmal sogar geschafft. Beinahe geschafft. Sein Los hatte gewonnen! Aber als er es am Morgen nach jener Nacht, in der er seinen Fahrschein in paraÃso der halben Stadt gezeigt und jede Zahl, jeden Buchstaben auf diesem Zettel so oft gesagt, gerufen, gesungen hatte, daß alle diese Glückszeichen wie eintätowiert in seinem Gedächtnis bleiben mußten ... als er diesen Zettel also vorzeigen wollte, um die Ansprüche auf seinen Gewinn rechtskräftig werden zu lassen, da war das Los verschwunden. Verschwunden, verloren, ins Meer geschwemmt, davongeflattert, von einem Neider gestohlen oder in irgendeinem Müllfeuer verbrannt.
So ganz richtig im Kopf sei Salva, den seine Mutter nach dem ermordeten Präsidenten Salvador Allende, dem größten Sohn ValparaÃsos, getauft hatte, ja nie gewesen, aber seit diesem Verlust fädle er alle seine Lose, Nieten oder nicht, auf eine Schnur und trage sie um den Hals. Und führe laute Selbstgespräche über das Glück.
(Aus: Das Glück und der Stille Ozean, S. 211f.)
© 2012 S. Fischer Verlag, Frankfurt / M.