Beim Angriff ist jeder allein, allein vor dem Artilleriefeuer, allein vor dem Schrapnell, das in die Luft geht, allein vor dem Bajonett, das auf einen zustößt. Der Fidl ist aber auch in der Kompanie nicht aufgehoben. Nirgendwo ist er aufgehoben: ausgesetzt, nur ausgesetzt in dieser Welt, die zur Kälte hinhängt. Das kennt er noch nicht. Das hat er noch nicht erlebt, diese Verlorenheit. Nicht bei den ärgsten Gewittern auf der Ahornalm, wo die Felsen über die Scharte herunterrollen, sich der Donner in den Wänden bricht, und das verschreckte Vieh an den Ketten zerrt und Reißaus nimmt: irgendwohin.
Den armseligen Leuten in diesen galizischen Dörfern nehmen sie die elenden Hütten weg und setzen Soldaten hinein, die gar nicht hier sein wollen. Sie beschlagnahmen die kargen Lebensmittel, das Vieh, das Werkzeug, das Brennmaterial. Sie beschlagnahmen alles für Kriegszwecke. Und die Leute haben keine Ahnung, was dieser Krieg für einen Zweck haben soll. Sie holen die alten Männer in ihren groben tuchenen Hemden von den Feldern weg. Sie holen sie zum Bauen von Befestigungen, zum Befördern von Waffen und Munition, zum Verlegen von Gleisen, zum Aufschütten von Wegtrassen.
Das rupfene Zeug, das ihnen bis zum Knie über die Hose hängt, sollte weiß sein. Der Strick in der Mitte ist steif von Fett und Dreck: bloße Füße unter den Hosenröhren, alle bloßfüßig, auch die Weiber, voller Läuse. Eine Handbreit über den Knien hören ihre Kittel auf. Sie urinieren auf die Gleise, im Stehen, mit breiten Beinen. Über den Blusen sitzen große Strohhüte. Warum haben sie nicht einmal Kospen.
Beim Festenegger schnitzen die Knechte am Abend oder an den Bauernfeiertagen dieses klobige Schuhzeug. Ein jeder macht sich sein eigenes. Die lärchenen Kospen sind stark, die birkenen schwer, die zirbenen halten nicht viel aus, brennen aber nicht auf den Füßen. Ganz jung sollen die Bäume sein, ganz dünn die Sohle.
Ob es der Krieg ist, der Menschen in Galizien derart verkommen lässt, oder der Regen? Es regnet eindringlich, träge, von einem niedrigen, fast schwarzen Himmel. Ist dieser Himmel, seit es ihn gibt, einen Tag lang klar gewesen? Der Regen lässt die Gesichter der Galizier grau werden, der Krieg lässt sie verderben.
Sie fürchten sich vor den Soldaten. Sie verstecken sich in ihrer unheimlichen Angst. Sie schleichen herum wie streunende Katzen, als suchten sie etwas, das nicht zu finden ist. Sie sind in dem Durcheinander von Schutt und Dreck und Soldatenzeug verloren. Sie ziehen mit hängendem Kopf sinnierend ihren Pflug über den Acker, von dem sie gestern Soldatenleichen und abgerissene Glieder aufgesammelt haben. Sie mähen die Wegränder entlang, die von Grabhügeln gesäumt sind.
(S. 31f.)
© 2003, Haymon, Innsbruck.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.