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Gerhard Lampersberg: bunte steine

chamber music/Kammermusik
Ensemble Avantgarde

1 CD
MDG Records 2012 (Reihe "Scene")
Artikel-Nr.: MDG 613 1760-2

Der Name Gerhard Lampersberg ist der Literaturwelt vor allem seit dem vielzitierten Holzfällen-Skandal von 1984 ein Begriff: Thomas Bernhard beschreibt Lampersberg alias Auersberger herablassend als "Webern- und Grafenkomponisten, Snob- und Geckmusikschreiber" und gedenkt deren dreißig Jahre zurückliegenden Freundschaft mit "Selbstscham", worauf Lampersberg ein wenig später wieder zurückgezogenes Gerichtsverfahren einleitet. Es handelt sich um ein sehr kompliziertes Verhältnis gegenseitiger "Ausbeutung", Bernhard spricht in Holzfällen vom "geilen Schriftstellerverschlinger", vom "in die Falle gehen" und an ihm verübten "Rufmord", während Lampersberg und die Musikwelt auf den Tonhof bei Maria Saal verweisen und darauf, dass umgekehrt Bernhard seinem Gönner und Mäzen Lampersberg viel zu verdanken habe. Selbst Bernhards Sprachrhythmus sei von der Kompositionsweise Lampersbergs geprägt, und vieles der Redeweise Lampersbergs soll auf Thomas Bernhards Diktion abgefärbt haben - so etwa Friedrich Cerhas subjektiver Eindruck im Booklet. Soweit zur ambivalenten Verbindung zwischen Bernhard und Lampersberg und einer gespaltenen AnhängerInnenschaft.

Die vorliegende vom Leipziger Ensemble Avantgarde eingespielte Zusammenstellung der Lampersberg'schen Stücke umfasst nun neben sechs Bernhard-Vertonungen und einer rein instrumentalen Musikadaption der Bunten Steine Adalbert Stifters - wie die Betitelung der CD sofort verrät - sieben weitere "Musikserien" mit folgenden Titeln: blumiade - für eberhard blum, jetzt - 13 pezzi per piano, Trio (1957), komposition (1959), sequenzen - zweite fassung, 7 gemälde nach lucas cranach und augenblicke - to eberhard blum. Die Lieder nach Thomas Bernhard genießen jedoch eine gesonderte Stellung, sind sie doch an den strategisch exponiertesten Stellen zu finden: am Anfang und am Schluss. Gleichzeitig führt das zu einer Umklammerung der restlichen Stücke und wirkt wie ein rondoartiger Zyklus.

bunte steine von 1976 ist ein mit römischen Ziffern durchnummerierter sechsteiliger Klavierzyklus, eingespielt von Steffen Schleiermacher. Das "sanfte Gesetz" Stifters aus seiner Vorrede zu den sechs nach Gesteinsarten betitelten Erzählungen wird im Booklet zitiert und darüber versucht, eine Brücke zur Programmatik Lampersbergs zu schlagen: Demnach sei es sowohl für die Texte Stifters als auch für Lampersbergs Musik charakteristisch, nicht auf ein Außen zu verweisen, sondern "aus sich selbst heraus zu wirken", beide sprechen sich gegen eine Deutung über das Erzählte/die Musik hinaus aus. Wenngleich dies als typisches Merkmal der Musik Lampersbergs gilt, kann aber gerade im Fall der bunten steine NICHT von einer derart verfolgten Zielsetzung gesprochen werden, da über den Titel und die sechsteilige Form unmissverständlich auf ein literarisches Außen Bezug genommen wird. Und auch für Stifters Bunte Steine trifft das nicht zu, worauf die neuere Forschung bereits mehrfach hingewiesen hat.

Eine Rekonstruktion des textlichen Einzugsbereichs der 1959 vertonten Bernhard-Gedichte ergibt, dass die sechs Gedichte speziell für Lampersberg verfasst wurden. Sie sind in keinem Lyrikband Bernhards veröffentlicht, jedoch in einem Liederbuch Lampersbergs von 1977. Die Titel der insgesamt sehr kurzen Texte lauten nun wie folgt: Nie mehr will ich auf meinem Schiff zurückkommen, Nie mehr will ich dich mit dem Aufgehen der Sonne verwechseln, Nie mehr will ich in meinem Schlaf deine Stimme erkennen sowie die dreiteilige Zusammenstellung am CD-Ende Die Schultern nass, Gierig kam der Wind und Schau hin. Die Lieder sind für Klavier und Sopran geschrieben, eingespielt von Steffen Schleiermacher (Piano) und Julia Henning (Sopran) und aufgenommen nach strengen Prinzipien eines eigenen Klangkonzepts, das auf die Originalität und Unverfälschtheit der natürlichen Akustik setzt.
Sofort auffällig ist nun, dass sich Text und Musik nicht im "klassischen" Sinn programmatisch zueinander verhalten, sondern, wie bereits erwähnt, verpflichtet einem absoluten Musikverständnis versuchen, möglichst auf Verweise auf ein Außen zu verzichten. Für die Lieder nach Thomas Bernhard bedeutet das, dass sich ein Nebeneinander von textlicher und musikalischer Ebene ergibt: Zwei horizontal parallel verlaufende Stränge, vorstellbar als zwei Lochstreifen, die jedoch, möchten die Rezipierenden sie übereinander legen und gemeinsam denken, perfekt aufeinander abgestimmt sind.

Lampersbergs Kompositionsstil ist einer freien, erweiterten Zwölftontechnik zuzurechnen, formelhaft wiederholt bezeichnet ihn Bernhard in Holzfällen als den "Komponist in der Webern-Nachfolge". Allgemeine Merkmale seiner Musik sind "kurze, fast aggressive Gesten aus wenigen Tönen beziehungsweise Geräuschen, umschlossen von langen Perioden des Schweigens" (nach Eberhard Blum), auch die vorliegenden Lieder weisen diese Charakteristika auf. Große dynamische Gegensätze, unsanft und sprunghaft, werden ergänzt von einer Überrepräsentanz an Pausen. Unverkennbare Crescendi und Decrescendi sind auch ein wesentliches Stilmerkmal Thomas Bernhards Texte, was besonders deutlich in Alte Meister an groß angelegten Steigerungen, aber auch an immer wieder auf Kürzeres angelegten Anläufen erkennbar ist. Während Lampersbergs Stil hinsichtlich der Dynamik und Melodieführung als sprunghaft, unvorhergesehen aufbrausend und schroff bezeichnet werden kann, ist Bernhards Komparation eine langsam schreitende, kreisend und wie beschwörend sich immerzu intensivierende. Gemeinsam ist ihnen, dass sie bewusst auf Phasen des "Zügel-Durchgehens" hinsteuern, um dann souverän und wie genüsslich wieder die Kontrolle zu übernehmen.
Beider Stil ist geprägt von fugenartigen Wiederholungen, einen Spezialfall stellt hier, was vor allem für Bernhards frühe Lyrik gilt, die Anapher dar. Zieht man nun eine Verbindung zu den drei ersten Liedern, können diese nicht als einzelne Stücke, sondern als Strophen eines größeren Text- und Musikgebildes verstanden werden. Dafür spricht auch die musikalische Realisierung, die eine durchgehende Stimmung - dissonante und desillusionierende Düsternis - vermittelt und deren Eigenschaften in Harmonie, Rhythmus, Melodie, Dynamik oder der konkreten Umsetzung gleicher nicht sein könnten.

Auch für den Text gilt: Der desillusionierende Gestus bricht Erwartungshaltungen, wenn es etwa im Anschluss an Nie mehr will ich dich mit dem Aufgehen der Sonne verwechseln heißt: "Zertreten will ich dich wie den Kopf einer Schlange." In diesem Sinne greifen Text und Musik auch Postmodernes vorweg: Das Klavier breitet mittels vom Pedal lang gehaltenen Akkorden aus dem Zwölfton-Fundus einen schwebenden Klangteppich aus, worauf die Melodie des Gesangparts wie auf spitzen Stöckelschuhen auf- und abschreitet und da und dort - vergleichbar mit der schwungvollen Hin- und Herbewegung beim Austreten einer Zigarette - mit hohen, expressiven und aggressiven Vibratotönen im Fortissimo die letzten Überreste eines schubladisierbaren Musikverständnisses auslöscht.

Lydia Haider
Mai 2013

Originalbeitrag

Für die Rezensionen sind die jeweiligen VerfasserInnen verantwortlich. Sie geben nicht notwendig die Meinung der Redaktion wieder.

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