Hörspielbearbeitung von Gerda Corbett (1958)
nach dem gleichnamigen Roman von Vicki Baum
München: der Hörverlag, 2012.
SWR2
1 CD, 82 Min.
ISBN: 978-3-86717-962-1
Doppelt historisch ist das Hörspiel Menschen im Hotel, eine Produktion aus dem Jahr 1958 nach dem 1929 von Vicki Baum verfassten gleichnamigen Roman. Der Tonfall der einleitenden Worte des Sprechers ebenso wie die Einstimmung auf das Geschehen durch eine Hammond-Orgel versetzen die Zuhörerin unmittelbar in die 1950er-Jahre. Dies ist aber nur der "Rahmen" zum Hörspiel, das dann über Schlager und Tanzmusik aus den 1920ern das Berlin der Weimarer Republik und der "Goldenen Zwanziger" anklingen lässt, die in der Weltwirtschaftskrise (im Erscheinungsjahr des Buches) ein jähes Ende fanden.
Die 1888 in Wien geborene ausgebildete Konzertharfenistin Vicki Baum lebte bereits seit 1913 in Deutschland und seit 1926 in Berlin, wo sie als Redakteurin (u. a. für die Berliner Illustrierte Zeitung, die damals eine Auflage von zwei Millionen erreichte) arbeitete. Immens öffnete sich die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen einer im Luxus lebenden Oberschicht und der mittellosen Unterschicht, die in oft halsbrecherischen Verrenkungen den Aufstieg suchte. Otto Dix malte 1927/28 sein Triptychon Großstadt, Bilder einer Gesellschaft, die sich als Tanz auf dem Vulkan darstellt - die Reichen und die Schönen in der Tanzbar, umrahmt von den Kriegsversehrten und den Straßenmädchen.
Autorinnen wie Vicki Baum oder Irmgard Keun (Das kunstseidene Mädchen, 1932), die mit "neuer Sachlichkeit" und psychologischer Feinfühligkeit an die Schilderung des Lebens der Menschen und ihrer Träume in der pulsierenden Großstadt Berlin gingen, wurden plötzlich und über Nacht berühmt. Während Keun autobiografisch angelehnt in naiv-kessem Ton vom Aufstieg (und Fall) einer Stenotypistin erzählte, ließ Vicki Baum in ihrem raffiniert konstruierten Roman Menschenschicksale aufeinanderprallen.
Der Glanz dieser vergangenen Welt geht in der Hörspielproduktion des Jahres 1958 leider verloren. Es gelingt nicht, den ursprünglichen Charme des Romans mitzunehmen. Trotz namhafter SchauspielerInnen fehlt dem Hörspiel Glamour und Dekadenz der "Goldenen Zwanziger". Die Handlung konzentriert sich um den "anständigen" Hoteldieb Baron von Gaigern: Erst bestiehlt er die alternde Tänzerin Grusinskaja, verliebt sich dann aber doch in sie. Auch einem todkranken Buchhalter gibt er das Geld wieder zurück, als er erfährt, wie dieser vom Generaldirektor um sein Leben betrogen wurde. Der grobe Emporkömmling wird ihm dann allerdings zum Verhängnis.
Die zweite wichtige Frauenfigur, die Sekretärin Flamm, wirkt so freundlich und so wenig verrucht, dass man kaum versteht, warum sie auf die unmoralischen Angebote des ihr vorgesetzten Generaldirektors eingeht. Der vom (Ersten Welt-)Krieg ruinierte, morphiumsüchtige Doktor Otternschlag, eine zeitkritische Romanfigur, wird in dieser 1950er-Nachkriegsversion ganz einfach ausgeblendet.
Für das Hörspiel wurden damals beliebte SchauspielerInnen eingesetzt: Brigitte Horney übernahm die schwierige Rolle der reichlich überspannten Ballerina. Mit der für sie typischen Zurückhaltung spielt sie die "todmüde" Tänzerin, doch fehlt ihr das Charisma des launenhaften Stars. Gisela Zoch-Westphal als "lebenslustige" Sekretärin und Erik Schumann als Hoteldieb strahlen so viel sauberen Zeitgeist der 1950er-Jahre aus, dass der originale Ton stark verfremdet wird. Auch kommt das Hotelpersonal, das im Roman eine wichtige Rolle spielt, im Hörspiel zu kurz.
Menschen im Hote war zu seiner Zeit ein rauschender Erfolg, und kein Geringerer als Max Reinhardt entschloss sich daher zu einer Dramatisierung des Stoffes. Nach Berlin landete das Stück am Broadway und führte zu gleich zwei Hollywood-Verfilmungen mit enormem Staraufgebot: 1931 mit Greta Garbo und Joan Crawford und 1945 mit Ginger Rogers und Lana Turner. Da Vicki Baums Bücher von den Nationalsozialisten verboten waren, erinnerte man sich in Deutschland erst spät wieder an das Potenzial des Romans. Nach dem Hörspiel folgte 1959 endlich auch ein deutscher Film mit hiesigen "Stars", O. W. Fischer, Heinz Rühmann und Sonja Ziemann, Regie führte Gottfried Reinhardt.
Vicki Baum folgte schon 1932 dem Ruf nach Amerika und kehrte bis zu ihrem Tod 1960 nicht mehr nach Deutschland oder Österreich zurück. Ihren Ruhm empfand sie nicht nur positiv, da sie mehr über die Filme als über das Buch selbst bekannt wurde. Dabei war es die Identifikation der LeserInnen mit den Romanfiguren, die das Buch zum Bestseller gemacht hatte: Ob reich oder arm - alle werden um ihr Lebensglück geprellt und entrinnen im Hotel nur für kurze Augenblicke ihrem Schicksal. Damit traf Vicki Baum in der Zwischenkriegszeit den Nerv der Zeit. "... jedes Ladenmädchen spürt: so ist es, genau so sieht es aus, mein Leben, dies ist sein getreuer Spiegel ...", schreiben Erika und Klaus Mann in ihrem Porträt der Autorin, das im Booklet der CD nachzulesen ist.
Es muss an dem bezaubernden Charme des Originals liegen, dass es bis heute in immer neuen Versionen erscheint: etwa 1988 wieder als Hörspiel (RIAS Berlin) und als Hörbücher (2002 in gekürzter Romanfassung im Ullstein Verlag mit Charles Brauer und 2006 bei Random House mit Barbara Rudnik). Das jetzt wieder aufgelegte Hörspiel von 1958 ist also nicht nur überholt, sondern passt als "Zwischending" aus der Zeit der rezenteren Nachkriegsjahre weder zur Originalzeit noch zur heutigen. Hätte man sich für eine wirklich historische Produktion entschieden, die den Tanz auf dem Vulkan der "Goldenen Zwanziger" wiederaufleben lässt, oder für eine zeitgemäße Neuinterpretation, wäre vielleicht ein neuer Stoff, aus dem die Träume sind, entstanden.
Beatrice Simonsen
Mai 2013
Originalbeitrag
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