27.11.-3.12.2017 – Elfenbeinküste

27.11.2017

ein kauz
ein schuss
ein zug
der tag

28.11.2017

Wieder geht das Leben weiter.
Wie gut ist es doch, wenn man einen Oberförster zum Freund hat. Er war wieder da, und ich konnte weiter lernen: daß Buchfinken da sind, wo es Buchen gibt. Die größte Buche am Weg hat der Tornado gefällt. Daß Spatzen gerne bei menschlichen Behausungen leben. Für die bin ich hier wohl zu wenig. Sträucher, die sie mögen, gäbe es schon. Das Rotkehlchen? Wenn es kommt, bleibt es am Boden.
Ja, sie sind jetzt ganz nah in meinem Leben.
Mein Oberförster sagt: es sind viele!

29.11.2017

Angela unter Afrikanern und afrikanischer Sonne in Abidjan. Migrationsgipfel.

Abidjan.
Ein paar Monate nach ihrem Tod kam ich zum zweiten Mal nach Ouaga. Das war schon vor ihrem Tod entschieden worden, die Zeit lief auf den geplanten Termin zu. Ich mochte gar nicht daran denken und wäre wohl nicht nach Ouaga gekommen, wäre da nicht die befreundete Kollegin gewesen, die mich anrief und – als ich sagte: ich glaub, ich schaff das nicht – streng ins Telefon rief: Pack Dein Zeug zusammen und komm her! Du musst weg von dort.
Ich packte also, flog, machte meine Arbeit so schlecht und recht, bei der Erinnerung an die Marie A. musste ich mich schnell umdrehen, weil mir die Tränen kamen. Irgendwie habe ich es geschafft.
Am Ende wollte ich über Burkina hinaus ans Meer. Das Ticket für den Flug mit einer kleinen Maschine nach Abidjan war ein Sieg, den ich mir kaum mehr zugetraut habe.

 Ouaga 12.4.1995

Nächste Woche werde ich den ersten Versuch einer kleinen Reise machen, so wie ich sie mag: ohne Reservierungen, nur mit einem Stadtplan und einer Landkarte auf dem Schoß. Zum ersten Mal werde ich mich im schwarzen Afrika frei bewegen. Namen folgen: Abidjan. Grand-Bassam. Abidjan. Treichville.
In einer Woche bekommen die Namen ein Gesicht.

17.4.1995

Seit die Arbeit getan ist, kann ich schlecht schlafen. Die Ruhe ist weg. Diese Ruhe, wenn ich mich hinlegte. Ganz neu und ganz innen. Der Rückweg steht bevor – ein Rückschritt auch?
Zwei Schritte vor, einer zurück, wenn es denn sein müßte, so dürfte ich mir nicht böse sein dafür.
Im Moment ist mir schleierhaft, wie diese Ruhe möglich war, wo sie herkam und wie sie wiederzufinden wäre.
Vielleicht unterwegs.

Osterspaziergang mit dem Mofa. Die Krippen, die von Weihnachten stehen geblieben sind, und die Kinder, die immer lachen. Die Jungen stellen sich sofort zum Fotografieren auf, strecken stolz den Bauch heraus. Ich brauche nur zu winken. Die Mädchen muß ich auffordern, mit Nicken ermutigen, sie lächeln verschämt, ich muß ihre zaghaften Schritte ins Bild bejahend unterstützen. Und auch dann lächeln sie nur schüchtern.

Diese Kinder. Schwarz schmutzig hungrig. Daß sie immer und überall lachend gelaufen kommen, ist ein Geschenk.

Elfenbeinküste 18.4.1995

Ich hatte einen Traum, der war warm.
Warmer Wind, weiches Wasser, weicher Sand.
Eine Welt ohne Widerstand.
Hier ist sie.
Da bin ich.
Staune und schaue: so also hat mein Traum ausgesehen.

Leben ist: sich etwas vorstellen, ganz tief vorstellen. Dann in die Welt gehen und sich überraschen lassen, wie es über dich kommt.
Ich komme an und weiß: das habe ich gewollt. Die Überraschung ist das Wie.

Gestern:
Der Flughafen von Abidjan ist klein. Zwei Hallen, um darin zu stehen für den Stempel und für das Gepäck. Schon auf dem Weg über das Rollfeld mit den ersten Schritten auf ivorischem Boden packen mich wieder die Magenkrämpfe. Heftig wie noch nie. Warum hier, warum jetzt. Beim Aussteigen aus dem Flugzeug. Durchatmen, durchatmen. Wenn ich mich nur irgendwo hinsetzen, hinlegen könnte, dann wären sie schneller vorbei. Aber es gibt keinen Stuhl, keine Bank, nichts. Hier soll keiner sitzen bleiben, alles ist nur zum Durchgehen gemacht. Ich halte mich an Brüstungen fest, der Schweiß läuft mir von der Stirn, muß durchhalten, bis eine Bank kommt. Dann stehe ich mit meinem Gepäck vor der Tür des Flughafens.

Eine Bank? Von wegen. Nichts, gar nichts. Auf der anderen Seite die Afrikaner, die ein Geschäft machen wollen. Sie kommen nicht über die Straße, Soldaten, Polizei und ein Flughafenbeamter sorgen dafür. Der fragt mich, wo ich hinwolle.

Grand-Bassam mit dem Taxi brousse.
Wenn es hier keine Bank gibt, muß es billig sein.
Die Station sei weit.
Ob ich 500 Francs hätte. Ja. Der Beamte übergibt mich dem Soldaten mit der Anweisung, mich zum Taxi zu bringen. Der soll mich zum Buschtaxi fahren für 500 F. Auf dem kurzen Weg, es sind nur ein paar Schritte, mindestens fünf Angebote für die Fahrt nach Grand-Bassam. Der Soldat schüttelt sie ab, setzt mich in das Taxi mit dem Befehl: 500! Ich falle auf den Rücksitz. Sitzen! Liegen. Nicht wieder hinaus müßen. Als der Fahrer das Angebot macht, mich selbst nach G-B. zu fahren, weiß ich, daß ich das tun werde, wenn mein Geld noch reicht. Angebot: 15000. Ich: 10000. Er nimmt an. Wir fahren.

Palmen vor dem Fenster. Meer. Märkte unter Palmen am Meer. Ich liege im Auto. Die Schmerzen lassen nach. Ich beginne zu ahnen, was kommt. Ich lasse den Fahrer das Hotel aussuchen. Alles ist nah. Er hat noch ein gutes Geschäft gemacht. Wo er hält, bleibe ich. Mache ein paar noch unsichere Schritte und bin am Meer. Im warmen Wind unter den Palmen. Lasse mich auf ein Bett fallen, das für mich bereit ist, neben einem schlafenden Hund, der mich erkennt. Und ich denke: hier gehe ich nie nie nie wieder weg. Vor einer Stunde bin ich angekommen, jetzt lande ich in meinem Traum. Ich erkenne ihn wieder. Genau. So sah er aus. In den letzten Tagen hatte ich ihn vergessen. Jetzt ist er da.

Ich werde die Brandung hören Tag und Nacht.
Den Wind. Tag und Nacht.

Vier Hunde bewachen uns. Einer kommt nachts zu mir, als ich in der Hängematte liege. Legt seine Pfote auf meinen Arm. Ich kraule ihm den Kopf, den Hals. Er legt den Kopf zurück und schließt die Augen. Als ich aufhöre mit dem Kraulen, legt er wieder die Pfote auf meinen Arm. Ich kraule wieder. Das machen wir ein paarmal. Dann legt er sich neben mich in den Sand. Mondschein versilbert die Shoreline. Die Sonne wird wieder aufgehen. Dann wird der Hund unter meinem Liegestuhl schlafen.

Wie lange muß man hier leben, bis man das Klappern der Palmenblätter nicht mehr für klopfende Regentropfen hält, die langsam und schwer zu fallen beginnen.
Oder bis man bei bedecktem Himmel erleichtert aufatmet und bei anhaltendem Regen nicht mehr traurig wird.

Grand-Bassam: ausgefranster Asphalt, gestürzte Ränder.
Von vielen Regenzeiten fortgespült. Unterlaufen.
In der Mitte steht der Asphalt noch. Einen halben Meter höher. Unbefahrbar.

Die Gesichter der Weißen, die mit Schwarzen leben, sind meist ausdruckslos. Wann kann ein Weißer für einen Schwarzen ein Spiegel sein und umgekehrt? Schwarzer Spiegel – weißer Spiegel?

22.4.1995

Wie kommt es, daß ich denke, der Atem des warmen Windes, der vom Wasser kommt, sei alles, was ich brauche. Daß ich in dieses Wasser auch noch tauchen kann, ist schon fast zu viel des Guten von dieser Welt.

Stunde um Stunde lasse ich das anstrengende Afrika hinter mir: die Städte, die Märkte, die Hitze ohne Wind. Wo die nasse Kleidung an den Körper zurück klatscht und das Wasser an den Hosenbeinen breite Spuren hinunter zieht.

Vorgestern war ich die Nr. 31 in der Reihe, die bis 34 reichte, um in den Bus nach Abidjan einzusteigen.

Der Junge, der gesehen hatte, wie ich eine wartende Frau gefragt habe, wo ich ein Ticket kaufen könnte, fordert mich auf, ihm schnell zu folgen, läuft zu einer Bude, die – wie ich jetzt erst erkenne – ein Fensterchen hat, das verschlossen ist. Der Junge treibt mich zu erhöhter Eile in die andere Richtung, ich folge seinem froschgrünen T-Shirt mit vielen Löchern vor eine andere Bude. Wieder ein Fenster, 20×30 cm groß.
Arme, Hände mit Geldscheinen, Stimmen dahinter.
Der Junge treibt mich an, ist unzufrieden, weil ich nicht sofort meinen Arm, meinen weißen Arm dazwischen dränge. Zuletzt gelingt es mir doch. Das Geld wird aus meiner Hand genommen. Ich sage: Abidjan. Abidjan-Plateau. Eine Münze wird in meine Hand gelegt, eine zweite fällt daneben. Jetzt schiebt der Kleine mich in eine Reihe. Da stehe ich nun. Drei Männer stellen sich hinter mich. Dann ist Schluß.

Ich werde nach Ouaga zurückgespult.
Ich hole den fast vergessenen silbernen Ring hervor, den zwei Tuareg am Stand von Grand-Bassam zu mir gebracht haben, und möchte ihn wie gewohnt am Mittelfinger drehen. Geht nicht. Da passt er nicht mehr hin.

Unsere Bundeskanzlerin und die Fluchtursachen.
Dann folgen Beispiele für den Erfolg, den Mikrokredite haben können: die Schneiderin und der Bäcker in Ouagadougou. Dass 80% der Kredite zurückgezahlt werden, berichtet der deutsche Ökonom.
Und Timbuktu?
Wer gibt schon Geld dorthin, wo die Islamisten lauern. Auch Oikokredit geht da nicht hin.
Ich habe es einmal gemacht, da gab es dann das Internetcafé, bis die Islamisten wiederkamen.

Jetzt ist Mahamanes Onkel gestorben, in Niafounke, der Stadt von Ali Farka Toure.
Mahamane muß mit sechs Familienmitgliedern mit einer Pinasse dorthin fahren. 200 € braucht er dafür und für den Dezember. Ich sollte gar nicht damit anfangen, darüber nachzudenken, wie nötig ich das finde. Nein, sollte ich nicht.
Dass die Fahrt gefährlich ist, schreibt Mahamane. Immer muß man auf Angriffe gefaßt sein.
Ich sage ihm die Transaktionsnummer und wünsche ihm eine gute Reise.

2.12.2017

Erfolgsmeldung: Scharen von Tannenmeisen und ein Stieglitz haben mich gefunden! Ein Rotkehlchen hüpft unter dem südlichen Vogelhaus herum. Und waren da nicht Spatzen ums Westhaus?
Ich bin so froh. Und dankbar für diese Lebendigkeit.
Nicht ganz oben und nicht mehr unten – in der Mitte eben, die zu finden uns doch immer empfohlen wird.
Soll ja keine Mittelmäßigkeit sein.

3.12.2017

Das habe ich gut gemacht.
Denke ich, wenn ich „meine“ Vögel sehe. Oder wenn ich an sie denke, vor dem Einschlafen und nach dem Aufwachen.
Es ist ein so gutes Gefühl: das hast du gut gemacht.
Hat es schon lange nicht mehr gegeben.
Und es wird noch besser. Ein Buchfink war da, zweimal und nur kurz, aber er hat mich gefunden.
Wie man sich über einen einzigen Vogel nur so freuen kann. Er hat mir so sehr gefehlt.
Auch Spatzen kommen näher. Ich darf ein Spatzenreihenhaus kaufen! Oder zwei?

Wünschen würde ich mir dieses Gefühl – das habe ich gut gemacht – wenn ich ohnesinn in einem Monat loslasse.
Dann sind zwölf Mondmonate vorbei.

Heute Nachmittag ist Vollmond, dann beginnt das Ende dieses Jahres.
Alles wird weitergehen, nur weiß ich noch nicht wie.


Aus Heide Tarnowski: überallundnirgends. 2017 mit 74 – Ein Tagebuchroman. Sonderausgabe von literaturkritik.de im Verlag LiteraturWissenschaft.de