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Ausschnitt aus DIE ROSEN DER AFARIS von Katja Brandis
Elissja war an der Reihe vorzutanzen. Doch weil ihre Beine vom Üben am Vortag schmerzten, gelang es ihr nicht, so graziös auf die Füße zu kommen wie Meister Pihar das gerne sah. Sie musste sich sogar beim Aufstehen am Boden abstützen. Elissja spürte, wie ihr vor Verlegenheit das Blut ins Gesicht schoss. Mitfühlend, kritisch oder schadenfroh schauten die anderen Schülerinnen zu. Elissja wandte sich von ihnen ab, versuchte sie alle zu vergessen. Das Gefühl, beobachtet zu werden hatte sie nie gemocht und der stechende Blick, mit dem Meister Tero Pihar jede Bewegung registrierte, hätte wahrscheinlich auch eine erfahrene Tempeltänzerin unruhig gemacht. ![]() Farcuhar Kendran kniete vor dem Altar der Göttin, die jetzt schon seit vier Jahren seine Göttin war, und beugte den Kopf vor Afaris. Heute waren schon viele Gläubige hier gewesen, die Auffangrinne um die Statue war randvoll. Es war ein warmer Tag, und das Blut verströmte einen fauligen Geruch. Fliegen surrten um Afaris-Statue, ließen sich immer wieder auf ihrer schwärzlichroten Kruste nieder. Farcuhar versuchte, der Göttin all seine Gedanken zu widmen, und es fiel ihm leicht. Gedanken an den Tod strömten in seinen Kopf, füllten ihn aus wie eine mächtige Flut. Und wenn er die Augen schloss, sah er eine lebende Afaris vor sich, die Stirn mit einem Perlengehänge geschmückt, ihr Lächeln, dieses feine, grausame Lächeln, das auch die Statue im Tempel trug. Sie wird bald wieder das größte Opfer fordern, dachte Farcuhar, als er sich erhob. Er horchte in sich hinein, versuchte festzustellen, ob ihm das etwas ausmachte, und stieß nur auf eine große Leere. Manchmal erschreckte ihn diese. Er versuchte sich zu erinnern, ob es anders gewesen war in seinem früheren Leben. Nein. Auch damals hatte er schon getötet, nur eben nicht in Afaris Namen, sondern in dem seines Regenten, in Gefechten mit dem Feind. Kein großer Unterschied. Ein monotoner Gongschlag hallte durch den Tempel, rief ihn zu einem Gläubigen. Aus dem Augenwinkel bemerkte Farcuhar, dass sich eine Frau durch den Seiteneingang geschlichen hatte. Sie trug ein schlichtes, braunes Stoffkleid und flache Sandalen, die Haare hatte sie sich zurückgebunden. Als Farcuhar sah, dass sie nur ein halbes Dutzend gelbe Rosen trug, beachtete er sie nicht länger. Das war nur eine mindere Opfergabe, mit der er sich nicht befassen musste. Die Dämmerung brach herein, und das war immer die Zeit, in der die meisten Gläubigen kamen. Unerkannt schlüpften sie aus ihrer gemütlichen Wohnstatt, opferten der Göttin und hasteten zurück. Farcuhar verachtete ihre Feigheit. Beneiden? Nein, sie um ihr Leben zu beneiden kam ihm nie in den Sinn. ![]() Als Elissja heimkam, sah sie, dass auf dem Esstisch eine gelbe Rose stand. Wieder einmal. Elissja konnte die Dinger nicht ausstehen sie dufteten nicht süßlich wie andere Blumen, sondern rochen herb, fast unangenehm. Warum kaufte ihre Mutter sie so oft? Gut, es war eine alte Familientradition, aber verdammt, für den gleichen Preis hätte sie bestimmt ein halbes Pfund Süßbrot bekommen, das wäre doch mal eine schöne Abwechslung gewesen. Elissja begann, Wasser zu erhitzen und die Schmutzwäsche darin einzuweichen. Es war eine harte Arbeit, und sie hasste es, wie aufgesprungen und rau sich ihre Hände danach anfühlten. Wenn sie erst einmal ausgebildete Tänzerin war und eine Anstellung gefunden hatte, konnten sie sich hoffentlich leisten, das ganze Zeug zu einer Wäscherin zu geben, so wie die Familie ihrer Freundin Khona. Wenigstens konnte sie sich heute mit Gedanken an Jantek ablenken. Wenn er da war, schien alles so leicht, dann war das Leben für einige Tage ein Spiel, ein Fest, ein Tanz. Sie würden zusammen lachen, eigenartige Rezepte seines Meisters nachkochen, sich über Tero Pihar lustig machen, den Marktstand ihrer Mutter heimsuchen und mit Jonglierkunststückchen Kundschaft anlocken. Schon jetzt musste Elissja lächeln, wenn sie daran dachte. Es war dunkel geworden, und sie zündete eine Laterne an, um den schmucklosen Bade- und Waschraum zu erhellen. Schatten begannen an der Wand zu tanzen, und als Elissja von der Wäsche aufblickte, erschrak sie. Einen Moment glaubte sie, dass sie aus der Dunkelheit ein Gesicht anblickte, das einer schönen Frau mit mandelförmigen Augen und vollen Lippen. Aus dunklen Augen ausdruckslos wie die eines Reptils beobachtete sie Elissja, dann streckte sie die Hände aus und spreizte dabei die Finger. Unnatürlich lange, spitze Finger. Klingenfinger! Elissja blinzelte, und von einem Moment auf den anderen war die Erscheinung verschwunden. Nur ein Trugbild, den Göttern sei Dank. Sie setzte sich, damit ihr rasendes Herz zur Ruhe kommen konnte, und drehte den Docht der Lampe höher. Sie war froh, als sie den vertrauten Klang der Schritte ihrer Mutter im Flur hörte. Mit einem leisen Quietschen öffnete sich die Tür des Waschraums. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, sagte ihre Mutter, seufzte und strich Elissja zärtlich über die Schulter. Immerhin, ich habe noch ein paar große Töpfe verkauft. Wenn der Tag morgen auch so gut wird, können wir uns zur Einkehr einen Braten leisten. Elissja versuchte zu lächeln und schaffte es nicht. Schön, sagte sie mechanisch, und dann brach es plötzlich aus ihr heraus. Eben hatte ich so eine Art Vision. Es war eine Frau, eine furchtbare Frau Was für eine Frau? Die Stimme ihrer Mutter klang heiser. Es sah aus, als hätte sie Nadeln oder Klingen auf den Fingern. Nervös lachte Elissja. Das sah gruselig aus, ich habe mich ganz schön erschreckt, aber ich glaube, es war nur mein eigener Schatten. Doch als sie den Ausdruck auf dem Gesicht ihrer Mutter sah, verstummte sie und begriff. Nein, es war kein Schatten gewesen und auch kein Trugbild. Vielleicht nicht einmal eine gewöhnliche Vision. Sondern etwas sehr viel Schlimmeres. Weitere Leseproben[Zurück zum Buch] |
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