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![]() Leseprobe 3-Alraunen
Zwei, drei Sekunden lang geschah nichts. Lena wollte schon ihre Hand zurückziehen. Doch plötzlich kam Wind auf. Er fühlte sich auf ihrer Haut zuerst warm und sanft an, steigerte sich aber schnell zu einem heftigen Sturm. Ein Licht brach aus dem Baum hervor und hüllte Lena ein. Die Erde vor ihren Augen drehte sich, löste sich auf, und sie wurde in einem rasanten Wirbel hochgerissen. Lena schrie. Dunkelheit umfing sie. Kurz darauf spürte sie wieder Boden unter ihren Füßen. Vor sich sah sie ihren ausgestreckten Arm. Ihre Hand lag nicht mehr auf der Eiche, sondern auf einem Felsen. ![]() Als der Morgen dämmerte, erwachte Lena. Ihre Glieder taten weh. Sie rieb sich über Arme und Beine, um die spitzen Steinchen loszuwerden, die sich in ihre Haut gedrückt hatten. Wieso lag sie hier zwischen Felsen und Sträuchern? Nur allzu schnell fiel ihr alles wieder ein. Ein Druck, schwer wie Blei, legte sich über ihre Brust. Sie versuchte, ihre Kraft zu sammeln. Vielleicht hatte sie gestern in ihrer Aufregung etwas verkehrt gemacht. Sie musste gleich noch einmal zu der Stelle am Fels gehen und die Worte sagen, die sie nach Hause brachten. Lena wollte sich gerade vom Boden erheben, da hörte sie plötzlich in der Nähe flüsternde Stimmen. Erschrocken duckte sie sich unter die Büsche. Eine der Stimmen schien ihr bekannt. Sie klang seltsam knirschend, als wenn Sand zwischen den Zähnen wäre. Der Alraun, der sie gestern verjagt hatte! Lena wurde es ganz heiß. Er durfte sie nicht entdecken. Vorsichtig tastete Lena über den Boden und griff mit klopfendem Herzen nach einer Handvoll Schotter. Die Stimmen kamen näher. Schritte raschelten im Gras. Der schwankende Lichtschein einer Laterne huschte über Lenas Gesicht. Gleich darauf beugte sich ein weißbärtiger Mann zu ihr herunter. Die Kapuze seines knöchellangen Umhangs verhüllte seinen Kopf. Außer dem Bart sah sie kaum etwas von seinem Gesicht. Er schwenkte die Lampe. »Hier ist sie!« Lena hob einen Arm, um sich vor dem blendenden Licht der Lampe zu schützen und duckte sich noch mehr ins Gebüsch. Ihre Faust, auf der sie sich abstützte, umklammerte die Steinchen. »Lasst mich in Ruhe, ich habe euch nichts getan!« »Steh auf!« Lena zuckte zusammen. Die Worte des jungen Mannes neben dem Bärtigen zischten auf sie nieder wie ein Peitschenhieb. Sie konnte seine Gestalt im Licht der Laterne gut erkennen. Auch er war in einen Umhang gekleidet. Darunter blitzten ein helles Hemd und seine Kniehose hervor. Vermutlich war er nicht einmal viel älter als Lena. Sein Gesicht erschien ihr kantig. Aus blauen Augen schaute er finster auf sie herunter. Lenas Lippen begannen zu zittern. »Verschwindet und lasst mich in Ruhe«, schrie sie so wild heraus, dass sie selbst erschrak. Der junge Mann machte einen Schritt auf sie zu, aber Lena streckte ihm abwehrend einen Arm entgegen. »Ich kann alleine aufstehen.« »Ruhig Blut!« Der Mann mit der Laterne hielt den Jüngeren zurück. Lena rappelte sich vom Boden auf. Den Schotter behielt sie in der Faust, verborgen hinter ihrem Rücken. Sie heftete den Blick fest auf die beiden Männer. Keiner durfte sehen, dass sie vor Angst fast umkam. »Wie heißt du?«, fragte der Ältere. »Achtung, die versteckt was hinter ihrem Rücken«, knirschte die Stimme des Alraun. Lena sah voll Abscheu zu ihm hinunter. »Sag uns deinen Namen«, wiederholte der Bärtige noch einmal seine Frage. Den Alraun schien er im Augenblick gar nicht zu beachten. »Lena Siever«, gab sie widerwillig Auskunft. Lena sah sein Gesicht jetzt besser. Der Ausdruck darin wirkte interessiert, aber nicht bedrohlich. Trotzdem blieb sie vorsichtig, zumal der Junge neben ihm nicht gerade milde schien. Er beobachtete Lena genau. »Sie scheint zu den Korria zu gehören«, sagte er zu seinen Begleitern und wandte sich dann wieder heftig an Lena. »Wie kannst du es fertig bringen und dich Tahereh anschließen. Hat Alyssa nicht gerade euch Feen immer in ihrem Licht erstrahlen lassen?« »Ich weiß gar nicht, wovon du sprichst«, erwiderte Lena genauso heftig und registrierte erst dann, dass er sie eine Fee genannt hatte. Es verwirrte sie. War das als Spott gemeint, wie bei den Jungs aus ihrer Schule, die sie einen vampirgesichtigen Rauschgoldengel genannt hatten? Es klang so, als ob er an-nahm, dass Lena tatsächlich eine Fee sei. Eine, die sich etwas hatte zuschulden kommen lassen. Es machte sie wütend. »Ich bin keine Fee, wie auch immer du das meinst, und was auch immer ihr mir unterstellen wollt, es ist nicht wahr! Also lasst mich in Ruhe, damit ich nach Hause kann. Wenn ich hier weg bin, werde ich garantiert keinen Fuß mehr hierher setzen. Ich will zur Eiche zurück und dann werde ich die Worte vergessen.« »Eiche?« Der Ältere hob überrascht die Augenbrauen. »Eiche, ha!«, sagte der Jüngere. »Die sind in den Nebeln verschwunden.« Lena antwortete nicht. Sie war zu aufgewühlt, und weil sie immer noch nichts gegessen hatte, knickten ihr jetzt in einem Schwächeanfall die Beine weg. Der Schotter rieselte aus ihrer einen Hand, und als sie sich mit der anderen an den Büschen festhalten wollte, griff sie ins Leere. Lena bekam mit, wie der Junge sie auffing und das passte ihr gar nicht. Der Alraun mischte sich auch noch ein. »Sie hatte Steine«, knarrte er triumphierend. »Wir gehen mit ihr zum Turm.« Der ältere Mann sagte das in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Wir essen gemeinsam und dann reden wir in Ruhe.« Er wandte sich an Lena, die noch kraftlos in den Armen des jungen Mannes hing. »Ich bin übrigens Meister Kieran, der Junge da ist Finley und unser aufmerksamer Alraun hier heißt Gustav.« »Die wollte uns erschlagen.« »Gustav, mach deine Augen auf«, rügte Meister Kieran. Lena mühte sich, ihre Schwäche zu überwinden und die Stütze des jungen Mannes loszuwerden. Er war ihr durch seine Hilfe nicht sympathischer geworden. »Lass mich los«, sagte sie mit seltsam leerer Stimme. Finley legte Zeige- und Mittelfinger auf Lenas Nasenwurzel und sie spürte einen Energiestrom durch ihren Körper fließen. Es stärkte sie, aber es machte sie auch erst recht misstrauisch. Dann ließ Finley sie so plötzlich los, dass sie fast wieder ge-strauchelt wäre. »Bitte«, sagte er. Meister Kieran wandte sich ab, um anzudeuten, dass sie aufbrechen sollten. Lena trat einen Schritt zurück. »Ich gehe nicht mit!« »Wir tun dir nichts. Wir sind friedliche Leute«, sagte Kieran, »und du brauchst etwas zu essen.« »Ich will nach Hause!« »Hä, und wo ist dein Zuhause?«, schnarrte Gustav. Meister Kieran warf ihm einen warnenden Blick zu. »Nicht hier.« Finley sah Lena mit zusammengekniffenen Augen an. »Wo dann?« Lena schüttelte den Kopf. »Ihr glaubt mir ja doch nicht.« »Versuchs!« Lena stieß einen Seufzer aus. Sie deutete mit dem Daumen auf den Fels und hoffte, dass ihre Stimme überzeugend klang. »Hier ist das Tor in meine Welt. Es wird sich öffnen, wenn ich die Worte sage.« Finley lachte kalt. »Eine bessere Ausrede ist dir nicht ein-gefallen? Das Tor im Berg hat sich seit vielen Jahren nicht mehr geöffnet. Niemand kann hinein und niemand heraus. Sag lieber die Wahrheit.» »Ich sage die Wahrheit. Ach, lass mich doch in Ruhe, ich geh jetzt nach Hause!« Lena stieß ihn weg und ging zu dem Felsen. Finley lief ihr hinterher. »Das Tor öffnet sich nicht und wenn du tausendmal die Worte sagst. Glaubst du, wir würden nicht gerne in die Welt der Menschen gehen? Ich hab sie noch nie gesehen und wenn ich und wir alle hier nicht durch das Tor kommen, dann kannst du es auch nicht. Keiner kann es, verdammt noch mal.« Seiner Stimme war anzuhören, dass er wütend war. Nicht nur auf Lena, sondern auch darauf, dass ihm der Weg zur Welt der Menschen versperrt war. »Ich bin durch das Tor gekommen. Ich habe die Worte gesagt, die es geöffnet haben.« Lena legte ihre Hand auf den Fels, genauso wie gestern und betete, dass es diesmal klappen möge. Die anderen beobachteten sie. »Terra Antiquerra!« Es passierte nichts. Kein Wind wehte, kein Licht strahlte auf. In Lenas Hals bildete sich ein Kloß. »Terra Antiquerra! Terra Antiquerra!« Sie schrie die Worte fast. Finley schüttelte den Kopf. »So wird das erst recht nix. Du bist ja schon hier. Wenn schon, dann « »Finley!« Die Stimme von Meister Kieran klang scharf. »Denk nach! Sie ist durch das Tor gekommen.« Finleys Augen wurden auf einmal groß und rund. »Du meinst, sie ist « Kieran nickte. »Wer von uns würde sich vor den Berg stellen und diese Worte sagen?« Seine Stimme war plötzlich nur noch ein Flüstern. Gustav, der Alraun, hob langsam beide Hände vor den Mund. Er stammelte. »Eine Fata, sie ist eine Fata!« Lena starrte ihn an. Eine Schockwelle lief durch ihren Körper. Woher wussten die, wie ihre Mutter sie genannt hatte? Kieran trat unvermittelt hinter sie, umfasste ihre Schultern und zog sie vom Felsen weg. »Komm Lena, wir gehen zum Turm. Dort können wir reden.« »Nein! Ich will nach Hause.« »Lena, wir glauben dir!« Kieran drehte Lena um, sodass er ihr in die Augen sehen konnte. »Du hast das Tor geöffnet. Aber du kannst nicht zurück. Tahereh würde es merken.« Lena riss sich mit einer heftigen Drehung ihres Körpers los. »Niemals bleibe ich bei euch!« »Die Worte, die du sagst, werden das Tor nicht öffnen. Also sei vernünftig und komm mit uns.« Kieran griff ihre Hand, doch Lena stemmte die Füße in den Boden und streckte sich nach dem Felsen aus, um ihn zu berühren. »Terra Antiquerra! Terra Antiquerra! Hilfe!« Lena wand sich in seinem Arm, wehrte sich mit aller Kraft. Er ließ sie los, doch Finley stand schon an seiner Stelle bereit. Er packte Lena, zerrte sie vom Felsen weg und schob sie die Wiese hinauf. Weitere Leseproben
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