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Leseprobe 3 - 7. Flirten für Anfänger
An dem Punkt, an dem das Bett auseinander krachte, fluchte Martin, schleuderte das Buch auf den gefliesten Boden und presste sich die Hände auf den Bauch. Zeitverschwendung, was auch sonst! Mit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung über Blutsauger war er längst durch und auch mit den Horrorklassikern, jetzt stieg er hinab in die Tiefen der Girlie-Liebesschnulzen. Vampirsex, klar doch! Als jemand, der zu Lebzeiten fast täglich masturbiert hatte, konnte Martin nur sagen: Unterhalb des Hosenbunds war alles tot. Er war als Jungfrau gestorben und würde es bis in alle Ewigkeit bleiben. Die einzige Ekstase, die es jetzt noch gab, war das Blut und das kam mit einem Preis.
Martin zog die Beine an und legte das Kinn auf die Knie. Er starrte auf das Guckfenster der Waschmaschine, hinter dem seine Jacke, die beiden Hemden, Pullunder, Jeans, Stoffhose und Socken ihre Runden drehten. Er trug nur ein Paar grauweiß karierte Shorts, weithin sichtbar für jeden, der draußen an dem hell erleuchteten Fenster des Waschsalons vorbeiging. Doch das war ihm egal. Er hatte genug von Grasflecken und Modergeruch. Und es verlangte ihn nach Licht.
Wenns nur so wäre! Wenn das größte Problem, das Vampire mit der Sonne hätten, ein Funkeln wäre! Niemals hätte Martin es für möglich gehalten, dass er die Sonne vermissen würde. So viele Sommertage hatte er mit vorgezogenen Gardinen im Zimmer verbracht, Ventilatoren aufgestellt und sich den Regen herbeigesehnt. Hatte sich mit seiner Verwandtschaft zerstritten, weil er nicht im Garten grillen wollte, und schlechte Noten in Leichtathletik kassiert, weil er sich weigerte, in der Hitze einen Ausdauerlauf zu machen. Jetzt hätte Martin sonst was dafür gegeben, um noch ein einziges Mal zu spüren, wie die Strahlen seine Haut erwärmten, zu sehen, wie das Licht Spinnennetze im Gebüsch in glänzende Perlenketten verwandelte, die Farben ...
Ja, sonst was aber nicht sein Leben.
Das grelle Neonlicht enthüllte ein fleckiges Laminat, festgetretenes, feuchtes Laub und Haarballen in den Ecken. Grau in Grau. Die Waschmaschine rumpelte und wackelte im finalen Schleudergang. Martin stemmte sich hoch, da krampfte sich sein Magen zusammen. Ein Zittern lief durch seinen Körper und plötzlich hatte er wieder diesen fauligen Geschmack auf der Zunge. Er versuchte, auszuspucken, doch sein Mund war trocken. Er beugte sich vor und stützte die Hände auf die Knie. Ich will mich übergeben, warum kann ich mich nicht übergeben, lass es vorbeigehen, lass es vorbeigehen ...
Dieser verdammte Köter! Erst der Riss im Jackenärmel, dann dieses schmutzige Fell im Mund und das Gefühl, als ob eine ganze Flohparade in sein Haar übersprang. Dieser verdorbene Geschmack des Blutes hätte ihm Warnung genug sein sollen. Aber Martin hatte einfach mal Ruhe haben wollen. Wollte seinen Hunger stillen, ohne dass ihm sein Opfer den Kopf vollkreischte und sein Hirn mit fremden Erinnerungen flutete. Was war das für ein dämlicher Preis für die Macht eines Vampirs! Der Hund hatte gejault und gefiept, aber nur in seinen Ohren, nicht mehr. Dafür hatte er Martin mit seinem Blut vergiftet. Sein untoter Körper hatte offenbar keine Möglichkeit, das Zeug wieder loszuwerden. Kotzen und Pinkeln gehörte genauso der Vergangenheit an wie Wichsen.
Der Krampf ebbte ein wenig ab. Gebückt schlurfte Martin zu der Waschmaschine und holte die feuchten Klamotten heraus. Jetzt rochen sie zwar nicht mehr nach Gruft, aber auch nicht annähernd so gut wie früher, wenn seine Mutter die Wäsche gemacht hatte.
Früher. Vor einer Woche hatte das Semester wieder begonnen. Die Gerüchteküche über sein Verschwinden und den Tod seiner Nachbarin kochte wahrscheinlich. Vor einem Monat noch war alles in Ordnung gewesen. Er war nach einem Wochenende bei den Eltern in Ingolstadt nach Eichstätt gefahren, um pünktlich zur Montagnachmittagsschicht im Rechenzentrum zu sein. Ohne zu ahnen, dass er seine Mutter nicht als Lebender wiedersehen würde. Überhaupt je wiedersehen würde? Sie ist eine ganz andere Spezies, jetzt. Beute. In drei Tagen kann ich einen Monat als Blutsauger feiern. Er dachte an das Grinsen des Vampirs, wie er an seinem Auto gelehnt hatte. »Bin neugierig, wie viele Tage du durchhältst.« Soll die Sonne diesen verdammten Kerl verbrennen!
Mit dem Stapel nasser Klamotten im Arm tapste Martin die zwei Stufen zu dem Hinterzimmer hinauf, in dem die Trockner standen. Gerade setzte sich die Trommel in Bewegung, da hörte er die Tür zur Straße aufgehen. Mit dem Gestank nach Zigarettenrauch wehte ein Hauch von Pfirsichshampoo, Schaumfestiger und Deodorant herein. Unwillkürlich ging Martin hinter der Türöffnung in Deckung und beobachtete die junge Frau, die mit einer Sporttasche über der Schulter den Waschsalon betrat. Ihr blondes Haar war zu einem praktischen Pferdeschwanz zusammengefasst, doch selbst die Jeans und die Regenjacke konnten nicht verbergen, dass sie eine gute Figur hatte.
Als ihr saftiger Eigengeruch den Dunst von Kosmetikmitteln durchdrang, sprang der Hunger in Martin auf. Einen Moment konnte er kaum einen klaren Gedanken fassen. Die Heilung. Da ist sie!
Die Frau hockte vor einer Maschine und füllte die Trommel. Sie fuhr auf, als er plötzlich neben ihr stand. Ihre zuckende Halsader war fast auf einer Höhe mit Martins Mund. Er zwang sich, den Blick zu heben und in ihre Augen zu starren. Das Brüllen des Hungers übertönte seine Verlegenheit. »Guten Abend, kann ich dir was helfen?« Nimm sie! Nimm sie!
Sie zog einmal kurz die Mundwinkel nach oben. Schade, das Gesicht zu so einem Sixpack.
Hatte er das gehört oder sich nur eingebildet?
»Nein, danke, ich hab das schon öfter gemacht.« Sie ging wieder in die Knie und griff nach einem dunkelblau-glitzernden Oberteil, doch es schien, als zögere sie, ihren Blick von seinem zu lösen.
Du willst mich. Du willst mich. Ich werde dich haben. Martin versuchte, nicht so breit zu lächeln, dass sie seine Eckzähne sehen konnte. »Gute Party am Wochenende? Ich wette, du siehst toll aus in dem Outfit da.«
Die Frau kräuselte die Lippen, blinzelte und runzelte leicht die Stirn. Nicht wegsehen! Schau mir in die Augen, Kleines!
Die Tür schwang auf. »Hey, alles in Ordnung?«
Sie drehte sich zu dem Sprecher um. Verdammt!
Zwei Männer und eine Frau, Jacken und Atem voller Zigarettenrauch. Der Kerl, der neben die Frau trat, hatte die gleichen hohen Wangenknochen, die gleiche schmale Nase, doch dunkleres Haar. Das Pärchen blieb ein Stück zurück.
»Alles in Ordnung.« Die Frau wandte sich wieder Martin zu und setzte ein Lächeln auf, so falsch wie aus einer Zahnpasta-Werbung. »Ich wünsche dir noch einen schönen Abend.«
Ihr Bruder warf Martins Shorts einen strengen Blick zu, doch als er mit seiner Musterung bei seinen Hamsterbacken angekommen war, verzog er den Mund zu einem Grinsen. Er sagte nichts, doch diesmal musste Martin keine Gedanken lesen können. Er kannte diesen Gesichtsausdruck nur zu gut. Er hatte ihn die ganze Schulzeit hindurch gesehen. Stadler, Radler, Pickelkrater.
Martin griff zu und drehte dem Arschloch den Arm aus dem Gelenk. Der Typ sackte zusammen, die Augen aufgerissen. Martin ruckte noch einmal und hielt den abgetrennten Arm in der Hand. Erst jetzt begann sein Opfer zu schreien. Zwischen Muskelfetzen und abgerissenen Sehnen schoss das Blut hervor und schwängerte die feuchte Luft mit seinem Dunst. Martin sank auf die Knie und ließ den Strom über sein Gesicht laufen, öffnete den Mund und trank. Jede Faser seines Körpers jubilierte.
Das Pärchen wandte sich zur Tür, doch ihre Bewegungen waren lächerlich schwerfällig. Martin riss die Waschmaschinentür aus den Angeln und warf sie den beiden zwischen die Beine. Sie stürzten übereinander und er hörte das Handgelenk des Mannes brechen, als der sich abfangen wollte. Mit drei Schritten war er bei der Frau und riss sie an ihrer braunen Mähne mit den kupfern gefärbten Strähnchen in die Höhe. Sie kreischte los, doch Martin drückte ihr die Kehle zu und trat gleichzeitig ihrem Freund, der sich auf die Knie aufrichtete und sein Handgelenk umklammerte, in den Nacken. Es knackte wieder und diesmal blieb er unten. Martin nahm zwei, drei Schlucke von der Braunhaarigen, solange ihr Herz noch schlug. In seinem Kopf drehte sich alles.
Der Bruder stöhnte noch einmal und zuckte mit den Beinen, doch sein Herz stolperte immer wieder und setzte aus. Seine Schwester war mit dem Rücken an der Waschmaschine herunter geglitten. Die roten Spritzer zeichneten Spuren auf ihre weißen Wangen, wie ein modernes Kunstwerk. Sie regte sich nicht, als Martin auf sie zutrat und sich mit dem Unterarm das Gesicht abwischte. Ihr Blick verlor sich in der Lache, die sich auf den Fliesen ausbreitete.
Wunderschön, einfach wunderschön. Martin wollte etwas sagen, doch sein Mund konnte keine menschlichen Laute formen. Er setzte sich neben sie und zog sie an sich. Schlaff wie eine Puppe hing sie in seinen Armen. Er bog ihren Kopf nach hinten und biss zu.
Das Geräusch von Sirenen holte ihn in die Realität zurück. Hinter der Glasfront sah er ein paar blasse Gesichter mit aufgerissenen Mündern aufblitzen. Blaue Lichtstreifen liefen die Häuserfront entlang.
Martin schob die Leiche von seinem Schoß und richtete sich auf. Er ging ins Hinterzimmer, stoppte den Trockner, zog Jeans und Hemd an. Der klamme Stoff klebte an seinen Oberschenkeln. Den Rest, feucht, wie er war, stopfte er in seine Tasche und warf sie sich über die Schulter.
Draußen standen drei Streifenwagen quer über der Kapuzinerstraße. Ein Beamter drängte gerade die Kunden der gegenüberliegenden Tankstelle von den Zapfsäulen weg. Die anderen nutzten ihre Autos als Deckung und hielten ihre Waffen im Anschlag.
Martin riss die Tür auf, setzte über den Streifenwagen zu seiner Linken hinweg und verschwand Richtung Isarufer. Hinter sich hörte er einen Schuss.
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