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Der Fluch der Halblinge - Kapitel 3: Eine Art Bund
Glaubt nicht, was ihr hört, und erst recht nichts, was ihr nicht hört. Achtet nicht auf Gerüchte oder Erinnerungen, dies alles hat nichts zu bedeuten. Das Hier und Jetzt und das, was kommt, das ist es, was zählt. Das Alte ist vergangen und kehrt nie wieder. Es kann euch nicht helfen. Tuagh schien nicht zu bemerken, wie aufgewühlt der junge Bogin war, denn er fing an, seine Sachen zusammenzupacken. Er war nicht der Einzige. Nach und nach brachen auch andere auf. Es war spät geworden, und alle hatten das eine oder andere zu tun, oder sie waren schlicht müde. »Und was hast du vor?«, fragte Fionn scheinbar beiläufig. Er hatte den Satz einige Male im Stillen geübt und hoffte, dass er den Tonfall richtig traf. »Ich meine, nicht dass ich mich erneut deiner annehmen muss«, fügte er scherzhaft hinzu, doch sein Lächeln geriet sehr schief. »Ich werde morgen schon wieder unterwegs sein«, antwortete der Wanderkrieger. »Sìthbaile ist schön, aber ich habe erledigt, weswegen ich hierher gekommen bin, und werde nun weiterziehen. Im Norden, so habe ich gehört, werden Dienste von Leuten meiner Art gebraucht.« »Was ich daran nicht verstehe«, sagte Fionn ratlos, »es heißt doch, die Àrdbéana wache über den Frieden ...« »Ja, den zwischen den Völkern. Aber was innerhalb der Völker geschieht, darauf hat sie keinen Einfluss. Zumindest nicht, solange ein Krieg keine größeren Ausmaße annimmt. Und irgendein Baron führt immer gegen irgendeinen Herzog Krieg; so ist das nun einmal. Land, Frauen, Macht, Reichtum ... such dir etwas aus, oder nimm alles zusammen. Und glaube nicht, dass es nur Menschensache ist, oh nein. Nicht einmal die Elben leben derart in Frieden, wie du annehmen magst. Wie ich bereits sagte, haben sie ein strenges hierarchisches System und teilen sich in viele Stämme auf, da gibt es häufig Zwistigkeiten und Unterdrückungen.« »Das ... das hätte ich nie gedacht«, bekannte Fionn mit großen Augen. Er hatte die Unsterblichen stets als verehrungswürdig angesehen, als leuchtende Vorbilder für Frieden und Freiheit. »Mhm, sie wirken kühl auf uns, aber tief im Innern sind sie sehr leidenschaftliche Geschöpfe, die unter Ihresgleichen ihr Temperament kaum zügeln. Vor allem sind sie sehr nachtragend und vergessen nie. Ähnliches gilt für die Zwerge, die oft um die besten Pfründe streiten.« »Dann ist alles nur Kampf und Krieg?« »Aber nein, nur hier und da. Im Großen und Ganzen kann man gefahrlos reisen ... abgesehen von Räubern und Ungeheuern.« Fionn merkte, wie sich sein Magen umdrehte, und fürchtete um das gute Essen. »Du ... du nimmst mich auf den Arm!«, keuchte er. Der Wanderkrieger grinste, ohne eine Antwort zu geben, und überließ es dem jungen Bogin zu entscheiden, was nun wahr sein mochte. Fionn nahm an, dass es wie immer war: ein bisschen Wahrheit, ein bisschen Aufschneiderei, und der Rest diente der Ausschmückung. Inzwischen brachen auch die letzten Gäste auf und stiegen die Treppe zu den Gastzimmern hinauf; nur wenige verließen das Haus. »Gute Nacht, Hauptmann!«, rief einer herüber, und Tuagh nickte ihm zu. »Hauptmann?«, fragte Fionn erstaunt. »Ich dachte, du bist ein Söldner.« »Ich bin ein guter Söldner«, brummte der Wanderkrieger und betrachtete stirnrunzelnd seinen geleerten Krug. Auf einmal schien er es nicht mehr eilig zu haben. »Ist nur ein Spitzname, der sich verbreitet wie Schnupfen.« »Es gibt sogar welche, die ihn General nennen.« Einer der Braunelben trat an ihren Tisch. Fionn betrachtete verstohlen die hohe, schmale Gestalt, das edle Gesicht mit der vornehm blassen Hautfarbe und den waldgrünen Augen. Wenn dieser zu den Rangniedrigen gehörte, dann wollte Fionn sich nicht ausmalen, wie die Hochelben sein mochten. Oder gar die Àrdbéana. Gewiss, ab und zu waren Elben zu Gast bei seinem Herrn gewesen, doch diese hatte er immer nur von Ferne bewundern können, und sie waren oft verhüllt gewesen, als wäre es ihnen unangenehm, allzu viel in einem von Menschen bewohnten Haus von sich preiszugeben. Der Braunelb fuhr fort: »Dein Beschützer ist weit herumgekommen und schon lange im Geschäft. Jeder unserer Zunft kennt ihn, ebenso wie alle Kriegsherren.Es gibt kein Schlachtfeld mehr, das er als einfacher Söldner betreten würde.« »Hast du nicht woanders zu tun?«, sagte Tuagh schlecht gelaunt. Der Elb nickte grinsend und empfahl sich. Sein Gefährte wartete schon bei der Treppe, und als sie hinaufstiegen, knarrte nicht eine Stufe, geschweige denn, dass man einen Schritt gehört hätte. Nicht einmal einen Lufthauch gab es. Die Stube leerte sich. Die Wirtin kam an ihren Tisch, um zu kassieren. »Hast du noch eine Kammer für den Jungen?«, fragte Tuagh. »Sicher«, sagte sie achselzuckend und nannte den Preis. Der Wanderkrieger zahlte ihn ohne zu handeln. »Bring mir noch ein Bier zum Abschluss«, bat er und legte etwas drauf. »Du musst nicht auf uns warten, wir gehen dann auch gleich hinauf.« Fionn wäre am liebsten gleich ins Bett gefallen. Die Stummen Stunden waren angebrochen, und nach diesem langen und tragischen Tag war er völlig übermüdet. Die Wirtin löschte alle Lichter bis auf eine Öllampe, wünschte den letzten beiden Gästen eine Gute Nacht und verließ sie. Fionn sah, wie Tuagh nach dem Krug griff – und ihn dann absetzte, sobald die Schritte der Frau im oberen Stockwerk verklungen waren. »Und jetzt gehen wir, sehr schnell«, sagte er leise zu Fionn und gab ihm ein Zeichen, ihm zu folgen. Dabei führte er ihn nicht Richtung Treppe, sondern zum Ausgang. »Was ...«, setzte Fionn an, doch Tuagh legte einen Finger an die Lippen und bedeutete ihm, still zu sein. Er zog den jungen Bogin mit sich, schloss die Tür fast lautlos, und dann standen sie auf der Straße. Es war alles still und verlassen, nur die Katzen streiften noch umher, auf der Suche nach Abfällen und jenem Getier, das diese gern fraß. Fionn fröstelte in der kalten Dunkelheit. »Was hast du vor?«, flüsterte er. »Was glaubst du wohl, was diese Söldner da drin als Erstes tun werden, sobald sie mich und dich schlafend wähnen?«, antwortete Tuagh, während er ihn mit sich weiterzog. Sie gingen eine schmale Seitengasse entlang, auf die nur Rückfronten der Häuser führten. »Aber ... sie haben dich doch Hauptmann genannt und schienen dir freundschaftlich zugetan ...« »Das ist die Höflichkeit unter Gleichgesinnten. Wir wären dumm, uns gegenseitig die Schädel einzuschlagen, Wunden und Schwäche zu riskieren, ohne Verdienst. Jeder muss leben und Geld verdienen, Fionn. Deshalb warten sie auch bis jetzt, wo sie mich schnarchend in meinem Zimmer wähnen, bevor sie zum Palast laufen – um mich nicht mit hineinzuziehen.« »Und wohin gehen wir jetzt?«, wollte Fionn wissen. Ihm klapperten die Zähne, seine Füße waren halb taub, und er schlug die Arme um sich. »Nicht weit, das kannst du noch aushalten«, gab Tuagh Auskunft. »Erst recht, wenn wir uns beeilen.« Fionn lief wie betäubt dahin. Sein Verstand hatte ausgesetzt, und er konnte nur noch Schmerz empfinden – spitze Steine, die sich in seine Fußsohlen bohrten, Kälte, die wie Nadeln auf seine Haut stach, Müdigkeit, die seine Muskeln lähmte und in harte Klumpen verwandelte, und Luft, die seine Lungen nur noch berührte, ohne sie zu sättigen. Immer wieder stolperte er und taumelte dahin, konnte kaum mit den langen Beinen des Menschen mithalten. Tuagh kümmerte sich nicht um ihn, er ging in raumgreifenden Schritten dahin und schien gar vergessen zu haben, dass er einen Begleiter hatte. Es war unvorstellbar, wie viele Gassen, Wege, Gässchen und Straßen diese Stadt besaß. War Sìthbaile ein Labyrinth, dem niemand mehr entrinnen konnte? Fionn hatte das Gefühl, dass sie die ganze Zeit im Kreis liefen, obwohl ihm kein einziges Haus bekannt vorkam – oder im Grunde alle; es schien im Dunkeln nämlich, als ob es keine Unterschiede mehr gäbe. Sie begegneten weiterhin niemandem, die ganze Stadt schien schlafen gegangen zu sein, vielleicht bedingt durch die Jagd des heutigen Tages. Es mochte nicht allen gefallen, spätnachts von einer Patrouille aufgegriffen zu werden. Nur weit entfernt waren ein paar Geräusche zu hören – das Grölen eines Betrunkenen, den seine Frau wohl nicht ins Haus ließ, das Heulen eines Hundes, das Geschrei eines Säuglings. Hier, wo sie entlang kamen, waren alle Läden geschlossen und die Lichter erloschen, selbst von den mit Öl gefüllten Straßenlampen brannten nur noch wenige. Tuagh blieb so abrupt stehen, dass Fionn ungebremst in ihn hineinlief und hingefallen wäre, hätte der große Mann ihn nicht aufgefangen. »Gleich ist es überstanden«, sagte er leise. Sie stiegen die seitliche Außentreppe eines Fachwerkhauses hinauf, und der Wanderkrieger pochte oben in einem bestimmten Rhythmus an die Tür. Es dauerte eine Weile, dann hörte Fionn innen leise Geräusche – und jemand klopfte zurück. Tuagh gab noch einmal ein Zeichen, und schon wurde die Tür aufgerissen. Weitere Leseproben
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