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Fremde in Blauenswede
11. August
Am nächsten Morgen waren Birgit und Patrick beide sehr schnell mit ihrem Frühstück fertig. Sie konnten es nicht erwarten Arthur zu besuchen und sich zu vergewissern, dass mit ihm alles in Ordnung war.
Zu ihrer Erleichterung sahen sie schon von weitem, dass es ihm gut ging. Er stand mit einem der Hasen im Arm im Garten und lächelte ihnen entgegen. Laura winkte ihnen aus der offenen Tür des Schuppens heraus zu.
„Alles okay?“, rief Patrick ihm besorgt zu.
Arthur nickte eifrig. „O-O-Okay, Kommt nur herein.“
Dann zeigte er ihnen etwas, das er gebastelt hatte. Es war ein etwa ein Meter langes Stück Eisenrohr, das mit einer Batterie verbunden war und auf Knopfdruck heftige elektrische Schläge austeilte – im Prinzip dasselbe wie die Power Schocker, die Frauen nachts zu ihrem Schutz bei sich trugen. Arthur war damit beschäftigt für jeden von ihnen eines herzustellen. „Das wird sie nicht töten, aber gehörig beeindrucken“, sagte er.
„Meinst du“, fragte Birgit, „dieser Uob – der große Uob – spürt es, wenn wir seinen Untertanen elektrische Schläge versetzen? Spürt es der Schwarm, wenn eine einzelne Wespe erschlagen wird?“
Arthur stützte nachdenklich das inzwischen schon wieder ziemlich unrasierte Kinn auf die Hände. „Das ist interessant ... Wenn alle diese Einzelwesen nur Teile eines Organismus sind, muss ein einziges Hirn sie steuern ... und wenn wir Recht haben und es sind bereits einige Uobs in Blauenswede, dann würden die auch von außerhalb gesteuert. Aber wie? Sie würden dazu so etwas wie einen Richtstrahl brauchen ...“ Plötzlich sprang er so abrupt auf. „Meine Funkanlage!“, schrie er. „Die Störgeräusche! Das ist es ... ein starkes elektromagnetisches Feld ... eine Kuppel ... sie existieren unter einer Art Netz ...“
„Was meinst du, Arthur?“, fragte Birgit, als sie ihn so wirr vor sich hinstammeln hörte. „Ich komme nicht mit.“
Er setzte sich wieder und seine Erregung ließ nach. „Passt auf. Ich habe euch doch gesagt, dass meine Funkanlage seit ein, zwei Wochen ständig gestört ist, als stünde irgendwo in der Nähe ein starker Sender. Nun, genau das ist es. Sie haben es irgendwie geschafft das ganze Tal mit einem elektromagnetischen Feld zu überziehen. In diesem können die Uobs die Befehle ihrer Königin empfangen. Sie werden von einem Richtstrahl geleitet. Ohne dieses Netz wären sie funktionsunfähig. sie würden konfus herumlaufen. Gleichzeitig versorgt sie dieses Feld mit der nötigen Energie um die Gestalt von Menschen anzunehmen, denn es muss sehr anstrengend für sie sein, ständig ein menschliches Äußeres aufrechtzuerhalten. Und wo kommt die Energie her? Aus dem Kraftwerk!“
Die Vier starrten ihn atemlos an.
„Ja, natürlich“, fuhr Arthur fort, wobei er bekräftigend mit der flachen Hand auf den Tisch klopfte. „So ist es, so und nicht anders. Kein Zweifel, dass der Direktor des Kraftwerks und einige seiner Mitarbeiter mit ihnen im Bund sind. Sie produzieren dieses Energiefeld – Turbinen haben sie ja genug. Und inzwischen haben sie den Kraftwerksdirektor und seine wichtigsten Mitarbeiter auch bereits durch ihre eigenen Leute ersetzt.“
„Wenn das stimmt, Arthur“, mischte sich Simon aufgeregt ein, „müssten wir nichts anderes tun als die Kraftquelle auszuschalten, dann wären alle Aliens in Blauenswede völlig kraftlos und desorientiert und wir könnten leicht mit ihnen fertig werden.“
„So ist es“, bekräftigte Arthur mit einem schiefen Grinsen. „Theoretisch ist es einfach. Nur praktisch ist es unmöglich, dass wir in das Kraftwerk eindringen.“
Die anderen schwiegen betroffen. Arthur hatte Recht. Schon zu Zeiten, als es noch von Menschen geleitet worden war, war es für Außenstehende schwierig gewesen in die inneren Bereiche des Kraftwerks vorzudringen. Und jetzt, wo es von den Aliens kontrolliert wurde, war das erst recht nicht möglich. Wenn sich die tatsächlich Energiezentrale dort befand, gab es keine Möglichkeit sie auszuschalten.
„´Unmöglich´ gibt es nicht“, widersprach Patrick entschlossen. „Wir müssen einen Weg finden. Simon, dein Vater arbeitet doch im Kraftwerk. Könnte der uns nicht weiterhelfen?“
Simon blickte ihn an und verzog das Gesicht. „Erst einmal musst du ihn überzeugen, dass wir nicht allesamt übergeschnappt sind. Wenn wir anfangen ihm zu erzählen dass sein Chef ein Alien ist ... na gute Nacht.“
„Ich bin da nicht so sicher“, fuhr Birgit dazwischen. „Ich glaube nicht, dass diese Aliens auch nur zwei Wochen lang die Gestalt von Menschen annehmen können, ohne irgendwo Misstrauen zu erregen. Auch wenn sie noch so viel trainiert haben, wie Laura sagt, ich kann mir nicht vorstellen, dass sie keinen einzigen Patzer machen. Dass man die äußere Gestalt eines Menschen annehmen kann, heißt doch noch lange nicht, dass man auch sein Wesen, seine Fähigkeiten, seinen Charakter nachahmen kann! Vielleicht ahnt Simons Vater schon viel mehr, als wir uns vorstellen.“
Simon schien nicht gerade begeistert, aber er versprach: „Okay, ich werde ihn ein bisschen abklopfen – ohne zu verraten, was wir wissen. Vielleicht erfahre ich etwas Interessantes.“
Ein lautes Rumpeln draußen ließ ihn aufschrecken. Sie wandten alle den Kopf zu der halb offen stehenden Tür und sahen, dass ein Gewitter aufgezogen war. Der Donner rollte bereits über den Hügeln. Arthur sprang auf. „Kommt, helft mir, ich muss die Karnickel in ihren Stall bringen.“
Er lief hinaus und die anderen folgten ihm und mit vereinten Kräften gelang es ihnen die Tiere in ihren Stall zu bringen.
Birgit - die von der Hasenjagd noch ziemlich atemlos war - blieb stehen und rieb sich die Seiten. Sie sah, dass Arthurs Vater aus dem Haus gekommen war, vielleicht mit derselben Absicht wie sein Sohn, die Kaninchen in Sicherheit zu bringen. In der Hand hielt er eine Flasche. Sein Haar, das in langen fettigen Strähnen rund um seine Glatze hing, flatterte im Wind, der das Laub der Linden aufwühlte. Birgit kam der Gedanke, dass der Alte Angst vor dem Gewitter hatte, denn er hatte die Augen zusammengekniffen und den Hals zwischen die Schultern gezogen, während er blinzelnd den Himmel absuchte. Wieder donnerte es. Diesmal fuhr ein langer gezackter Blitz über die Dächer von Blauenswede und verschwand hinter den Hügeln.
Der alte Mann verlor seine menschliche Gestalt.
Es sah aus, als wäre er plötzlich von oben bis unten geplatzt – und aus diesem Riss quoll eine formlose schwarze Masse hervor, die von einer kranken, purpurbraunen Aura umwabert wurde!
Birgit schrie auf und nun drehten sich auch die anderen um und starrten die grausige Verwandlung an. Innerhalb von Sekunden war alles Menschenähnliche verschwunden. Die Kleider lagen, widerlich besudelt und beschmutzt, auf der Erde und daneben krümmte und wälzte sich ein stinkender Haufen, stülpte Tentakel aus, zog sie wieder ein, richtete sich halb auf, fiel wieder in sich zusammen. Hunderte rote Augen funkelten bösartig. Ein fürchterlicher Geruch nach Fäulnis machte sich breit.
Mark Freier © http://www.freierstein.de Weitere Leseproben
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