• Das Windgeile, Taenzelnde und Schluepfrige des Deutschen

    Mit kaum zwanzig Jahren hatte der 1943 im Hohen Altai der Sowjetrepublik Tuwa geborene Galsan Tschinag seine erste Begegnung mit der deutschen Sprache: als Stipendiat der Universitaet Ulan Bator kam er als Germanistikstudent nach Leipzig und blieb dort bis zum Abschluss seiner Diplomarbeit. Die neue Sprache, die auf ihn einstroemte, die fremden Woerter, die es zu lernen galt, beschrieb er spaeter in Wie ich Deutsch lernte als scheuer als die Wildpferde in den Mongolensteppen. Vor allem die Substantive aehneln verteufelt den windgeilen Stuten, die an der Spitze der Herde hin und her taenzeln. Jedes hat so etwas wie ein Fohlen bei sich, den Artikel. Und ein Fohlen, so muss man wissen, ist schluepfrig wie ein Fisch. Doch das Schluepfrige schien ihm nichts auszumachen – das Deutsche nutzte der Mongole fortan als Werkzeug fuer sein literarisches Schaffen. Gegenstand seines Schreibens: Die Verbundenheit mit seiner Heimat sowie die alten Geschichten seines Stammes. In seinem 1997 publizierten Buch Die Karawane erzaehlt er von dem grossen Ereignis, wie er als Stammesoberhaupt zwei Jahre zuvor die infolge der mongolischen Minderheitspolitik im ganzen Land verstreuten Tuwiner wieder vereinte. Im Maerz und im Mai wird Galsan Tschinag wieder mit Lesungen in Deutschland weilen, genaue Termine gibt’s demnaechst.

  • Alice ist schuld

    Werter Leser, Sie haben zu frueher Stunde Ihren Computer hochgefahren und mussten feststellen, dass Ihre Startseite, die Berliner Gazette, noch nicht aktualisiert ist? Sie waren irritiert? Alice ist schuld. Nein, nicht die Feministin Schwarzer, sondern das Blondchen, das von allen Berliner Plakatwaenden herablaechelt. >Wie konntet ihr auch einen Telefonanbieter waehlen, der mit frauenfeindlichen Bildern fuer sich wirbt?<, fragte ein Freund, der ebenfalls ein engagierter Verfechter von Frauenrechten ist. Ich kann beim besten Willen keinen Zusammenhang sehen zwischen der Tatsache, dass wir in unserer neuen Wohnung in Neukoelln seit nunmehr sechs Wochen ohne Telefon und Internet sind, und der frauenfeindlichen Reklame des billigsten Telefonanbieters der Republik. Geiz ist geil, denke ich. Die Firma Alice engagiert eine billige Werbeagentur, die billige Plakate entwirft. Und der Service ist ohnehin bei allen gleich schlecht. Die Telekom ist ja auch nicht besser. Ein Werbeplakat des Magentariesen haengt in unserer Nachbarschaft, das ein Paeaerchen im Schlafzimmer zeigt: Sie traegt ein Negligee, er einen Rollkragenpullover. Er wendet ihr den Ruecken zu, um ungestoert telefonieren zu koennen – wahrscheinlich mit seiner Ex-Freundin. >Als Ihr dann fuenf Wochen nach der Anmeldung bei Alice noch kein Telefon hattet, habt Ihr aufgegeben und seid zur Telekom gerannt?< Zum sexistischsten Telefonanbieter Europas?, entgegne ich. >Ihr haettet die VerbraucherInnenzentrale einschalten sollen.< Da ich keine Lust auf eine Endlosdiskussion hatte, machte ich mich lieber gleich auf Weg zum Internetcafé.

  • Dem Fahnatismus auf der Spur

    Im letzten Sommer flatterten sie noch ueberall; sie hingen in Fenstern, schauten von Balkonen hinunter oder zierten Kneipeneingaenge: Die Deutschlandfahnen. Die Nation taumelte vor Glueck und feierte die Deutschlandparty (Der Spiegel) in schwarz-rot-gold. Nun ist Dezember und der heisse Sommer der deutschen Leidenschaft ist vorbei. Oder doch nicht? Der Medienkuenstler Florian Thalhofer hat sich auf die Suche nach den vergessenen Fahnen der WM gemacht und reist dafuer schon seit acht Tagen durch Deutschland. Seine Eindruecke haelt er in einem Blog fest. Vorlaeufiges Fazit: Die Gruppe derer, die immer noch Deutschlandfahnen zur Schau stellen, ist keinesfalls homogen. Ein Mann aus Wienhausen zum Beispiel hat inzwischen schon die dritte Deutschlandfahne an seinem roten Passat angebracht und die vierte liegt schon auf der Rueckbank bereit. Weil ich stolz bin, ein Deutscher zu sein. Und jetzt kann man es auch sagen., meint er dazu. Dann gibt es da Frau von Doehren, eine Altaebtissin vom Kloster Wienhausen. Sie assoziert ganz andere Dinge mit den symboltraechtigen Fahnen. Zwar hat sie nichts mit Fussball am Hut, dafuer fallen ihr aber Lieder aus ihrer Jugend wieder ein, wenn sie die Fahnen sieht. Nanu? Was moegen das wohl fuer Lieder sein? Der Vernuenftigste Fahnatiker scheint Herr Neuburger aus Berlin-Neukoelln zu sein. Zur Weltmeisterschaft wurden die Fahnen unschlagbar billig und da hat er sich kurzerhand eingedeckt. Nun hat er den ganzen Balkon voll mit Deutschlanfahnen, Weihnachtsmaennern und Lichterketten. Da freuen sich die Touristen vom Hotel gegenueber. Fuer manche ist eben immer Weltmeisterschaft, oder Weihnachten, oder beides. Florian Thalhofer ist noch fuer drei Tage unterwegs und sucht nach den vergessenen Fahnen.

  • Die Globalisierung des Schwitzerduetschen

    Im virtuellen Zuerich gibt es eine konstitutionelle Monarchie – das mag vielleicht zunaechst befremden. Der Blog >Wortreich. Die linguistische Monarchie< scheint jedoch recht harmlos zu sein. Ihr selbsternannter Monarch, ein gewisser Michael Staub, beschraenkt sich darauf, seine Untertanen (in diesem Fall Leser) auf Verwerfungen und Neuschoepfungen des Deutschen, insbesondere seiner schweizerischen Variante, aufmerksam zu machen. Im Pluralis Majestatis kommentiert Staub skurrile Beitraege aus deutschsprachigen Print- und Onlinemedien und greift Hinweise seiner Untertanen sowie Beobachtungen anderer Journalisten auf. Als etwa Autoren des Tagblatts sich ueber die Entwicklung des Schwitzerduetschen besorgt zeigten, reagierte Staub mit einer Kolumne. Die Zeitung berichtete ueber den Anglizismenwahn; ihre Horrorvorstellung: McSchwitzerisch. Staub dazu: >Der Zuercher Hype um smarte Ausdruecke heisst laut Tagblatt ganz einfach Zwinglisch. Dies ein Zusammenzug aus Zwingli und Englisch, der sogar lautlich Sinn ergibt.< Und dafuer begeistert sich der Monarch. Das bizarr Klingende und abwegig Entstandene zieht ihn magisch an. Insofern ist Staubs kleines Blog-Reich in der Naehe der hierzulande entstandenen Zwiebelfisch– und Wortistik-Imperien anzusiedeln. Vielleicht wird es infolge dessen auch Untertanen in Deutschland finden, die sich fuer kreative Sprachirrungen- und Wirrungen des Nachbarlandes interessieren.

  • Charlotte Chronicles.19

    Als Expatriate in einem englischsprachigen Umfeld stoesst man mit klassischem Schulenglisch schnell an Grenzen und muss sich insbesondere fuer den informellen Smalltalk ein breites Vokabular an Slang-Ausdruecken zulegen. Ich werde taeglich mit einer ordentlichen Dosis an >country grammar<, einer eher abseits der grossen Staedte verwendeten, hochgradig von Slang durchzogenen Ausdrucksweise, konfrontiert. Dabei scheint gleichzeitig das in laendlichen Gegenden vorherrschende Weltbild durch, denn dort herrscht weiterhin eine strenge klassische Rollenverteilung fuer das Grossziehen der Kinder. Sollte ein Vater dennoch tatsaechlich Erziehungsurlaub nehmen und zu Hause bleiben, wird er umgangssprachlich als >Mr. Mom< verspottet und verliert augenblicklich seinen >tough guy status<. Desweiteren hegen US-Amerikaner eine ausgepraegte Vorliebe fuer Kurzformen und nutzen diese auch in Lebensbereichen, in denen Deutsche sie nicht unbedingt anwenden wuerden. Waehrend hiesige Weinkenner von einem >’98 cab< oder einem >’04 chard< sprechen, wuerden es sich deutsche Weinliebhaber zum Ausweis ihrer Kennerschaft vermutlich nicht nehmen lassen, den gesamten >1998er Cabernet Sauvignon< oder >2004er Chardonnay< mit moeglichst franzoesischem Zungenschlag auszusprechen.
    Besonders viele Slang-Ausdruecke gibt es im allgemeinen fuer Tabuthemen oder Bereiche, in denen zur Wahrung politisch korrekter Ausdrucksformen eine gewisse Sprachzensur herrscht. Obwohl es in den USA von >kraeftigen bis staemmigen< Menschen wimmelt, duerfte man dort niemals jemanden als >fett< bezeichnen. Stattdessen behilft man sich mit Metaphern aus der lokalen Esskultur und beschreibt den ueberquellenden Teil der Huefte bei zu engen Hosen oder Roecken sehr anschaulich als >muffin top<. Ein Beispiel aus dem deutschen Slang, das in aehnlichen Koerperregionen angesiedelt ist, waere das beruehmte >Arschgeweih< fuer Tattoos direkt ueber dem Hosenbund (US-Slang hierfuer: whale tail, longhorn). Hingegen ist mir im Deutschen leider noch keine Entsprechung fuer den Ausdruck >nastygram< begegnet. Dieser bezeichnet eine unfreundliche schriftliche Nachricht und ist ein Beispiel fuer den kreativen und – aus einer sprachoekonomischen Perspektive betrachtet- zugleich Nutzen stiftenden Umgang mit der Sprache, da er bei gleicher Wortlaenge wie das zugrunde liegende >telegram< einen Mehrwert an Information liefert. Dass die deutsche Sprache durchaus ebenfalls der kreativen Wortschoepfung im New Economy Zeitalter faehig ist, verdeutlicht der Begriff >Mausbeutung<: Er beschreibt das Prinzip, junge, motivierte Berufseinsteiger in meist IT-intensiven Jobs (mit ihrer Maus vorm Computer klickend) auszunutzen, indem man sie jede Menge unbezahlter Ueberstunden machen laesst.

  • Vietnam spricht Deutsch

    Deutsch ist fuer uns Asiaten eine schwere Sprache. Angefangen es zu lernen habe ich mit 18 Jahren, also nach dem Abitur. Ich nahm ein Jahr lang Unterricht an der Hochschule fuer Fremdsprachen in Hanoi. Im August 1985 bin ich dann in die ehemalige DDR geflogen, um in Dresden Schienenfahrzeugtechnik zu studieren. Nach dem Studium arbeitete ich als Dolmetscher fuer die Polizei und fuer das Gericht in Sachsen. Im Maerz 2003 kehrte ich aus familiaeren Gruenden nach Vietnam zurueck. weiterlesen »

  • Magdeburger Boygroup infiziert die Welt mit Deutschvirus

    Schraiii! / Biest dy dy selbst biest / Schraiii! / Ynd wenn es das letzte iest / Schraiii! / Au wenn es weh tyt / Schraiii so laut dy konnst. Chloe und Camille bruellen jede Zeile von Tokio Hotels Hitsingle mit. Dabei halten sich die beiden Teenies aus einem Pariser Vorort ganz fest an den Haenden und heulen und schwitzen gleichzeitig. Tokio Hotel hat jetzt auch eine Rezeption in Frankreich! Die Jungs aus Magdeburg sind der erfolgreichste deutsche Exportschlager im Nachbarland.

    Wie eine Bombe ist ihr Album Schrei auf Platz 19 der franzoesischen Charts eingeschlagen und hat somit den deutschen Chart-Rekord da drueben gebrochen – so erfolgreich waren noch nicht mal Rammstein oder Nena. Das erstaunlichste ist: Tokio Hotel sind mit ihren deutschen Songtexten erfolgreich und das in dem Land der Radioquote. Die Fans konnten jede Textzeile auf Deutsch mitsingen. Es war der absolute Wahnsinn!, so Bill Kaulitz, der Bandleader, unlaengst auf der Bambi-Verleihung ueber die ausverkauften Tokio-Hotel-Konzerte in F. Einundsechzig Jahre und zwei Monate lang ist nichts passiert, dann hat es Booooom gemacht. Vorher bildete man mit Deutschland eine Schicksalsgemeinschaft, liess uns in die Europaeische Union – immerhin brachten wir Kohle mit.

    Jetzt aber schafft eine Boygroup aus der ehemaligen DDR, was Politiker, Menschenrechtler und Pastoren bislang vergeblich versuchten. Endlich oeffnen sich die Franzmaenner und -frauen wieder der deutschsprachigen Kultur. Und vielleicht lernen sie auch ein bisschen Deutsch, wenn sie bei Hits wie Schrei (schraiii) und Durch den Monsun (dysch dehn monsyn) mitsingen. Koennen Sie sich die geo-kulturellen Konsequenzen vorstellen, wenn der zunehmende Erfolg dieser Band in Russland sich zu einem Hype wie in Frankreich auswaechst?

  • Der Welt muss geholfen werden

    Es war einmal… vor nicht ganz zweihundert Jahren erblickte die erste aufgrund ihrer Verbreitung nennenswerte Plansprache das Licht der Welt: Solresol. Dicht gefolgt von einigen anderen Kunstwerken, von denen uns Esperanto bis heute wohl das Vertrauteste geblieben ist.

    Plansprachen sind aber nicht einfach nur Plansprachen: sie sind vor allem Welthilfssprachen. Da, wo in der Weltgesellschaft hoffnungsloses Koepfeschuetteln beginnt, bieten sie sich als Bruecke an. Diego Marani, der als Uebersetzer im Europaeischen Ministerrat in Bruessel arbeitete, hat das juengste Plansprachenkind zur Welt gebracht: Europanto. Sein Baby ist ein echter Mischling geworden: 42 Prozent Englisch, 38 Prozent Franzoesisch, 15 Prozent anderer EU-Sprachen und 5 Prozent Fantasie. Zu lesen am besten in Maranis 1999 erschienenem Buch Las adventures des Inspector Cabillot. Der Held der kleinen Kurzgeschichtensammlung, Detektiv Cabillot, kaempft darin als erster absolut europaeischer Held gegen das Unrecht unseres Kontinents.

    Cabillots Sprache? Es ist allein jene Sprache, die einem absolut europaeischen Helden angemessenen ist: Europanto. Der Protagonist verkoerpert damit ein bisschen von jedem und zudem das hehre Ziel der Einheit in der Vielfalt, das als Credo der Europaeischen Union fungiert. Selbstverstaendlich, in seiner Welt plagen den Menschen keine Sorgen mehr. Vielleicht gehen irgendwann aber doch die ein oder anderen Sprachgeister auf die Barrikaden…

  • Jedem sein McDeutsch

    McDonaldisierung der deutschen Sprache, kam es wie aus der Pistole geschossen, als wir eine polnische Studentin nach ihrer Meinung zum Berliner Gazette-Projekt >McDeutsch< fragten. Diesen Slogan verstuenden auch die Buerger Polens. Also baten wir sie eine polnische Uebersetzung der Presseunterlagen anzufertigen. Einer jungen Russin, die mit der Aufgabe betraut wurde, dafuer das kyrillische Alphabet zu bemuehen, schmeckte das Ganze gar nicht: Wird hier nicht der alte Nazitraum von der Weltsprache wiederbelebt?

    Ein niederlaendischer Medientheoretiker schickte uns einen Leserbrief mit dem Wortlaut: Rette Deutsch / Rettet den Deutsch / Rettet das Deutsch / Save Deutsch / Rettet German. Es war seine Reaktion auf unseren Kommentar des Spiegel-Titels zur deutschen Einheit. Ein Musikolge aus Regensburg fuehlt sich offenbar ebenfalls zum dekonstruierendem Dichten befluegelt: MrDeutsch vielleicht oder DrDeutsch oder ProfDeutsch. Und er kennt die Steigerungsform: AmMcDeutschesten. Oder eine Slawistin, die, in einer Bibliothek stehend, in recht unangemessener Lautstaerke rief: McDeutsch, McDeutsch, McDeutsch! – als Reaktion auf das schleichende Sterben der deutschen Sprache. Fuer Buchpreistraeger Ilja Trojanow ist es dagegen das Endprodukt einer kosmetischen Verschoenerung, die den Namen Anglisierung traegt.

    Der Kantonsschule Reussbuehl erscheint es wiederum als Schlagwort aussagekraeftig genug, um als Ausgangspunkt fuer einen Aufsatz herzuhalten. Was uns, die Initiatoren des McDeutsch-Projekts, jedoch am meisten amuesiert: Ein in Kanada lebender Deutscher hat unter dem Namen McDeutsch einen Blog gestartet. Alles in allem eindeutige Zeichen: Das Projekt hat einen Grad der Verselbstaendigung erreicht, den man sich nur wuenschen kann. Es ist in aller Munde. Frei nach dem Motto: Mein McDeutsch ist nicht Dein McDeutsch. Oder besser noch: Jedem sein McDeutsch.