Was uns ans Herz wächst

Garden Meeting Place
Garden Meeting Place from an original water colour by Lesley Holmes © 1989, Eglin Court Designs

Heute gibt es einen etwas kitschigen Postkartengruß an eine meiner treuesten Leserinnen, mit der ich Julio Cortàzars “Rayuela” und jetzt Max Frischs “Montauk” zusammen las. Deshalb nannte ich sie kürzlich in einer Email “Lesefreundin”, ein Begriff den ich auch auf die anderen Damen, die diesen Blog besuchen, gern ausdehne. Herzlichen Glückwunsch zum einjährigen Bestehen des Blogs “Wiederworte”, Teresa und zwei Streicheleinheiten für die beiden obigen “Raptoren”. Denn irgendwie ans Herz gewachsen (was für ein ebenfalls leicht ausgefranster Begriff) sind sie mir alle, deren Blogs ich sehr regelmäßig lese. In Melusines Intellekt passt meiner gleich mehrfach hinein, ein bisschen erinnert sie mich an eine Deutschlehrerin, die ich in der Oberstufe schrecklich genervt habe. Wortgewaltig, kritisch, manchmal die “gender roles”, die Literatur(geschichte) und die Kunst(geschichte) aus weiblicher Sicht beleuchtend, mit einem weiten Herz für die “Vorfahren” und den Krallen einer Tigerin, die ihre Jungen verteidigen würde.

Aléa darf nicht fehlen, auf ihr Romandebüt muss ich nun leider länger warten. Ihr so intelligenter wie eigenwilliger, manchmal aufmüpfiger, mal humoriger, mal scharf diagnostizierender Schreibstil lässt sie mich im Augenblick mit Helene Hanff vergleichen, deren Briefwechsel mit einem englischen Antiquar nach dem Krieg ich gerade als Lektüre zwischendurch lese: 84, Charing Cross Road. “Ich bin doch keine alte, anglophile Jungfer, die keine Romane mag,” würde sie vermutlich antworten. Die einzigen englischen Romane, die sie mochte, waren die von Jane Austen, Melusine.  Ebenfalls mitleidig belächeln würde sie mich in meinen Altherrenphantasien, wenn ich verriete, dass ich manchmal, wenn ich durch die Straßen von Potsdam oder Berlin am Wannsee lief, mir öfter vorstellte, eine der jungen Frauen hätte sie sein können. Dann stellte ich mir immer die Frage, ob ich sie erkennen würde, ohne zu wissen wie sie aussieht. So ist das mit den pseudonymen Avataren (ein inflationär gewordener Begriff nach dem schrecklichen gleichnamigen Film) in der Bloggerwelt, vorbildliche Projektionsflächen für all unsere realen oder eingebildeten Sehnsüchte, doch die virtuelle Welt macht wie auch Bücher nicht richtig satt, sie schürt nur neue Mitteilungsbedürfnisse, zu denen dieser Text ebenfalls gehört. Ob wir die Augen geschlossen oder geöffnet haben, wir scheinen immer nur Illusionen auf der Netzhaut zu sehen. Dann wiederum nur eine Farbe. Niemand erzählt mit Bild und Text so sehr von dem, was in der Kunst, ob Malerei oder Literatur oder Musik allein die Farbe Blau alles an Eindrücken und Ausdrücken hervorbringen kann wie Irisnebel. Wer ein anderes wunderschönes Blau, “Galathea… eine der schönsten Nereiden als sich immer verwandelnde Wasserwelle”, sehen will, der muss Syra Stein besuchen.
Blogs von Männern besuche ich auch, den linksintellektuell, hegelianischen Aisthesis (er wird mich steinigen ob dieser Kategorisierung), der auch verdammt gut fotografieren kann, manchmal Guido Rohm, bei dem an jeder Zigarette etwas Blut klebt und dessen “Kurze Geschichte der Brandstifterei” mir gut gefallen hat. Der Blog von Wolfgang Herrndorf soll mich daran erinnern, dass ich “Tschick” noch lesen will. Aber zugegeben, die geschlechtliche Anziehungskraft, in meinem Fall nun einmal die weibliche, scheint auch in der virtuellen Welt eine Rolle zu spielen. Manchmal zweifle ich an meiner Bloggerei, aber irgendetwas lässt mich weiterschreiben. Dies ist nur ein grüßender Text zwischendurch. Im Moment sitze ich über den nächsten sechzig Seiten von Dieter Fortes “Auf der anderen Seite der Welt”. Wenn ich von dem jungen Mann und seinen Sanatoriumserfahrungen lese, fühle ich mich, als wäre ich auf dieser anderen Seite selbst schon einige Male gewesen.