Eine attraktive Kunstfigur, ein altes Notebook und wie man Bolaño richtig schreibt

Drei Tage lang habe ich nun fast nur an einem alten Notebook gesessen, das ich geschenkt bekommen habe, ein zehn Jahre altes Acer Travelmate 242LC mit Windows XP, neue Mac Books Pro kann ich mir nicht leisten, genauso wenig wie “Ifönchen”, dazu bin ich einfach nicht smart genug. Ich habe es platt gemacht, wie man so schön sagt und gewagt, Windows 7 zu installieren, von 6 CDROM, weil das DVD-Laufwerk nur noch CD´s las. Ein kleines Abenteuer jenseits des Bücherlesens, eine Welt, in der es um Treiber geht und manchmal ist man selbst das Schaf davor. Als es mir dann noch gelungen ist, einen Intel Extreme Graphics 2 Treiber für XP mit vielen Tricks auch unter Win7 zum Laufen zu bringen, war ich ziemlich happy, um nicht zu sagen vom “Unendlichen Spaß” ergriffen. Beim Durchforsten meines Dokumente-Ordners stieß ich dann beim Kopieren auf einen alten Kommentar, den ich am Beginn meiner “Blogger-Karriere” auf einem anderen Weblog hinterließ, wo es am Rande auch um Meinungsverschiedenheiten bei der Beurteilung von David Foster Wallace “Unendlicher Spaß” und Roberto Bolaños “2666” ging. Schmunzelnd las ich in dem Zusammenhang danach sogar etwas über partiell doppelte Blindheit, die ich damals wohl kaum richtig verstanden habe und nicht genug auf mich selbst bezog. Das Schönheit jedoch immer auch Begehren einschließt, wovon bei der Figur Joelle in “US” die Rede war, kann ja nun nicht geleugnet werden, denn meine rumänische Kunstfigur sah damals doch recht attraktiv aus:

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via Book Porn

Klicken Sie nicht auf das Bild! Wer weiß, ob nicht auch diese junge Frau die Kunst beherrscht, ihr Geschlecht zu verwandeln. Aber nun zu meinem ziemlich veralteten Kommentar, den Sie aber auch nur als reinen Text lesen dürfen, ich habe selbstverständlich nichts damit zu tun:

„Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?“                                                                    Georg Christoph Lichtenberg

Lesen und Verstehen sind psychodynamische Prozesse. Kein Buch wird selbst vom gleichen Leser jemals wieder gleich gelesen. Ob nun ein Nichtverstehen mit einem „Nicht sonderlich gut finden“ zusammenhängt ist schwer zu sagen, über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten. Entweder der Kopf wird durch das Buch bereichert oder auch nicht. Die Zeit der Schuldzuweisungen, wie es Lichtenberg ein wenig süffisant zu seiner Zeit doch ein wenig tut, im Zweifel ist eben doch nicht das Buch sondern der Leser der Ungenügende, scheint mir vorbei. Heute ist alles nur Begegnung, da gibt es flüchtige, man schrammt wo vorbei, da gibt es Begegnungen fürs Leben. Wichtig dabei ist doch, dass es eigentlich keine dummen Leser gibt, es gibt nämlich auch keine dummen Menschen, nur Menschen. In der Masse werden sie allerdings manchmal dümmer. Wovor man sich jedoch immer hüten sollte ist der intellektuelle Hochmut, die Arroganz, manchmal bemerkt man sie gar nicht, schon gar nicht bei sich selbst. Vielleicht bin ich hochmütig, während ich dies schreibe. Ein hervorstechendes Charakteristikum der Bücher und der Menschen ist ihre Unvollkommenheit, darin kann manchmal auch ihre wahre Schönheit stecken.
Es ist schon richtig, dass bei „Fanclubs die kritische Wahrnehmung manchmal aussetzt“ und eine „verdinglichende Herangehensweise an Kunst“ von Dechiffriersyndikaten mag ich auch nicht. Eingestiegen bin ich bei
wilde-leser.de [ziemlich tot mittlerweile] letztes Jahr [2009], weil mich „2666“ aufgewühlt hat und meine ersten Beiträge dort waren deshalb auch weniger rational als emotionale Auseinandersetzung. Ich wollte mich mit anderen über Literatur austauschen. Warum müssen etablierte Literaturkritik oder literarische Blogs ein solches Leserengagement immer als „Selbsthilfegruppe“ oder „Fanclub“ abwerten? Aleatorik und Aisthesis sind zwei Blogs, die ich ab und zu gern besuchen werde, sie sind immer einen Besuch wert, auch wenn man nicht in allem einer Meinung ist oder gerade deshalb. Was Bolaño betrifft ist bei Ihnen beiden ja noch alles offen, sie werden beide noch “Fans” werden, irgendwie bin ich mir da sicher. [Irrtum nicht ausgeschlossen] Die Tilde über dem n: ALT-Taste gedrückt halten und auf dem numerischen Zahlenblock 0241 drücken, dann loslassen. Loslassen mache ich jetzt auch.

Identitäten hin oder her, so schlecht waren die Beiträge der Kunstfigur zu US damals nicht und so wird wohl  auch der neue bei Lettre platzierte Essay schon ganz passabel sein. Wenn nicht, befriedigt er zumindest die stark vorhandene Geltungssucht. Was “Frau Torik” betrifft, beantrage ich vorsorglich das Urheberrecht auch für Kunstfiguren, international, nicht nur für rumänische, denn die größte Kunst von allen kann es nur sein, sich als jemand anderen auszugeben, aber tun wir das nicht täglich alle? Zumindest sollte doch auch der Versuch, auf diese Art reich und berühmt zu werden und sich dabei zu amüsieren, pekuniär belohnt werden.

Gelesen habe ich in den letzten Tagen also nur in zwei kleinen Bändchen, die wir in der Bibliothek als eher nicht sammlungswürdig oder minderwertige Literatur bezeichnet hätten: Kalender und literaturpsychologische Ratgeber. Es waren der “Hermann Hesse Kalender für das Jahr 2012” und das insel taschenbuch “Proust für Gestreßte”, die aber dennoch auch Freude bereiten können. Hesses Aquarelle passen zum Sommeranfang und Prousts Menschenkenntnis ist durch nichts zu übertreffen.

Hesse_Kalender          Proust_fuer_Gestreßte

Hesse klingt etwas kitschig und eckt an beim en vogue, nachpostmodernen Literaturbegriff, doch gleich am Anfang im Kalender steht das Gedicht “Gedenktag” und bei den Zeilen

In weicher Dämmerung entschlief der Strand,
In weiter Ferne sang die Wasserfrau
Ein Liebesmärchen übers dunkle Land …

musste ich an einen Blog denken, den ich immer noch regelmäßig lese und wo ich noch auf den Abschluss des “Liebesmärchens” “Punk Pygmalion” warte. Um wieder auf das ziemlich schwere, aber solide Notebook zurück zu kommen, vielleicht macht es mir soviel “Unendlichen Spaß”, dass ich wieder Lust bekomme an meinem Text mit dem jetzigen Arbeitstitel “Geschenk und Schattenspiel” weiter zu schreiben, denn unser Leben bleibt, auch wenn wir es selbst kaum wahrnehmen können, nichts als ein flüchtiges Schattenspiel.