Literaturrezensionen sowie Kunst und Kultur eigener Art
Von Bolaños Buchzitaten und den Grenzen meiner Übersetzung
In der Erzählung “Encuentro con Enrique Lihn” zitiert Bolaño ein französisches Werk von Marcel Duchamp bei Flammerion 1994 erschienen. Der Originaltitel lautet “Duchamp du signe”, einmal frei übersetzt “Duchamp´s Zeichen” oder “Die Zeichen bei Duchamp” oder “Duchamp und die Zeichen”. Auf YouTube gibt es sogar eine Buchvorstellung. Was mich nun am heutigen Morgen bei dieser Stelle umtreibt, ist die Tatsache, dass Bolaño dieses Buch als “Duchamp des cygnes” erwähnt. Nun heißt cygne auf Französisch bekanntlich Schwan, aber das Buch handelt ja schließlich nicht von Duchamps Schwänen, sondern von seinen Ready Mades und Texten. Im Spanischen wird das Zeichen mit “signo” bezeichnet. Ist das nun eine zusätzliche, surrealistische Wortspielerei Bolaños oder ein Schreibfehler? Die Mischung von fiktiven Buchtiteln mit tatsächlich erschienenen wäre ja nichts Neues bei Bolaño, eine Verfremdung der Wirklichkeit. Die englische Übersetzung zitiert natürlich den korrekten Originaltitel und so werde ich es wohl auch halten, aber was stürzt man sich doch in ungewollte Verwicklungen beim “einfachen” Übersetzen. Vielleicht befinde ich mich aber auch nur auf einem Holzweg und habe nun meinerseits ein fiktives “objet trouvé” gefunden. Oder aber ich sitze nur auf einem zu heißen Arsch wie Duchamps Mona Lisa. Gestern verbrachte ich einige Zeit, um mir etwas Licht in das Dunkel der erwähnten “sechs Tiger der chilenischen Dichtung” zu bringen, besser gesagt, ich surfte von den digitalen Überresten des einen zum anderen: Claudio Bertoni, Diego Maquieira, Gonzalo Muñoz, Juan Luis Martínez, Rodrigo Lira und der sechste ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Das zitierte Buch des Dadaisten Duchamp gibt natürlich auch einen Hinweis auf die Entstehungszeit der Erzählung, nämlich wohl Mitte der neunziger Jahre, also fünfzehn Jahre nach der im Traum beschriebenen Zeit. So erschien mir diese Aufzählung der chilenischen Dichter auch wie eine Würdigung derer, die zu diesem Zeitpunkt bereits tot waren, Rodrigo Lira († 1993) und Juan Luis Martinez († 1981). Der Tod und das Verschwinden (Gonzalo Muñoz) eines Schriftstellers sind ein immer wiederkehrendes Motiv bei Bolaño und ein Mittel der Mystifizierung seiner Texte.
Jetzt noch ein weiterer an die bisherige Übersetzung anschließender Abschnitt und wie alles Vorläufige bricht sie mitten im Satz ab, ein weit verbreitetes Schicksal:
Maquieira liest die Anthologie der nordamerikanischen Dichtung von Cardenal und Coronel Urtecho mit großer Sorgfalt, um danach zwei Bücher herauszubringen und sich dem Trinken zuzuwenden. Gonzales Muñoz´ Spur verliert sich in Mexiko, wie man mir sagte, aber nicht im Alkoholdunst von Lowry´s Konsul, sondern als Manager in der Werbeindustrie. Martínez las „Duchamp du signe“ und dann starb er. Was Rodrigo Lira betrifft, nun gut, ich habe schon erzählt, was aus ihm wurde in dem Jahr als die Konferenz am nordamerikanischen Institut abgehalten wurde. Weniger Tiger als Katzen, so oder so. Kätzchen aus einer entlegenen Provinz. Was auch immer ich sagen wollte ist, dass ich Lihn schon kannte und dass ich ihm in keiner Weise vorgestellt werden musste. Nichtsdestotrotz stellten mich die begeisterten Anhänger weiter vor und weder Lihn noch ich unternahmen etwas dagegen. Da waren wir nun in einer der Tischnischen und einige Stimmen sagten das ist Roberto Bolaño und ich streckte die Hand aus, während mein Arm von der Dunkelheit der Nische umschlungen wurde und ich ergriff die Hand von Lihn, eine leicht kühle Hand, die meine für einige Sekunden drückte, die Hand eines traurigen Menschen,
Nachtrag: Nun sind die ersten beiden vorläufigen Seiten mit noch kleinen Änderungen des bisherigen Textes fertig. Aus dem anfänglichen “Treffen” des Titels wurde nun “Begegnung” und aus den “Fans” (weder der Ausdruck selbst, noch die damit Bezeichneten gefallen mir sonderlich) sind nun “begeisterte Anhänger” geworden. “B-Movies” allerdings bleibt bestehen, denn das eingedeutschte B-Filme hört sich für mich fürchterlich an. Wie Bolaño zu Amerikanismen stand ist mir im Augenblick nicht bekannt. Hier also als sonntäglicher Stand der Dinge die beiden ersten Seiten der Übersetzung als PDF-Datei. Wer übrigens mit einsteigen will oder Korrekturen und Verbesserungsvorschläge machen möchte, ist jederzeit herzlich eingeladen zu kommentieren oder auch an buecherblogger@outlook.com eine Email zu schreiben.
Kurze, rasche Abmerkung:
Das klingt mir wirklich eher nach einer spontanen Spielerei Bolanos. Die beiläufige oder ihm auch nur unterlaufene Verrätselung einer Verrätselung. Und wenn es schon der Effekt aus einem Homophon ist – vielleicht hatte Bolano es in seinem Lautgedächtnis derart gespeichert? (Eine französische Freundin, die gut Deutsch spricht, beklagt sich, dass sie trotzdem noch manchmal die Lärche singen und die Lerche hoch ragen lässt – und ist es dann nicht längst, die Sprache als autopoietisch – auch „poetisch“?)
Und was mir noch spontan einfällt, ist, es „du champs des cygnes“ zu lesen – es wäre ein umso mehr nach Erklärungen verlangendes – und andererseits dann auch nicht mehr – verlangendes Bild. Sternbild Schwan? Wenn man jetzt noch die Symbolik des Schwans folgte, geriete man wohl vollends in ein Labyrinth. (Aber so lange man noch zurückfindet …)
die „Felder der Schwäne“ können nicht weit genug sein und die Literatur ist sicher immer beides: ein in sich geschlossenes, autopoietisches System und ein offenes für den Leser und den Schreibenden selbst. Über die Abgeschlossenheit und Konstruktion von Kunstwerken lässt sich sicher auch im Luhmannschen Sinne streiten, denn unbestritten ist wohl auch, dass Literatur immer über sich hinausweist. Ohne die Tendenz allerdings, aus ihren eigenen Strukturen auszubrechen, wäre die Literatur selbst nur eine Gefangene ihres eigenen Systems. Der eigentliche Ursprung, was ja auch mehr zur Poesie passt, die Bolaño hoch schätzte, ist sicher das onomatopoetische, die Lautspielerei und die daraus resultierende Doppeldeutigkeit. Ich finde Ihre Gedankengänge zutreffend, aber leider lösen sie das Problem der Übersetzung nicht. Wie kann man das schlechte Gedächtnis oder die surrealistische Lautspielerei eines Schriftstellers übersetzen? Vermutlich nur krampfhaft oder gar nicht und deshalb muss man sich in so einem Fall wohl mit dem Originaltitel begnügen und kann allenfalls am Ende eine Anmerkung machen. Dabei erinnere ich mich an die politische Doppeldeutigkeit einer Lastwagenaufschrift aus „Gomez Palacio„. Da habe ich mich auch in eine Fußnote geflüchtet. Fußnoten müsste diese Erzählung eigentlich en masse haben.
Kurze, rasche Abmerkung:
Das klingt mir wirklich eher nach einer spontanen Spielerei Bolanos. Die beiläufige oder ihm auch nur unterlaufene Verrätselung einer Verrätselung. Und wenn es schon der Effekt aus einem Homophon ist – vielleicht hatte Bolano es in seinem Lautgedächtnis derart gespeichert? (Eine französische Freundin, die gut Deutsch spricht, beklagt sich, dass sie trotzdem noch manchmal die Lärche singen und die Lerche hoch ragen lässt – und ist es dann nicht längst, die Sprache als autopoietisch – auch „poetisch“?)
Und was mir noch spontan einfällt, ist, es „du champs des cygnes“ zu lesen – es wäre ein umso mehr nach Erklärungen verlangendes – und andererseits dann auch nicht mehr – verlangendes Bild. Sternbild Schwan? Wenn man jetzt noch die Symbolik des Schwans folgte, geriete man wohl vollends in ein Labyrinth. (Aber so lange man noch zurückfindet …)
Guten Morgen,
die „Felder der Schwäne“ können nicht weit genug sein und die Literatur ist sicher immer beides: ein in sich geschlossenes, autopoietisches System und ein offenes für den Leser und den Schreibenden selbst. Über die Abgeschlossenheit und Konstruktion von Kunstwerken lässt sich sicher auch im Luhmannschen Sinne streiten, denn unbestritten ist wohl auch, dass Literatur immer über sich hinausweist. Ohne die Tendenz allerdings, aus ihren eigenen Strukturen auszubrechen, wäre die Literatur selbst nur eine Gefangene ihres eigenen Systems. Der eigentliche Ursprung, was ja auch mehr zur Poesie passt, die Bolaño hoch schätzte, ist sicher das onomatopoetische, die Lautspielerei und die daraus resultierende Doppeldeutigkeit. Ich finde Ihre Gedankengänge zutreffend, aber leider lösen sie das Problem der Übersetzung nicht. Wie kann man das schlechte Gedächtnis oder die surrealistische Lautspielerei eines Schriftstellers übersetzen? Vermutlich nur krampfhaft oder gar nicht und deshalb muss man sich in so einem Fall wohl mit dem Originaltitel begnügen und kann allenfalls am Ende eine Anmerkung machen. Dabei erinnere ich mich an die politische Doppeldeutigkeit einer Lastwagenaufschrift aus „Gomez Palacio„. Da habe ich mich auch in eine Fußnote geflüchtet. Fußnoten müsste diese Erzählung eigentlich en masse haben.