Die Raserei verlangsamen – mit Lyrik

by Zeichensetzerin Alexa

kopf­schnee treibt

von wes­ten. bring mir den begriff von zeit.
die vögel sit­zen auf­ge­plus­tert dick auf dem
bal­kon: gelb­bauch rote käpp­chen. amseln
herr­schen übers futterhaus.
kranke bäume fal­len lang­sam auf dem berg

zu tode. der märz ist schwer zu leben. ein
betäub­tes tau­ben­paar ver­liebt sich übern
ast. äugt zu den fern­seh­schüs­seln und wählt
wie­derum die dauerehe.
wann wird diens­tag nach dem win­ter sein?
[…]

Dass Eve­lyn Schlag expe­ri­men­tier­freu­dig ist, beweist sie in ihrem Lyrik­band „Ver­lang­samte Rase­rei“, der 2014 im Paul Zsol­nay Ver­lag erschien. Ihre Gedichte laden dazu ein, auf­zu­bre­chen, sich auf eine Reise und Suche zu bege­ben und die Welt mit ande­ren Augen zu sehen.

Eve­lyn Schlag ver­sucht die Regeln der Spra­che zu bre­chen: Ihre Texte sind durch­gän­gig in Klein­schrei­bung ver­fasst, kein ein­zi­ger Groß­buch­stabe fin­det sich in ihnen. Eine gewisse Rhyth­mik wird durch Zei­len und (Doppel-)Punkte vor­ge­ge­ben, doch lässt uns die Autorin durch Weg­las­sung von wei­te­rer Inter­punk­tion die Frei­heit, das eigene Tempo zu fin­den. „Ver­lang­samte Rase­rei“ scheint hier ein tref­fen­des Thema zu sein – jeder ist dazu auf­ge­for­dert, die eigene Stimme im Kopf zu fin­den und den Klang des Tex­tes mit­zu­be­stim­men. Da Länge und Anzahl der Zei­len wech­seln und sich der Ton der Texte ver­än­dert, muss man sich immer wie­der auf Neues ein­las­sen. Genauso viel­fäl­tig sind auch die The­men: All­tag, fremde Kul­tu­ren, Rei­sen. Man ist in einem Stru­del der Zeit, in dem man der Bestim­mer ist: sei es die Rich­tung, der Ort, die Inter­pre­ta­tion eines Tex­tes. Und wenn einem der Spa­zier­gang auf den Zei­len zu lang­wei­lig wird, kann man zwi­schen den Zei­len gehen und noch viel mehr sehen.

Unter­halt­sam und abwechs­lungs­reich sind Eve­lyn Schlags Gedichte. Mal schreibt sie aus Frauen‑, mal aus Män­ner­sicht. Mal endet ein Gedicht poin­tiert, mal offen und schein­bar frag­men­ta­risch. Sie schafft dabei eine Balance aus Spie­le­rei und Ernst­haf­tig­keit, die Spaß macht.

Alexa

Ver­lang­samte Rase­rei, Eve­lyn Schlag, Paul Zsol­nay Ver­lag, 2014

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3 comments

saetzebirgit 28. Mai 2015 - 10:33

Ist mir noch nie unter­ge­kom­men, diese Lyri­ke­rin – aber schon die Verse, die ihr zitiert – beein­dru­ckend. Werde ich mir näher anse­hen. Danke fürs Vorstellen!

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Bücherstadt Kurier 28. Mai 2015 - 20:17

Ich kannte die Lyri­ke­rin bis­her auch noch nicht. Schön, was man in der Stadt­bü­che­rei Bre­men so fin­det! Ich wün­sche viel Spaß beim Lesen und bin gespannt auf deine Mei­nung. (Alexa)

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wolkenbeobachterin 28. Mai 2015 - 11:52

schließe mich bir­git an. sehr schöne verse! 

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