„Herkunft“: Von Schlangen, einer Großmutter und Saša Stanišić (mit Verlosung) Deutscher Buchpreis 2019

by Worteweberin Annika

„Woher kommst du?“, ist eine Frage, die wir oft unüber­legt stel­len. Her­kunft und Hei­mat sind nicht immer leicht zu defi­nie­ren, das beweist Saša Sta­nišić in sei­nem Roman „Her­kunft“ meis­ter­lich, fin­det Worte­we­be­rin Annika.

Saša Sta­nišić wurde in Više­grad an der Drina gebo­ren, in einem Staat, den es heute nicht mehr gibt: Jugo­sla­wien. Wäh­rend des Bos­ni­en­krie­ges flo­hen seine Mut­ter und er nach Hei­del­berg, der Vater folgte nach. Zuerst für das Stu­dium durfte Sta­nišić in Deutsch­land blei­ben und lebt heute als Schrift­stel­ler mit sei­ner Fami­lie in Ham­burg. Das sind die Fak­ten, die man so auch bei Wiki­pe­dia nach­le­sen kann und um die es in „Her­kunft“ natür­lich auch geht. Davon aus­ge­hend ent­spinnt sich ein Roman, der mit Dra­chen und Schlan­gen bevöl­kert ist, mit Groß­müt­tern und den Toten.

„Der Geo­gra­fie­leh­rer fragte mich, was die Haupt­stadt mei­nes Hei­mat­lan­des sei und ich sagte ‚Bel­grad und Sara­jevo und Berlin.‘“

Im Roman erzählt der Autor aus­führ­lich über seine Ver­gan­gen­heit, die Aral­tank­stelle im Hei­del­ber­ger Emmerts­grund, einen Aus­flug in das Dorf Osko­ruša, die an Demenz lei­dende Groß­mutter. Und auch das Schrei­ben selbst nimmt er sich zum Thema, das Erzäh­len in die­sem Roman, genauso wie den Weg, der ihn dazu gebracht hat. Dabei geht er nicht chro­no­lo­gisch vor, son­dern springt durch die Zei­ten und schweift ab. Immer wie­der wirft er einen Blick in die Gegen­wart, auf den Tag des jeweils tat­säch­li­chen Schrei­bens im Jahr 2018 und die poli­ti­sche Situa­tion in Deutsch­land, in der die Her­kunft der Men­schen eine wich­tige Rolle zu spie­len scheint.

„Iden­ti­täts­stress schert sich nicht um Breitengrade.“

Saša Sta­nišićs „Her­kunft“ ist eine Wucht, geschrie­ben in einer Spra­che, in die man sich hin­ein­le­gen möchte. Oft musste ich beim Hören schmun­zeln oder laut los­la­chen über die Bil­der, die der Autor fin­det, und die Anek­do­ten, die er erzählt. Dabei ist das eigent­li­che Thema natür­lich nicht immer lus­tig. Her­kunft, sagt Sta­nišić, sei ein „Kos­tüm, das man ewig tra­gen soll, nach­dem es einem über­ge­streift wor­den war.“ Und das kann zu Pro­ble­men füh­ren, bei der Aus­reise, beim Ankom­men, beim Umgang mit der Fami­lie. Doch „Her­kunft“ ist mehr als nur ein poli­ti­scher Roman, denn der Text strotzt vor Fabu­lier- und Erzähl­lust, vor der Freude an Spra­che. Auch des­we­gen werde ich die­sen Roman sicher­lich noch ein­mal lesen, nach­dem ich ihn gehört habe, denn es gibt so viele Sätze darin, die ich mir mar­kie­ren möchte.

Das Hör­buch sei trotz­dem jeder und jedem ans Herz gelegt. Der Autor liest selbst, mit sei­ner Stimme, der man seine Bio­gra­fie noch anhö­ren kann, denn ein leich­ter Akzent ist ihr geblie­ben. Unnach­ahm­lich betont er und stei­gert sich in einige Situa­tio­nen hör­bar hin­ein, wird laut oder zärt­lich. Beson­ders schön dabei sind die Lie­der, die Sta­nišić im Hör­buch singt, und die so viel mehr von ihrer Kraft ent­fal­ten können.

Deut­scher Buch­preis 2019

Mit „Her­kunft“ stand Saša Sta­nišić neben Raphaela Edel­bauer, Kiku Sophie Küh­mel, Tonio Scha­chin­ger, Nor­bert Scheuer und Jackie Tho­mae auf der Short­list für den Deut­schen Buch­preis 2019 und wurde am 14. Okto­ber 2019 mit dem Deut­schen Buch­preis aus­ge­zeich­net. „Her­kunft zeich­net das Bild einer Gegen­wart, die sich immer wie­der neu erzählt“, hieß es in der Jury­be­grün­dung. Bei sei­ner Rede bei der Preis­ver­lei­hung äußerte sich ein ange­schla­ge­ner Saša Sta­nišić kri­tisch zum Nobel­preis 2019 für Peter Handke, der mit sei­nen Aus­sa­gen und Texte zum Bos­nien-Krieg nicht nur bei Sta­nišić für Unver­ständ­nis sorgt. Sta­nišić hin­ge­gen feiere eine Lite­ra­tur, die die Lese­rin­nen und Leser nicht für dumm ver­kau­fen wolle, die die Zeit beschreibe. Er schloss mit den Wor­ten: „Las­sen Sie sich nicht anste­cken, außer mit guter Lite­ra­tur.“ Damit las­sen wir uns gerne anste­cken und gra­tu­lie­ren herzlich!

Her­kunft. Saša Sta­nišić. Gele­sen vom Autor. Gekürzte Lesung. 339 Minu­ten. Der Hör­ver­lag. 2019.

Ver­lo­sung:

Neu­gie­rig gewor­den? Wir ver­lo­sen ein Exem­plar des Hör­buchs „Her­kunft“. Um in den Los­topf zu kom­men, schreibt ein­fach bis zum 18.10.2019 (15:00 Uhr) eine E‑Mail an stadtgespraech[at]buecherstadtkurier.com und erzählt uns, was „Hei­mat“ für euch bedeu­tet. Der Gewin­ner oder die Gewin­ne­rin wird per E‑Mail benach­rich­tigt und in den Kom­men­ta­ren unter die­sem Bei­trag bekannt gegeben.

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2 comments

Bücherstadt Kurier 18. Oktober 2019 - 18:36

Wir dan­ken allen Teil­neh­me­rin­nen und Teil­neh­mern für die schö­nen Gedan­ken zu ihrer Hei­mat! Gewon­nen hat Simone S. – herz­li­chen Glückwunsch!

Reply
„Jetzt versaust du denen die Jugend“: Saša Stanišić liest in Bremen 1. November 2019 - 19:43

[…] Rezen­sion zu „Her­kunft“ […]

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