Mit dem „Traumschiff“ die letzte Reise antreten

by Zeichensetzerin Alexa

Bevor es im Okto­ber wie­der mit der Lese­reise „Lite­ra­Tour Nord“ los­geht, wirft Zei­chen­set­ze­rin Alexa einen Blick auf die nomi­nier­ten Titel des letz­ten Jah­res. Einer davon ist „Traum­schiff“ von Alban Niko­lai Herbst – ein Roman über Bewusst­sein und Vergessen.

traumschiff„Traum­schiff“ ist eines die­ser Bücher, die ruhig vor sich hin erzäh­len, wenig Hand­lung beinhal­ten, dafür aber umso mehr Gedan­ken. Gefühle? Auch die sind zwi­schen den Zei­len ver­steckt, nicht wirk­lich inten­siv-emo­tio­nal durch die Spra­che spür­bar, aber den­noch irgendwo vor­han­den. Es ist, als würde man sich selbst auf die­sem „Traum­schiff“ auf­hal­ten, dem Mee­res­rau­schen lau­schen, den Möwen beim Krei­schen zuhö­ren, mit den Wel­len mit­schwin­gen – auf und ab, auf und ab. Und den­noch gibt es nicht wirk­lich ein – zumin­dest sprach­li­ches – Auf und Ab. Es gibt keine Span­nung, die durch die wenige Hand­lung her­bei­ge­ru­fen wer­den könnte. Nicht ein­mal durch die Spra­che ent­steht ein schnel­le­res Tempo. Lang­sam bewe­gen sich Lesende durch die Sätze, erfah­ren sehr viel über den Prot­ago­nis­ten, über seine Ein­stel­lung, seine Gedan­ken, vor allem aber über seine Vergangenheit.

Bewusst­sein

Erin­ne­run­gen sind eine wich­tige The­ma­tik die­ses Wer­kes: Gre­gor Lan­meis­ter, der einst ein erfolg­rei­cher Geschäfts­mann war, begibt sich auf das „Traum­schiff“, um eine Welt­reise zu unter­neh­men. Doch tut er das wirk­lich? Anfangs noch in die Irre geführt, fin­det man schnell zu der Lösung, dass es sich bei dem „Traum­schiff“ nicht wirk­lich um ein Schiff han­delt – und dass Erin­ne­run­gen ebenso wahr wie falsch sein kön­nen. Die Gedan­ken Lan­meis­ters dre­hen sich immer wie­der um das Bewusst­sein: „Wenn einer von uns geht, kommt ein neuer Bewuss­ter dazu.“ (S. 17) Was hat es mit die­sem Bewusst­sein zu tun? Recht schnell wird ersicht­lich, dass der Prot­ago­nist unter Alz­hei­mer leidet.

Ver­ges­sen

Die Gedächt­nis­lü­cken wer­den immer grö­ßer, der Kör­per ver­fällt – und immer wie­der der Ver­weis auf 144 Pas­sa­giere, die das „Traum­schiff“ nicht mehr ver­las­sen wer­den. Die Zahl ergibt sich aus dem chi­ne­si­schen Spiel Mah-Jongg, bei dem es darum geht, zuein­an­der pas­sende Steine zu sam­meln und das eigene Spiel­bild zu ver­voll­stän­di­gen. Ver­voll­stän­di­gen las­sen sich die Gedächt­nis­lü­cken des Prot­ago­nis­ten jedoch nicht mehr.
„So bil­den sich in der See blasse Fle­cken. Die ver­blas­sen aber immer noch wei­ter. Bis sie zu Löchern gewor­den sind. Durch die sieht das Bewusst­sein aufs Meer und sieht der eige­nen Aus­lö­schung zu. Ein fes­ter Ort nach dem ande­ren wird aus uns aus­ge­löscht. Wir hören schlech­ter, unser Geschmacks­sinn ver­küm­mert.“ (S. 19)

Ange­deu­tet

Andeu­tun­gen auf die Mytho­lo­gie und Zwei­deu­tig­kei­ten las­sen die tie­fere Aus­ein­an­der­set­zung des Autors mit der The­ma­tik erken­nen. Wer wei­ter gräbt, wird dies­be­züg­lich so man­ches fin­den. Wer nicht auf Schatz­su­che gehen mag oder die Andeu­tun­gen nicht erkennt, wird auf der Ober­flä­che schwim­men und sich mit einer ruhi­gen, vor sich hin plät­schern­den Geschichte zufrie­den geben müs­sen. Letzt­end­lich ist diese Ober­flä­che unbe­frie­di­gend: Die Auf­lö­sung der Geschichte ist schon lange klar und selbst bei Ver­än­de­run­gen des see­li­schen sowie kör­per­li­chen Zustan­des des Prot­ago­nis­ten, ändert sich nichts am sprach­li­chen Stil. Die Län­gen, die dar­aus ent­ste­hen, sind damit die größte Schwä­che die­ses Buches. Kann man dar­über hin­weg­se­hen, erwar­tet die Leser ein ruhi­ger Roman über einen ster­ben­den Mann, der zuneh­mend alles um sich herum vergisst.

Traum­schiff. Alban Niko­lai Herbst. mare. 2015. www​.alban​ni​ko​lai​herbst​.two​day​.net

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