Faust-Kultur dokumentiert Jean-Luc Nancys Grabrede auf Werner Hamacher, die am 17. Juli 2017 auf dem Frankfurter Hauptfriedhof gehalten wurde.

Grabrede auf Werner Hamacher

»Ich bin sprachlos«

Werner,

Werner, Du hier bei uns, Du so nah und so fern, so fern wie nah,

Werner, ferner…

Werner, ich bin sprachlos – und Du sagst sogleich: „Wer sprachlos ist, der hat in der Losigkeit etwas von der Sprache.“

Etwas oder vielleicht alles, wirst Du sagen, denn man spricht nur aus dem Fehlen der Sprache und spricht im Hinblick auf ihr Verschwinden.

Weil ich sprachlos bin, bin ich dort, wo Du möchtest, dass ich bin. Dort, wo von der „strukturellen Aphasie der Sprache” die Rede ist – so Deine Rede –, an dem Ort, von dem Du an anderer Stelle sagst: „Sprache ist die Selbst-Verwahrung, die Selbst-Verwehrung des Todes”.

Und Du fügst hinzu: „Ein Ich, ein Du, Er, Sie, Es, Wir, Ihr, Sie gibt es nur im Spielraum dieser Selbst-Entfernung des Todes, die die Sprache ist.”

Wir sind hier in der Nähe dieses Todes. Und des Toten.

Du – den wir nicht mehr wirklich Du nennen dürfen, auch wenn wir es tun.

„Du” – ein Wort, das hier und jetzt wie ein Irrtum oder eine Ironie oder ein Wort des Wahnsinns klingt, weil wir hier und jetzt einer Sprachlosigkeit ausgeliefert sind, die zur Sprachgerechtigkeit – Deinem nächsten Buch – gehört.

Wir wissen aber, und wir wissen es dank Deiner Worte, Deiner eigenen, unglaublich idiomatischen, idiolektischen und idiosynkratischen Sprache, dass die Sprache „mehr als bloß spricht”; und dass dieses „Mehr”, dieser der Vakanz der Sprache innewohnende Exzess einer „Übersprache”, die mit „manischer Exuberanz” mehr als bloß spricht, sich selbst in Trauer verzehrt und verstummt.

Von Deinen Worten aus verstummen… – oder besser noch: von Deinen Worten aus so sprechen, dass jedes Wort zu dem Häm von Celan wird, von dem Du schreibst, dass „in ihm jedes Wort abgebrochen ist und so durch eine ‚Ökonomie des Anökonomischen‘ reguliert” wird.

                                                       ***

Aus Anlass des Todes von Jacques Derrida – einem der größten unserer gemeinsamen Freunde, einer aus einer Freundes-Gemeinde ohne Gemeinwesen, wie Du sagen würdest – aus Anlass dieses Todes hast Du betont, wie sehr bei jedem Tod die Grenze all unserer Begegnungen mit dem oder mit der Toten empfunden wird, all die verpassten Gelegenheiten, oder wie Du sagst, das „was ich hätte sagen mögen und was ich trotzdem nicht gesagt habe.“ Ich bin mir Dir gegenüber dessen nicht bewusst, doch ein solches Bewusstsein ist hier nicht relevant. Aber ich denke, Du weißt selber, dass diese Unvollkommenheit der Begegnung notwendig zur Begegnung gehört – auch zu der stärksten Begegnung der Freundschaft oder der Liebe. (So eben ist es um die Regulierung der Anökonomie bestellt.)

Du entgegnest mir: Es gibt keinen Grund, um aus dem eine geschlossene Ökonomie zu machen. Im Gegenteil. Und Du hast Recht. Die Überfülle jeder Totalität – sei es der Bedeutung oder des Seins, der Welt oder des Wissens – war immer Deine Angst und Dein geheimster Wunsch, gab die größte Energie Deinem hyper-energetischen Denken, Sprechen und Schreiben.

Du hattest das ja schon ganz früh erklärt, 1978 in Pleroma. Es ist ein Buch, das sich als „Kritische Ausgabe“ von Hegels Geist des Christentums ankündigt, aber in Wirklichkeit weit darüber hinausgeht und viel mehr unternimmt, als die hegelschen Texte bloß vorzustellen. Es ist ein Buch über das Mahl, über das Essen, die Einverleibung und die Ausscheidung, die notwendig mit letzterer einhergeht.

„Es gibt immer einen Rest, der in der Bewegung des Selben nicht aufgeht, dessen Mehr- oder Weniger-Sein aber den Kreis des Selben ekelt.” Zu diesem Rest gehört das „vermittelnde Verdauungssystem”, das Du, mit Hegel, als Wiederkäuen verstehst. Du erwähnst sogar eine Randnotiz von Hegel, wo dieser sich fragt, ob die Wiederkäuer ein Pankreas haben. Darin bemerkst Du eine „Beunruhigung” von Hegel: bedarf auch ein vielfacher Magen eines Pankreas, das gleichfalls zur Verdauung beiträgt? Aber diese Frage beunruhigt Dich nicht wirklich, denn Du schreibst: “Wer isst, wer liest, der käut, wie auch immer, wieder”.

Und das hast Du immer wieder von neuem getan; daran bist Du irgendwie physiologisch gestorben. Doch ich höre Dich schon sagen: was heißt hier „physiologisch“ ohne das, was noologisch, philologisch oder philosopho-logisch wäre – wie auch immer.

                                                       ***

Die exzessive Wiederholung des Selben – des Pleroma – geht immer zu Lasten des Selbst, eine Affektion, die zum Selbst gehört, wenn auch ohne Gehörigkeit. Dies ist der Einbruch des Schmerzes, der Einbruch einer Sprache, „die – wie Du schreibst – nur sagen kann, dass sie nur lallen dürfte, aber ihr eigenes Gesetz verletzt: den Schmerz nicht zur Sprache, sondern die Sprache zum Schmerzen bringt.”

Das lallen kommt aus den letzten Versen von Celans Tübingen, Jänner, die Du zuvor zitiert hast: er / dürfte / nur lallen und lallen / immer-, immer- / zuzu. // („Pallaksch. Pallaksch.”)

Pallaksch ist wie Häm ein Wort ohne Bedeutung, das nur als nicht bedeutend und so als der Schmerz des Sprechens vorkommt. Du liest und isst diese Wörter, diese Worte, die menschliche, endliche, unmenschliche, unendliche Sprache, mit Deinem riesigen Appetit – auf Essen, Lesen, Sprechen, Lieben.

Und wir hören und wir danken Dir für Dein riesiges Sprechen, für Deine riesige Anwesenheit und sogar für die enorme Abwesenheit, die jetzt offen ist. Denn sie gehört auch, immer und immer, zu Dir.

Du. Wer? Keine Frage! DU, Werner. Und noch einmal mit Celan: „…ein Du, todlos, / an dem alles Ich zu sich kam.“

Aber wieder, notwendig wieder, ein Echo, eine Echolalie von Dir, Werner: „In jedem Namen ist schon seine ruinöse Antonomasie am Werk. […] kein Demonstrativum, sondern ein Monstrum […] der Sprache, in dem sich ausspricht, daß sie nicht eigentlich spricht; ein Monstrum ohne Monstratum.”

Der Autor dankt Ursula Rütt-Hamacher, Shinu Sara Ottenberger und Clemens-Carl Härle für die Einrichtung des Manuskripts.

Jean-Luc Nancy zählt zu den bedeutendsten Philosophen der Gegenwart. Er lehrte bis zu seiner Emeritierung Philosophie an der Université Marc Bloch in Straßburg und hatte Gastprofessuren in Berkeley, Irvine, San Diego und Berlin inne.

Kommentare


Peter Hennecke - ( 19-08-2017 10:07:25 )
Ich habe ja nie mit ihm gesprochen, außer einmal am Telefon, glaube ich.
Sprachlos bin ich dennoch und traurig nicht für ihn, wohl aber für eine, die er zurück gelassen hat.

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erstellt am 24.7.2017

Werner Hamacher
Werner Hamacher