Der Schlangenmann

Er solle endlich mal wieder aufstehen, sagte ich zu ihm, so könne es doch nicht weiter gehen, aber er reagierte nicht, er rührte sich nicht, sein rechter Arm hing aus dem Bett, der erinnerte mich an eine Schlange, die sich aus dem Bett mühte, wenigstens die, dachte ich, aber er blieb liegen, auf dem Bauch, während ich in der Küche stand, etwas kochte, denn essen musste er doch wenigstens, ich hackte Zwiebeln, horchte dabei hinüber, aber da rührte sich nichts, obwohl ich hoffte, er würde sich bewegen, weil so ein Mann musste sich doch mal bewegen, wenigstens hin und wieder, das hält doch kein Mensch auf Dauer aus, dachte ich, aber er blieb standhaft, blieb liegen, rührte sich nicht, also stampfte ich mit einer Zwiebel in der Hand zu ihm hin, schrie auf, schrie, so geht das nicht, wo kommen wir denn da hin, wenn plötzlich alle in ihren Betten bleiben, da geht doch alles vor die Hunde, die Gesellschaft und überhaupt alles, es muss doch auch welche geben, die arbeiten, die die Zwiebeln in den Küchen hacken, damit etwas zum Essen da ist, denn sonst verhungern die in den Betten, aber das interessierte ihn alles nicht, die Schlange befand sich noch auf ihrem Weg, also trat ich ihr auf den Kopf, denn in seiner Hand müsste er doch noch ein Gefühl haben, aber auch das brachte ihn nicht aus der Fassung, nicht mein Geschrei, nicht mein Tritt, der war stur wie ein alter Maulesel, darum dachte ich mir, soll er doch machen, was er will, soll er doch liegen bleiben, der wird schon aufstehen, wenn er Hunger bekommt, denn essen muss er doch auch, ich lief ins Wohnzimmer, setzte mich auf das Sofa, verschränkte die Arme und starrte den Fernseher an, dann starrte ich die Wand an, da hing ein Kruzifix, daneben ein Bild von unserer Tochter, die könnte ich anrufen, vielleicht kann die mir helfen, dachte ich, also suchte ich ihre Nummer aus dem Buch, in dem ich alle Nummern schrieb, da stehen sie alle drin, unsere Freunde, die Onkel und Tanten, auch das Beerdigungsinstitut, denn sollte es mal einen von uns treffen, dann hatten wir uns auf alle zu treffenden Entscheidungen bereits geeinigt, der Grabstein, der Spruch für die Zeitung war bereits ausgesucht, auch das Institut, das sich um alle diese Angelegenheiten kümmern sollte, ich blätterte es durch, fand die Nummer unserer Tochter, ich griff nach dem Telefon, wählte die Nummer, da meldete sich eine fremde Stimme, wer da, ich legte erschrocken auf, wählte noch einmal, wer da, also legte ich wieder auf, denn die Stimme am anderen Ende kannte ich nicht, außerdem war es eine Männerstimme, ich ging also wieder rüber zu ihm, zum Schlangenmann, der da lag und sich nicht rührte, ich erzählte ihm die Geschichte von unserer Tochter, er lag regungslos da, ich zog mich aus, legte mich neben ihn, sagte, was du kannst, das kann ich auch, ich schloss meine Augen und beschloss, mich nicht mehr zu rühren, denn irgendwann würde er sich bewegen, irgendwann, weil kein Mensch auf Dauer so liegen konnte, auf dem Bauch, sein rechter Arm hing aus dem Bett, der erinnerte mich an eine Schlange, die sich aus dem Bett mühte, wenigstens die, dachte ich, wenigstens die.

(Erschienen bei Die Veranda)

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3 Antworten zu Der Schlangenmann

  1. irisnebel schreibt:

    hier hats auch gejuckt 😉

    schaetze mal, der typ im bett ist schon tot. dann koennte die geschichte rein theoretisch auch weitergehen… beerdigungsdienst und telefonnummer gabs ja schon im text. und sich neben einen toten zu legen… huiiiiii

  2. guidorohm schreibt:

    Manche Frauen legen sich jeden Abend freiwillig neben einen Toten.

  3. irisnebel schreibt:

    lol
    ja, der schnarcht wenigstens nicht 😉

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