Archiv für Februar 2015

In die Ferne schreiben

Mittwoch, 25. Februar 2015

Die „Duftenden Doppelpunkte“ und die „Absolventenakademie“ begrüßen Sie an Bord der Schreibwerkstatt „Reise zu mir selbst – In die Ferne schreiben“.

In der Schreib-Reise-Gruppe ist noch ein Platz frei.

Wann geht’s los: am Samstag, den 28. Februar
Wie lange dauert die Fahrt: von 15.30 bis 19.00 Uhr
Wohin geht die Reise: ins Weltcafé, Schwarzspanierstraße 15,1090 Wien
Wer kann mit: alle Menschen mit Fernweh nach ihrer Persönlichkeit, die schreibend und mit Kreativität Kraft aus der eigenen Lebensreise schöpfen wollen
Was kommt ins Reisegepäck: sprachdidaktische Einzel- und Gruppenarbeiten (z.B. meine Lebenslinien, Postkartengeschichten, Lyrik aus dem Reisekatalog …), Diskussionen und Kurzvorträge
Was kostet die Reise: € 49,00 (inkl. Unterlagen)

Anmeldung und weitere Informationen

Das Reiseleitungsteam freut sich auf Ihr Kommen.
Petra Öllinger: Psychologin, Autorin, Schreib- und Textberaterin, einer der „Duftenden Doppelpunkte“.
René Merten: Jurist, Trainer, geschäftsführender Inhaber der Absolventenakademie.

Herr Leopold bekommt gewaltigen Ärger

Dienstag, 24. Februar 2015

Tagebuchaufzeichnungen und Berichte aus Wien-Mariahilf – Teil 3

Petra Oellinger PortraetVon der Sinnhaftigkeit, Fremdsprachen zu beherrschen oder Eine Begegnung der anderen Art. Vorwort von Petra Öllinger

Als Theophilus Kontakt mit mir aufnahm, spätabends im Frühling, wäre ich beinahe auf ihn getreten. Also nicht auf Theophilus, sondern auf etwas, das auf den ersten Blick aussah wie eine Streichholzschachtel und in meiner Hauseinfahrt lag. Ich hob die Schachtel auf und legte sie in meine Handfläche. Und jetzt, beim zweiten Blick, entpuppte sie sich als Koffer; ach was, Koffer, Köfferchen! Ein altmodisches noch dazu. Gefertigt aus dunklem Leder, mit einem Metallschloss, zusätzlich zusammengehalten von zwei Riemen. Am Griff war mit einem Bindfaden ein Blatt Papier befestigt. Trotz ihrer Winzigkeit erkannte ich die Schriftzeichen darauf sofort: Mausisch. Ich nahm meine Brille ab, hielt den Zettel ganz dicht vor meine Augen, sodass ich mit der Nase am Papier klebte, und entzifferte den Text.

„Liebe Petra Öllinger! Bitte erschrecken Sie nicht. Ich bin eine Maus. Mein Name ist Theophilus Makadamia. Mein Onkel Leopold gab mir den Ratschlag, mich an Sie zu wenden. Den Grund dafür und die Antwort auf Ihre mögliche Frage ‚Warum ausgerechnet ich?‘ finden Sie im Brief meines Onkels sowie in seinen Aufzeichnungen. Beides liegt in diesem Koffer. Ich bin sicher, Sie können mir helfen. Ich werde morgen um 21 Uhr hier bei der Altpapiertonne warten und freue mich auf Ihre – hoffentlich positive – Antwort.“

Wer konnte ahnen, dass ich mich gemeinsam mit einem Mäuserich auf die Spuren seines Onkels in Mariahilf begeben würde …

Zunächst jedoch die Vorgeschichte.

Ein Königreich für eine Lupe

Ich ging nach oben in meine Wohnung, wo ich von meinem Hund Zwetschke mit großem Argwohn begutachtet wurde, und setzte mich an meinen Schreibtisch. Wie könnte ich diesen Miniaturkoffer öffnen, ohne ihn kaputtzumachen? Ich durchstöberte alle Schreibtischschubladen und entdeckte in einer ganz hinten eine Dose. Zwischen grünen und gelben Zuckerln, die großteils miteinander verklebt waren, fand ich schließlich die Lösung: eine Pinzette. Vorsichtig öffnete ich damit das Schloss. Und was lag in dem Köfferchen? Ein weißer dicker Briefumschlag und ein in gelbes Leinen gebundenes Buch. Womit sollte ich anfangen? Umschlag? Buch? Ich entschied mich für den Umschlag. Fasste ihn mit der Pinzette, drehte ihn hin und her. War das eine Adresse auf der Vorderseite? Und dieser bunte Fleck rechts oben? Eine Briefmarke? Es war bereits sehr schwierig gewesen, die Nachricht der Maus zu entziffern, aber jetzt ging gar nichts mehr ohne Vergrößerungsglas. Auf der Rückseite war kein Absender vermerkt. Die obere Kante des Umschlags war sauber aufgeschlitzt, wahrscheinlich von, wie hieß die Maus nochmal? – ich schaute auf den Zettel –: Theophilus. Ich entnahm dem Kuvert ein dicht beschriebenes Blatt Papier sowie zwei unadressierte und unbeschriebene Ansichtskarten mit Motiven vom Meer. Woher hatte er die Karten? Hatte er sie von einer Reise mitgebracht? Lebte Herr Leopold an diesem Ort?

Ansichtskarte 1 mit Landschaft
Abbildung 1: Erste Ansichtskarte, Originalgröße 0,5 x 0,84 Zentimeter, die sich im Kuvert von Herrn Leopold befand.

Ansichtskarte 2 vom Meer
Abbildung 2: Zweite Ansichtskarte, Originalgröße 0,84 x 0,5 Zentimeter, befand sich ebenfalls im Kuvert von Herrn Leopold.

Die Zeichen auf dem Papier waren winzig – nicht wirklich eine Überraschung bei einem von einer Maus verfassten Text –, jedoch gestochen scharf und mit einer einfachen Lupe wohl ausgezeichnet zu lesen. Ich durchsuchte den Schreibtisch nochmals, stieß dabei unter anderem auf lange verloren geglaubte Rechnungszettel, verbogene Büroklammern und einen Radiergummi, der die Gestalt eines Kaffeehäferls hatte, aber eine Lupe fand ich nicht.

Mittlerweile war es bereits nach Mitternacht, nun hatte mich jedoch endgültig die Neugierde gepackt. Ich wollte unbedingt wissen, was in dem Brief stand und ich wollte unbedingt einen geeigneten Sehbehelf finden. Ich versuchte es mit dem Boden eines gläsernen Aschenbechers, den ich über die Seiten gleiten ließ – half nichts. Ich probierte es mit der alten Lesebrille meiner Großtante Sylvia, die sie vor drei Jahren bei einem ihrer raren Besuche bei mir vergessen hatte („Liebes, ich bin demnächst in deiner Nähe und hole sie.“) – half nichts. Ich kniff das linke Auge zu und hielt ein Blättchen vor mein rechtes. Ich kniff das rechte Auge zu und hielt ein Blättchen vor mein linkes – half nichts. Ich brauchte eine kleine Pause, öffnete das Fenster und blickte auf die Gasse. Das Haus auf Nummer 9 dämmerte seinem Abbruch entgegen – wusste es, was ihm bevorstand? Im zweiten Stock sah ich die beiden vertrockneten Orchideen auf dem Fensterbrett stehen. Letzten Sommer begann ihr Verdursten. Ich konnte sie nicht retten, denn der Hauseingang war mit einer dicken Kette versperrt, die Fenster im Erdgeschoß mit Brettern zugenagelt. Die Nachbarin gegenüber von Nummer 7 schaute wie jeden Tag um diese Zeit fern. Zwei Stockwerke über ihr stand ein Mann auf seiner Terrasse und rauchte. Beim Wirt am Eck drang das heisere Lachen eines letzten Gastes aus dem offenen Fenster, dann stand der Tschecherant leicht schwankend vor dem Wirtshaus, richtete sich mit einem Ruck gerade auf, stakste an der großen Platane vorbei, blieb stehen, machte kehrt und marschierte die Mittelgasse entlang. Bevor ihn die Nacht verschluckte, hörte ich ihn noch lallen „Mei Naserl is so rot, weil i so blau bin“.

Ich schloss das Fenster. Als ich mich umdrehte, fiel mein Blick auf mein rotes Federpennal. Und dann entdeckte ich darin endlich etwas Geeignetes, um diesen Brief zu entziffern: eine Mini-Lupe. Sie war einmal einem Buch mit dem Titel „Pflanzenschädlinge entdecken und erfolgreich bekämpfen“ beigelegt. Hin und wieder hatte ich damit tatsächlich seltsames Getier auf einigen meiner Pflanzen entdeckt, aber erfolgreich bekämpft habe ich es nie; die meisten Blatt- und Schildläuse sowie Spinnmilben hatten von selbst das Weite gesucht.

Herrn Leopolds Wunsch

Ich war mittlerweile sehr müde, einen Versuch wollte ich in dieser Nacht noch wagen. So zückte ich meine Pflanzenschädlingsentdeckungslupe und begann zu lesen. Es war ein Brief von Theophilus‘ Onkel – auf Mausisch.

„Lieber Theophilus!

Bitte entschuldige, dass ich so lange nichts von mir hören habe lassen. Die letzten Wochen waren voll von neuen Eindrücken und ich brauchte eine Weile, um mich hier einzuleben.

Du findest in der Schachtel die Tagebuchnotizen über meine letzte Zeit in meiner alten Heimat Mariahilf. Vielleicht ist es der sentimentale Wunsch eines nicht mehr ganz jungen Mäuserichs, oder auch nur ein klein wenig Eitelkeit, ein winziger, aber unvergessener Teil der Geschichte einer großen Stadt zu werden. Ganz sicher aber sollen meine Memoiren dazu beitragen, in der Menschenwelt eine Lanze für uns Nager zu brechen. Dieser, mein langgehegter Wunsch soll mit Deiner Hilfe in Erfüllung gehen: die Veröffentlichung meiner Erlebnisse und Erinnerungen.

Ich kann sie vor mir sehen, Deine vor Schreck und Überraschung geweiteten Knopfaugen. Aber sei unbesorgt, Du sollst meiner Bitte nicht alleine nachkommen. Ich weiß nämlich jemanden, der Dir dabei helfen kann.

Du erinnerst Dich sicher an unsere Beobachtung damals am Platz mit der großen Platane, als wir aus den Brennnesseln in dem kleinen Garten kletterten. Auf dem Gehsteig lag ein verletzter Vogel. Rasch näherten sich Schritte. Vor uns stand plötzlich ein Paar Menschenschuhe und wir konnten nicht weglaufen vor lauter Schreck. Weißt Du noch, wie dieser Mensch sich hinhockte und uns beide ansah. Noch nie hatte ich erlebt, dass bei unserem Anblick ein menschliches Wesen nicht erschrocken, angeekelt oder verärgert reagiert hätte. Aber nun, erinnerst Du Dich?, passierte etwas ganz Seltsames. Dieser Mensch blieb ganz ruhig und sagte auf Mausisch!!, ich weiß die Worte noch so genau, als hätte ich sie erst gestern gehört: „Na, ihr zwei, ist das ein verletzter Freund von euch? Ich will sehen, ob ich ihn hinbekomme.“ Ein Mensch, der unsere Sprache spricht! Wir waren beide so perplex, dass wir zu antworten vergaßen. Dann nahm der Mensch den Vogel behutsam in die eine Hand und die andere legte er wie ein schützendes Dach über ihn. Er stand auf, und weg war er.

Bedauerlicherweise konnte ich nie herausfinden, ob der Vogel wieder gesund geworden ist. Später, Du warst bereits wieder abgereist, sah ich diesen Menschen, es war eine sie, abermals. Dieses Mal kam er, also sie, mit einem Hund an meinem Malvenhain vorbei. Ich nutzte die Gelegenheit und folgte den beiden die Straße hinunter (Du weißt, jene, in der Du Deine Spritztour inmitten der Plüschbären unternommen hast), immer zwischen Autos und Gehsteigkante. Dann sah ich die zwei den Platz mit der großen Platane überqueren und in der Gasse – da, wo der kleine Ruhe- und Therapiepark versteckt liegt, der mit dem Haselnussstrauch darin, von dem Du bei einer waghalsigen Klettertour beinahe abgestürzt wärst, und wo Erwin, wie konnte es auch anders sein, von den Eibensamen gekostet hat, wie erinnere ich mich noch an sein Bauchweh, oh, ich merke, ich schweife ab –, also wie die beiden in der Gasse durch ein großes grünes Tor in einem Haus verschwinden. Es ist mir gelungen, den Namen der Mausisch-Kennerin zu eruieren. Sie heißt: Petra Öllinger. Bringe den Koffer mit diesem Brief sowie meine Aufzeichnungen zu ihr und bitte sie um ihre Hilfe.

Ich bin sicher, ihr werdet eine wundervolle Geschichte daraus machen.

Ich sende Dir herzliche Grüße vom Meer,
Dein Onkel Leopold.“

Noch während ich den Brief las, tauchten Erinnerungen an diese Begegnung auf. Nein, es war mir damals nicht gelungen, den Vogel, eine Wacholderdrossel, gesund zu pflegen. Er war noch in derselben Nacht verstorben. Vermutlich war er wo dagegen geprallt und hatte sich dabei innere Verletzungen zugezogen. Ich hatte bereits die Jahre zuvor große Scharen dieser Vögel dabei beobachtet, wie sie sich auf die Beeren des Wilden Weines stürzten, der bei mir im Hinterhof die Hauswand umrankt. Einige von ihnen sind nach dem Genuss der bereits vergorenen Früchte mehr oder weniger orientierungslos herumgeflattert. Am nächsten Morgen begrub ich die Drossel unter dem von Herrn Leopold in seinem Brief erwähnten Haselnussstrauch.

Und Herr Leopold und Theophilus? Die beiden Mäuse hatten damals tatsächlich den Eindruck völliger Perplexität erweckt. Theophilus‘ leicht verbogene Schnurrbarthaare standen steil nach oben und Herrn Leopolds linkes Ohr zuckte nervös. Ich hatte zu dieser Zeit bereits das Abschlusssemester für Mausisch an der Volkshochschule Wien-West in der Damböckgasse absolviert. Ein willkommener Anlass, meine Mausisch-Kenntnisse endlich in einem Gespräch mit Mäusen zu testen! Ein seltener und kostbarer Moment; die kleinen Nager flüchten ja sonst, sobald sie einen Menschen sehen. Aber diese beiden standen da wie vom Donner gerührt. Dank Herrn Leopolds Brief kannte ich nun den Grund dafür: Ich hatte sie in ihrer Sprache angeredet! – Und ich hatte befürchtet, bei der Grammatik geschlampt oder ein Wort falsch ausgesprochen zu haben.

Es war bereits lange nach Mitternacht. Meine Augen brannten. Würde ich es noch schaffen, einige Seiten im Tagebuch von Herrn Leopold zu lesen?

Die Entscheidung bei der Altpapiertonne

In derselben Nacht arbeitete ich mich durch das gesamte Tagebuch. Um halb sieben in der Früh war ich fertig damit. Meine Entscheidung stand fest.

An dem vereinbarten Abend wartete ich gemeinsam mit Zwetschke – sie war einfach durch den Türspalt geschlüpft, die Stiegen hinunter gezischt und ließ sich jetzt nicht wieder hinaufscheuchen – kurz vor 21 Uhr bei der Altpapiertonne in der Hauseinfahrt. Theophilus traf auf die Minute pünktlich ein. Zwetschke näherte sich ihm mit einem lauten Wuff. Doch der kleine Mäuserich machte überhaupt keine Anstalten zu fliehen. Dafür winselte Zwetschke laut auf und lief zurück in die Wohnung. Theophilus stand immer noch da. Erstaunlich. Ein solch wackeres Tierchen hatte ich selten erlebt. Ich beugte mich zu ihm hinunter. Ja, ich erkannte ihn wieder: an seinen verbogenen Schnurrbarthaaren. Von wegen alle Mäuse sehen gleich aus! Und war das tatsächlich eine Pommes-frites-Gabel, die er nun in seine Umhängetasche – war das hellbrauner Cordstoff? – steckte? Schlagartig wurde mir klar, warum Zwetschke vorhin so einen Zirkus veranstaltet hatte. Er hatte sie damit offensichtlich in die Nase gepikst. Ich reichte Theophilus meinen rechten Zeigefinger und er legte seine Pfote darauf. Die Sache war abgemacht. Wir werden uns gemeinsam an die Veröffentlichung des Tagebuches seines Onkels, Herrn Leopold, machen.

Beim Abschied winkte er fröhlich, schlüpfte durch den schmalen Spalt unter dem großen Haustor durch und verschwand in der Mariahilfer Nacht.

Fortsetzung folgt am 10. März 2015.

Bisher erschienen:
Teil 1 – Vorstellrunde aller Mäuse
Teil 2 – Vorwort von Theophilus Makadamia

„Was wir fürchten“

Montag, 23. Februar 2015

Nach Jürgen Bauers erstem Roman „Das Fenster zur Welt“ zeigt er in seinem neuen Werk, was es heißt, wenn die mühssam erlangte Kontrolle über das eigene Leben zu bröckeln beginnt, wenn sich Verfolgungswahn und Angst (wieder) Bahn brechen, wenn die eigene Mutter einen für verrückt hält, wenn einem niemand glaubt, dass die Menschen um einen herum ein Geheimnis verbergen.
Georg, die Hauptfigur in „Was wir fürchten“ – den Feinschliff erhielt das Werk während Jürgen Bauers Aufenthaltsstipendium im Literarischen Collogqium in Berlin – , vertraut seine Geschichte jedoch jemandem an. Die Folge: „Schritt für Schritt wird Georgs Leben entblättert, bisherige Antworten werden infrage gestellt und müssen neu überdacht werden.“

Jürgen Bauer seines Zeichens u. a. Redaktionsmitglied bei „gift – Zeitschrift für freies Theater“ verfasst neben Romanen auch zahlreiche Artikel über Theater, Tanz, Perfomance und Kulturpolitik. Aktuell ist von ihm ein Beitrag zum Thema „Queeres Theater“ erschienen mit dem Titel „Bist du schwul oder bist du im Theater?“.

Was wir fuerchten Cover Übrigens, für Schnellentschlossene bietet sich am kommenden Mittwoch den 25. Februar 2015 im Literaturhaus Mattersburg, die Gelegenheit, mit dem Autor einen ersten druckfrischen Einblick in das zu erhalten „Was wir fürchten“.

Weitere Lese-Termine im Frühjahr 2015:
3. März: Literaturhaus Wien
13. März: Buchmesse Leipzig
17. März: Literarisches Colloqiu, Berlin
27. April 2015: Buchhandlung im Stuwerviertel

Über Jürgen Bauer

Jürgen Bauer: Was wir fürchten Septime Verlag, Wien 2015, 264 Seiten, € 22,50 (A)

Bücher-Verschenkregal in Wien-Mariahilf

Donnerstag, 12. Februar 2015

Wiener Bücherschmaus: Buecherverschenkregal in Wien-Mariahilf Immer mehr Menschen leben unter prekären Verhältnissen und mit entsprechend geringem Einkommen. Am kulturellen Leben können die Betroffenen meist nur sehr eingeschränkt teilhaben. Selbst der Kauf eines Taschenbuches kann sich als finanzielle Belastung erweisen und muss genau überlegt sein.

Der „Wiener Bücherschmaus“versteht sich als Teil der Bemühungen, gute Literatur allen Menschen in Österreich zugänglich zu machen. Neben dem Leseförderprojekt „Bücher auf Rädern“, es richtet sich vor allem an Kinder und Jugendliche, und dem Angebot an Vereine bzw. Einrichtungen aus dem Sozial- und Kulturbereich, sie mit Literatur zu unterstützen, haben wir Anfang dieser Woche unser erstes Bücher-Verschenkregal in Wien-Mariahilf eröffnet.

Wir freuen uns sehr, dass wir diesen Bücherverschenkort im Geschäftslokal der Farbenhandlung Görbicz einrichten durften. Eigentlich ein Mini-Baumarkt mitten in der Stadt, der neben persönlicher Beratung Lacke, Farben, Abdeckfolien, Nägel, Schrauben, Dübel, kleines Werkzeug und vieles mehr bietet.
Diese Symbiose aus Farbe und Literatur finden Sie keine 5 Minuten von der U3 bzw. U6-Station Westbahnhof in der Stumpergasse 54, 1060 Wien, T. +43 1 5977354.

Buecherverschenkregal im Geschaeft Ab sofort warten täglich 50 – 60 kostenlose Bücher zu den Geschäftszeiten auf ihre Leser und Leserinnen.

Mo 8:30-12:30, 14:30-18:00
Di 8:30-12:30, 14:30-18:00
Mi 8:30-12:30
Do 8:30-12:30, 14:30-18:00
Fr 8:30-12:30, 14:30-18:00
Sa 8:30-12:00

Vielleicht finden Sie unter den Verschenkbüchern einen schon lange gesuchten Titel? Gerne können Sie auch eine Unterstützung in Form einer Buchspende im Geschäft abgeben.

Herr Leopold bekommt gewaltigen Ärger

Dienstag, 10. Februar 2015

Tagebuchaufzeichnungen und Berichte aus Wien-Mariahilf – Teil 2

Theophiuls Makadamia PortraetDas Glück ist ein Mauserl. Vorwort von Theophilus Makadamia

„Wenn der Einäugige Erwin zu dir sagt: ‚Lass dich überraschen!‘, dann suche das Weite.“

Wie gut erinnere ich mich an diese mahnenden Worte meines Onkels Leopold.
Wie oft hatte ich sie ignoriert.
Zum Glück.
Ich hätte vieles versäumt in diesem unvergesslichen Sommer.
Ich gebe zu, der Gedanke, einen Teil meiner Ferien mit einem alten Mäuserich in einer großen Stadt zu verbringen, behagte mir zuerst überhaupt nicht. Bibliothekar, der ist bestimmt verstaubt und vertrocknet, war das Erste, woran ich dachte, als meine Eltern mir vorschlugen, „einmal Großstadtaroma zu schnuppern“ (O-Ton meines Vaters damals, der nach wie vor etwas zu Theatralik neigt). Ich wollte mich mit meinen Freunden Schmelzi, Cliffi und Bourbon1 treffen; in Pfützen, Feuchtbiotopen und Wasserschaffeln abtauchen; auf Gartenstühle klettern und aus luftiger Höhe ins Gras hüpfen; Komposthaufen erklimmen, um von Verbotenem zu schmausen; Mutproben bestehen; mich meinem Hobby, der Botanik widmen. All das wollte ich, und nicht bei einem Onkel vergammeln. Vor meinem geistigen Auge tauchte das Bild eines verschrumpelten Mäuserichs auf, der in einer muffigen Wohnung voll mit dunkelgebeizten Wandschränken und Zeitungen aus dem vorigen Jahrhundert haust. Aber im Vorschlag meiner Eltern lockte ein Wort: Großstadt. Und ich konnte nicht widerstehen …
Zum Glück.
Ich hätte vieles versäumt in diesem unvergesslichen Sommer.
Ich hätte Frau Elsbeth nicht kennengelernt. Niemals zuvor hatte ich eine solch mutige Mäusedame erlebt. Sie fürchtete sich vor nichts und niemandem. Und – sie mochte pubertierende Mäuseriche. Ja, sie mochte sie wirklich. Nicht in der Art, wie es erwachsene Nager sonst tun: den Kopf tätscheln oder betulich auf die Schulter klopfen. Und man weiß genau: Die nehmen einen nicht ernst. Frau Elsbeth interessierte sich für mich und alles, was mich bewegte. Von ihr hörte ich nie „Werde erst mal groß“ oder „Das verstehst du nicht“.
Ich hätte Erwin nicht kennengelernt. Erwin, mit der rauen Schale und dem weichen Kern. Ein Klischee, ich weiß. Allerdings war er tatsächlich so. Tauben hielt er für arme Teufel, denen er von seinem Proviant abgab. Es brach ihm das Herz, wenn er die Langusten und Hummer in den Behältern am Naschmarkt ihrer Zukunft im Kochtopf entgegenkrebsen sah – und er nichts dagegen unternehmen konnte.

Und ich hätte Onkel Leopold nicht kennengelernt. Und seine Bücher. Und seinen Humor. Und seine Geduld. Und seine Fähigkeit, mich zum Selberdenken anzuregen. Und seine Weigerung, Dinge von der Straße zu essen.

Eines Tages, es waren bereits viele Monate seit meinem Aufenthalt bei Onkel Leopold vergangen und ich hatte seitdem nichts mehr von ihm gehört, erhielt ich ein Paket mit der Post. Dann reiste ich nach Mariahilf.

Wer konnte ahnen, dass ich gemeinsam mit einem Menschen in Onkel Leopolds Abenteuer und meinen Sommeraufenthalt in Mariahilf eintauchen würde …

Die nächste Folge erscheint am Dienstag, den 24. Februar 2015

Teil 1 – Vorstellrunde aller Mäuse.


1 Ausgesprochen wie das französische Adelsgeschlecht, oder die Vanille, was übrigens auch den seltsamen Spitznamen des Mäuserichs erklärt: seine große Begeisterung für Bourbon-Vanillezucker. Über die Herkunft der anderen beiden Spitznamen berichtet Theophilus Folgendes: „Cliffi war und ist ein begnadeter Geröllhaufenkletterer und balanciert stets mit großer Souveränität auf den Begrenzungsmauern zwischen zwei Gärten. Schmelzi verdankt, so wie Bourbon, den Namen seiner kulinarischen Vorliebe: Schmelzkäse. Angeblich können die zwei bis heute nicht davon lassen. Schmelzi vom Käse, Bourbon von der Vanille.“

Papa hat sich erschossen

Mittwoch, 4. Februar 2015

Buchcover Papa hat sich erschossenAls ich Saskia Jungnikls Satz im „Album“, der Beilage in der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“ lese, fällt eine große Last von meinen Schultern. Auch ich unterliege dem –selbstauferlegten – Druck nach einem Todesfall möglichst schnell wieder zu funktionieren. Ich leiste Trauerarbeit und merke, dass ich in den in diesem Konzept beschriebenen Phasen nicht vorwärtskomme, immer wieder ganz vorne anfangen muss. Anscheinend werde ich mit meiner Trauerarbeit – ein Wort, das ich mittlerweile kategorisch ablehne – nie fertig. Ich bin ungeduldig. Ich bin wütend und frage mich, wann sich diese Trauer endlich vom Acker macht. Und dann gibt es den nächsten Satz, der mir den Kopf zurechtrückt: „Trauer gibt einen Dreck auf meine Ungeduld.“

Dabei hatte ich mit „meinem“ Todesfall Glück: kein Unfall, kein Mord. Kein Suizid – so wie bei Saskia Jungnikl, deren Vater sich 2008 erschossen hat. „Seit diesem Tag trinke ich schwarzen Tee mit Milch.“ Ihren „Bericht“ über diesen Tag, über die Zeit danach, über die Zeit davor verfasst sie in der Gegenwartsform, bleibt so ganz nahe am Geschehen, erlaubt keine scheinbare, abgeklärte Distanz. Die Zärtlichkeit, die Saskia Jungnikl mit ihren Eltern verbindet, braucht keine ausschweifenden Formulierungen. Sie nennt sie Papa und Mama – das genügt.

Saskia Jungnikl zeichnet ein unsentimentales Bild ihres Vaters und entgeht so dessen undifferenzierter Verklärung. In einigen Kapiteln lässt sie ihn selbst zu Wort kommen: in Kurzgeschichten und Gedichten. Sie zeigt ihn als widersprüchlichen Menschen: künstlerisch tätig und anpackend, willensstark und sensibel. Er neigt dazu, andere zu dominieren. Er fühlt sich schuldig am Tod seines Sohnes Till, der mit 26 Jahren stirbt; droht daran zu zerbrechen. Es gibt keinen Trost, nicht für die Schwester Saskia, nicht für die zwei anderen Brüder, nicht für die Mutter: „Doch dass mein Bruder alleine gestorben ist, dass ich nicht da war, das kann ich nicht verwinden. Niemand von uns kann das.“
Und was kann sie antworten, wenn jemand sie fragt, wie viele Geschwister sie hat? Zwei lebende? Drei prägende? „Ich bin Halbwaise, weil mein Papa tot ist, aber was bin ich, weil mein Bruder tot ist?“

Der Suizid des Vaters hinterlässt Fragen nach dem Warum, Schuldgefühle, Wut.
Jede/r in der Familie versucht auf die eigene Art, damit zurechtzukommen. Saskia Jungnikl hat viele Affären, trinkt viel, geht viel weg, unternimmt eine Reise nach Afrika. Nichts davon schafft „Abhilfe“. Renate, eine gute Freundin, hält zu der Trauernden, Um-sich-Schlagenden, Verzweifelten, andere Beschimpfende, Zynische; erträgt sie, scheut keine Auseinandersetzung mit ihr – obwohl auch die Freundin hilflos, ratlos, verzweifelt ist.

„Es heißt, dass jeder Suizidtote etwa drei bis fünf Angehörige hinterlässt.“ Suizid ist (nach wie vor ) ein Tabu. Von betroffenen Angehörigen gibt es selten etwas zu lesen oder zu hören. Saskia Jungnikl bietet als Angehörige keine Phrasen à la „Die Zeit heilt alle Wunden“. Sie bemüht sich, alles nach „Trauerbewältigungsanleitungen“ zu absolvieren; trotzdem ist sie frustriert von diesem Vor und Zurück. Langsam, aber sicher gibt es viele Tage, „an denen alles wie ein weit entfernter Schrecken hinter mir liegt“. Dass die Wunde endgültig verheilen wird, diese Hoffnung wird immer wieder zunichtegemacht. Ein Anknüpfen an das vorige Leben ist nicht mehr möglich. Diese Einsicht macht Angst. Sie macht unsicher. Sie schürt Zweifel. Sie ist jedoch unausweichlich; sie ist ehrlich – und ist genau deswegen Trost. Wahrscheinlich nicht nur für mich.

Petra Öllinger

Saskia Jungnikl: Papa hat sich erschossen.
FISCHER Taschenbuch, Frankfurt am Main 2014. 255 Seiten, € 15,50 (A)
Über Saskia Jungnikl