Archiv für die Kategorie 'Lyrik'

Kurze Erinnerung an Ingeborg Bachmann

Dienstag, 12. Juli 2016

Die österreichische Schriftstellerin Ingeborg Bachmann wurde am 25. Juni 1926 in Klagenfurt geboren. Sie starb am 17. Oktober 1973 in Rom (gelegentliches Pseudonym Ruth Keller). Sie gilt als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen und Prosaschriftstellerinnen des 20.Jahrhunderts. Ihr zu Ehren wird seit 1977 jährlich der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen.

Von 1945 bis 1950 studierte sie Philosophie, Psychologie, Germanistik und Rechtswissenschaften an den Universitäten Innsbruck, Graz und Wien.
Als historischer Werdegang soll ein kurzer unvollkommener Überblick über ihr literarisches Schaffen dienen:

Die erste Veröffentlichung von ihr ist die Kurzerzählung: „Die Fähre“. (Erschienen 1946, in der Kärntner Illustrierten.)[1]
Weiters ist ihre Zeit als Hörfunkredakteurin beim Wiener Sender Rot-Weiß-Rot, (1951–1953) erwähnenswert. Sie schrieb 1952 ihr erstes Hörspiel „Ein Geschäft mit Träumen“ und verfasste elf Folgen der sehr beliebten wöchentlichen Radiofamilie und je zwei weitere mit Jörg Mauthe bzw. Peter Weiser.[2][3] 1953 las sie zum ersten Mal auf der Tagung der Gruppe 47.
Mit Hans Werner Henze entstanden ab 1955 das Hörspiel „Die Zikaden“, die Textfassung für die Ballettpantomime „Der Idiot“ und die Opernlibretti „Der Prinz von Homburg“ und „Der junge Lord“.
1956 veröffentlichte Ingeborg Bachmann ihren zweiten Gedichtband „Anrufung des Großen Bären“. Ebenfalls 1958 entstand das Hörspiel „Der gute Gott von Manhattan“, [4]
Der erste Erzählband von ihr „Das dreißigste Jahr“ erschien 1961. Dafür bekam Sie den Deutschen Kritikerpreis. Die zwei Geschichten „Ein Schritt nach Gomorrha“ und „Undine geht“ wird zu den frühesten feministischen Äußerungen der deutschsprachigen Literatur der Nachkriegszeit gezählt.[5]
Ungefähr 1965 begann Sie an der unvollendet gebliebenen Romantrilogie „Todesarten“ zu schreiben, von der sie 1971 den ersten Band „Malina“ veröffentlichte.

Sibylle Gramer schreibt: „In der Literatur von Ingeborg Bachmann sterben die Frauen am Denken, an ihrer scheinhaften Existenz als Männerphantasien, ihrer kulturellen Fremdheit und Außenseiterschaft. Sie gehen an ihrer Geschlechtsidentität zugrunde, die mehr und etwas anderes ist als die sexuelle Differenz vom Männlichen.[6]
Die österreichische Dichterin plante einen Umzug von Rom nach Wien, als sie nach einem Unfall, bei dem sie sich schwere Brandwunden zugezogen hatte, drei Wochen danach, am 17. Oktober 1973, ihren Verletzungen im San-Eugenio-Krankenhaus von Rom erlag.“

Wie genau sie sich mit den Verhältnissen in Österreich beschäftigte, geht aus einem Artikel von Ilse Leitenberger in der Tageszeitung „Die Presse“ aus dem Oktober 1973 hervor. Teile dieses Artikels wurden wortgleich zwei Jahre zuvor in „DIE ZEIT“ vom 9. April 1971 veröffentlicht, das Interview führte damals Toni Kienlechner. Leitenberger war als NSDAP-Mitglied im Zweiten Weltkrieg Redakteurin im Nachrichtenbüro des Goebbels-Ministeriums. Später avancierte sie zur Herausgeberin des Literaricum der Presse und zur stellvertretenden Chefredakteurin der Tageszeitung. Es scheint so, dass noch im Nachhinein diese Figuren, indem sie sich billige Nachrufe erlaubten, über die Antifaschistin Ingeborg Bachmann gesiegt haben. Sie schreibt: ”… ich habe schon vorher darüber nachgedacht, wo fängt der Faschismus an. Er fängt nicht an mit den ersten Bomben, die geworfen werden, … Er fängt an in Beziehungen zwischen Menschen. Der Faschismus ist das erste in der Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau …” (GuI S. 144)

Auf die innere Auseinandersetzung – nach dem: „sozialen Befund in „Malina“ von Kienlechner befragt, antwortete Bachmann: „…, für mich wäre es wichtiger, dass beschrieben wird, wie aus dem schwarzen Markt der Nachkriegsjahre der wirkliche schwarze Markt geworden ist – der damals gar nicht so schwarz war wie der heute.Das hat natürlich nichts mit einer Analyse der Wirtschaftsstruktur zu tun, müsste sie aber auf die eine oder andere Weise treffen. Denn auf diese andere Weise trifft man die universelle Prostitution, die Prostitution des Menschen in allen Zusammenhängen und in der Arbeit …“.

Im Nachruf von Friedrich Heer über Ingeborg Bachmann in der Presse, erzählte er, dass sie ihm in Rom im Februar 1973 erzählt habe, sie möchte sich nur mehr mit österreichischen Problemen befassen, literarisch befassen, und dass es deshalb eben notwendig sei, in diese Stadt (Wien), die ihr unheimlich wär, unheimlich dem Mädchen aus Kärnten, das scheu mit seinen großen Augen die Welt sieht, wie sie ist, diese ungeheuerliche Welt. … .
Sie wurde 47 Jahre alt. Damals sah sie in der 68er Bewegung eine Weltjugend, die in Empörung und Verzweiflung aufbricht.

1. Kärntner Illustrierte: Die erste Veröffentlichung von Ingeborg Bachmann, die Kurzerzählung: „Die Fähre“.
2. Ingeborg Bachmann: Die Radiofamilie. Hrsg. Joseph McVeigh, Suhrkamp, Berlin 2011, ISBN 978-3-518-42215-1, S. 402 f.
3. Ina Hartwig: „Die Ingeborg hat ein Ei gelegt.“ Im Nachlass entdeckt: „Die Radiofamilie“. Ingeborg Bachmann überrascht als famose Unterhaltungsautorin. In: Die Zeit. Hamburg, Nr. 22, 26. Mai 2011, S. 54.
4. zum Hörspiel siehe Jean Firges: Literatur
5. Biographie auf Fembio.org
6. Gramer Sibylle, Von weiblicher Autorschaft zu feministischer Literatur.. Das Beispiel Österreichischer Autorinnen. Erschienen in „Literarische Moderne, Europäische Literatur im 19. Und 20. Jahrhundert. Rowohlt, 1995. Herausgegeben von Burghard König.

Ingeborg Bachmann – Biographie auf Wikipedia
Ilse Leitenenberger – Biographie

LyrikfreundInnen aufgepasst

Montag, 18. April 2016

Heike Baller von der „Kölner Leselust“ ladet im Rahmen der Aktion „Blogger schenken Lesefreude“ ein, ein Gedicht über den April zu schreiben.

„Da haben Sie nun alle Freiheit, den Monat als Frühlingsboten oder wetterwendisches Naturereignis zu schildern oder den ihm zugesprochenen Charakter metaphorisch zu verwenden oder was Ihnen sonst noch dazu einfällt.“

Neben des Dichters Lorbeer sind zwei Exemplare des Buches „April, Gedichte“ aus dem Reclam Verlag zu gewinnen.

Alle näheren Infos im Beitrag „Blogger schenken Lesefreude – schreiben Sie doch mal ein Gedicht“ auf der Site der Kölner Leselust.

Ostergedichte

Donnerstag, 17. April 2014

Österliche Wiese mit Henderln und Hasen Die Duftenden Doppelpunkte wünschen Ihnen ein frohes Osterfest!

In diesem Sinne finden Sie hier eine kleine Auswahl humorvoller Ostergedichte von Paula Dehmel, Friedrich Güll, Heinrich Hoffmann, Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Christian Morgenstern, Eduard Mörike, Joachim Ringelnatz und Kurt Tucholsky.

In vielen dieser Gedichte spielt der Osterhase eine tragende Rolle. Erstmals erwähnt wurde er übrigens 1682 von dem Medizinprofessor Georg Franck von Franckenau in der Abhandlung „De ovis paschalibus – von Oster-Eyern“ .

Osterlied

Paula Dehmel (1863 – 1920)

Has, Has, Osterhas,
Wir möchten nicht mehr warten!
Der Krokus und das Tausendschön,
Vergissmeinnicht und Tulpe stehn
Schon lang in unserm Garten.

Has, Has, Osterhas
Mit deinen bunten Eiern!
Der Star lugt aus dem Kasten raus,
Blühkätzchen sitzen um sein Haus;
Wann kommst du Frühling feiern?

Has, Has, Osterhas,
Ich wünsche mir das Beste!
Ein großes Ei, ein kleines Ei
Und ein lustiges Dideldumdei,
Alles in einem Neste!

Osterhas

Friedrich Güll (1812 – 1879)

Schaut, wer sitzt denn dort im Gras?
Das ist ja der Osterhas`!
Guckt mit seinem langen Ohr
aus dem grünen Nest hervor,
hüpft mit seinem schnellen Bein
über Stock und über Stein.
Kommt, ihr Kinder, kommt und schaut,
schon hat er das Nest gebaut!
Ei so fein von Gras und Heu
und so lind von Moos und Spreu.
Lasst uns schauen, was liegt im Nest
so rund und glatt und fest:
Eier, blau und grün und scheckig,
Eier, rot und gelb und fleckig!
Häslein in dem grünen Wald,
ich hab` dich lieb und dank dir halt,
Häslein mit den langen Ohr,
dank dir tausendmal davor!
Häslein mit dem schnellen Bein,
sollst recht schön bedanket sein!
Nächste Ostern bringt die Mutter
wieder dir ein gutes Futter,
dass du möchtest unsertwegen
wieder soviel Eier legen.

Der erste Ostertag

Heinrich Hoffmann (1885 – 1957)

Fünf Hasen, die saßen beisammen dicht,
Es macht ein jeder ein traurig Gesicht.
Sie jammern und weinen:
Die Sonn‘ will nicht scheinen!
Bei so vielem Regen
Wie kann man da legen
Den Kindern das Ei?
O weih, o weih!
Da sagte der König:
So schweigt doch ein wenig!
Lasst weinen und Sorgen
Wir legen sie morgen!

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Frühlingsgedichte – Frühjahrsgedichte

Donnerstag, 20. März 2014

Ein Frühlingsbote: schneeumgebenes Schneeglöckchen, Blüten noch ungeöffnet Anlässlich des heutigen Frühlingsbeginns können Sie in diesem Beitrag eine kleine Auswahl von Frühlingsgedichten folgender Autoren nachlesen:

Theodor Fontane, Kurt Tucholsky, Christian Morgenstern, Percy Shelley, Rainer Maria Rilke, Georg Trakl, Hoffmann von Fallersleben, Wilhelm Busch, Eduard Mörike, Johann Wolfgang Goethe, Heinrich Heine.

Das Team des „Duftenden Doppelpunktes“ freut sich gemeinsam mit Ihnen auf ein sonniges Frühjahr und hofft, dass sich die folgenden Zeilen aus Erich Mühsams Gedicht „Wollte nicht der Frühling kommen?“ heuer nicht bewahrheiten.

Ja, es waren schöne Tage.
Doch sie haben uns betrogen.
Frost und Sturm und Schnupfenplage
sind schon wieder eingezogen.
Zugeknöpft bis an den Kiefer
flieht der Mensch die Gottesfluren,
wo ein gelblichweißer, tiefer
Schnee versteckt die Frühlingsspuren.
Sturmwind pfeift um nackte Zweige,
und der Rasenplatz ist schlammig.
In mein Los ergeben neige
ich das Auge. Gottverdammich!

FRÜHLING

Nun ist er endlich kommen doch
in grünem Knospenschuh.
„Er kam, er kam ja immer noch“,
die Bäume nicken sich’s zu.

Sie konnten ihn all erwarten kaum,
nun treiben sie Schuß auf Schuß;
im Garten der alte Apfelbaum
er sträubt sich, aber er muß.

Wohl zögert auch das alte Herz
und atmet noch nicht frei,
es bangt und sorgt: »Es ist erst März,
und März ist noch nicht Mai.«

O schüttle ab den schweren Traum
und die lange Winterruh‘,
es wagt es der alte Apfelbaum,
Herze, wag’s auch du!

Theodor Fontane (1819 – 1898)

DER LENZ

Das Lenzsymptom zeigt sich zuerst beim Hunde,
dann im Kalender und dann in der Luft,
und endlich hüllt auch Fräulein Adelgunde
sich in die frischgewaschene Frühlingskluft.

Ach ja, der Mensch! Was will er nur vom Lenze?
Ist er denn nicht das ganze Jahr in Brunst?
Doch seine Triebe kennen keine Grenze –
dies Uhrwerk hat der liebe Gott verhunzt.

Der Vorgang ist in jedem Jahr derselbe:
man schwelgt, wo man nur züchtig beten sollt,
und man zerdrückt dem Heiligtum das gelbe
geblümte Kleid – ja, hat das Gott gewollt?

Die ganze Fauna treibt es immer wieder:
Da ist ein Spitz und eine Pudelmaid
die feine Dame senkt die Augenlider,
der Arbeitsmann hingegen scheint voll Neid.

Durch rauh Gebrüll läßt sich das Paar nicht stören,
ein Fußtritt trifft den armen Romeo
mich deucht, hier sollten zwei sich nicht gehören…
Und das geht alle, alle Jahre so.

Komm, Mutter, reich mir meine Mandoline,
stell mir den Kaffee auf den Küchentritt.
Schon dröhnt mein Baß: Sabine, bine, bine …
Was will man tun? Man macht es schließlich mit.

Kurt Tucholsky (1890 – 1935)

FRÜHLINGSAHNUNG

Rosa Wölkchen überm Wald
Wissen noch vom Abendrot dahinter -
Überwunden ist der Winter,
Frühling kommt nun bald.

Unterm Monde silberweiß,
Zwischen Wipfeln schwarz und kraus
Flügelt eine Fledermaus
Ihren ersten Kreis …

Rosa Wölkchen überm Wald
Wissen noch vom Abendrot dahinter -
Überwunden ist der Winter,
Frühling kommt nun bald.

Christian Morgenstern (1871 – 1914) Weiterlesen »

Literarischer Adventkalender 2013/24

Dienstag, 24. Dezember 2013

PETRA ÖLLINGER LIEST PETRA ÖLLINGER – JUBLA

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Musik: Dope Head Blues von Victoria Spivey
Dauer: 4:45
Dateigröße: 2.18 MB

PETRA ÖLLINGER: JUBLA

„Auch Christbäume wollen Abwechslung. Dein Christbaum gibt gerne etwas dafür her.“
Ich sitze vor Jubla und lese ihm diese Zeilen aus einem Möbelhaus-Katalog vor, wo Schränke, Betten, Tische, Regale und Hauspatschen Namen tragen.
„Hörst du?“, frage ich Jubla, „Dein Christbaum gibt gerne etwas dafür her.“
Jubla ignoriert meine Worte. Stumm steht er da und wartet. Weglaufen kann er ja nicht. Aber Jubla kann etwas anderes. Er kann meine Weihnachtsbaum-Dekorationsversuche sabotieren. Und das tut er auch – jedes Jahr.
Jedes Jahr sträubt er sich, wenn ich ihn mit Glaskugeln, Windringerl und Strohsternen behängen will. „Schau, es ist doch nur für drei Tage, dann darfst du wieder hinaus.“ Jubla läßt sich nicht erweichen. Da läßt er lieber alle Äste hängen, sodaß die mühsam arrangierten Christbaumhaken wieder runterrutschen. Sogar meine Versuche, den Schmuck mit luftigen Bändern auf Jubla zu drapieren, scheitern. Er verliert augenblicklich genau an den geschmückten Stellen seine Nadeln. Hörte ich nicht sofort auf mit dem Dekorieren, er würde wie ein räudiger Hund aussehen.

Die beiden einzigen Utensilien, die Jubla akzeptiert, sind Engelshaar und ein Zwerg. Das Engelshaar darf ich ihm vorsichtig auf seinen Ästen drapieren. Vorsichtig muß ich auch sein, damit keines dieser Löckchen versehentlich in meinen Ärmel hineinkriecht oder sich in meinem Nacken verteilt. Juckreiz und Bläschenausschlag sind die Folgen, jedes Jahr, da kann ich noch so vorsichtig sein.

Auf Jublas Wipfel darf ich dann den Zwerg aus Tannenzapfen und mit roter Filzmütze platzieren. Manchmal habe ich das Gefühl, daß auch der Zwerg allergisch auf Engelshaar reagiert. Hin und wieder höre ich während der Weihnachtsfeiertage ein zartes Niesen vom Wipfel …

Also, meine Christbaumdekoration besteht seit 13 Jahren aus einem Zwerg und Engelslocken, die beim Zwerg und bei mir eine allergische Reaktion auslösen. Seit 13 Jahren fragen mich auch liebe Verwandte: „Warum schmückst du den Baum nicht mit den goldenen Kugeln, die ich dir letztes Jahr geschenkt habe?“ „Sag mal, sieht dieser Baum nicht schon etwas schäbig aus?“ „Mit dem Dekorieren hast du’s nicht so, gell?“
Seit 13 Jahre lächle ich höflich und verschwinde rasch in der Küche, um Häppchen, Kekse oder Punsch zu holen. Wie sollte ich meinen Verwandten auch erklären, daß meine Gartentanne es haßt, für den weihnachtlichen Anlaß geschmückt zu werden. Wie sollte ich ihnen erklären, daß ich es einfach nicht übers Herz bringe, dem Baum einmal richtig an die Nadeln zu gehen, weil er sich jedes Jahr zu Weihnachten immer sooo ziert.

Spätestens am 27. Dezember schleppe ich Jubla zurück in den Garten, damit er sich nach all den Strapazen erholen kann an der frischen Luft. Er blüht richtig auf und ich glaube schon beobachtet zu haben, daß ihm an den kahlen Stellen, an denen er bei meinen Dekoversuchen die Nadeln verloren hat, über Nacht welche nachgewachsen sind. Sei es ihm gegönnt.

Und daß ihm hin und wieder ein Vogel ins Geäst kackt, gönne ich ihm auch.

Weiterführende Infos:
Petra Öllingers virtuelle Wohnung

Literarischer Adventkalender 2013/23

Montag, 23. Dezember 2013

KLABUND: WEIHNACHT

Ich bin der Tischler Josef,
Meine Frau, die heißet Marie.
Wir finden kein’ Arbeit und Herberg’
im kalten Winter allhie.

Habens der Herr Wirt vom goldnen Stern
nicht ein Unterkunft für mein Weib?
Einen halbeten Kreuzer zahlert ich gern,
zu betten den schwangren Leib. –

Ich hab kein Bett für Bettelleut;
doch scherts euch nur in den Stall.
Gevatter Ochs und Base Kuh
werden empfangen euch wohl. –

Wir danken dem Herrn Wirt für seine Gnad
und für die warme Stub.
Der Himmel lohns euch und unser Kind,
seis Madel oder Bub.

Marie, Marie, was schreist du so sehr? –
Ach Josef, es sein die Wehn.
Bald wirst du den elfenbeinernen Turm,
das süßeste Wunder sehn. –

Der Josef Hebamme und Bader war
und hob den lieben Sohn
aus seiner Mutter dunklem Reich
auf seinen strohernen Thron.

Da lag er im Stroh. Die Mutter so froh
sagt Vater Unserm den Dank.
Und Ochs und Esel und Pferd und Hund
standen fromm dabei.

Aber die Katze sprang auf die Streu
und wärmte zur Nacht das Kind. –
Davon die Katzen noch heutigen Tags
Maria die liebsten Tiere sind.

Klabund (Alfred Henschke) (1890-1928)

Weiterführende Infos:
Klabund – Liebesgedichte
Klabund – kostenlose Hörbücher

Nähere Informationen zum Thema Bücherverbrennung und Exilliteratur finden Sie in der Bibliothek von Petra Öllingers virtueller Wohnung: biografische Daten zu über 200 AutorInnen, Titellisten der verbrannten Bücher, Hinweise auf Sekundärliteratur und weiterführende Links.

Literarischer Adventkalender 2013/16

Montag, 16. Dezember 2013

PETER HILLE: DIE WEIHNACHTSFEE

Und Frieden auf Erden den Menschen,
die eines guten Willens sind.

Suchende Sterne ins eilende Haar,
Frierende Sterne, schmelzend zergangen
Über den wunderfeiernden Wangen,
Und die Augen von Liebe so klar.

Wie Glocken klar, wie Reif so rein
Und so duft und so jung und blühend vor Güte
Tau der Frühe himmlische Blüte
Wie Rosen und wie Fliederschnein.

Da steigen die Hände, ein bettelndes Meer,
Augen dunkeln nach Geschenken,
Mir! Mir! Mir! Mich musst du bedenken!
So steigen die bettelnden Teller her.

Dunkel wird’s, ein Wundern steht
Strenge in der Feenseele,
Wie wenn rohe Nacht das Leuchten quäle,
Und Ernst in die Güte der Augen geht.

Und es spricht wie klares Licht
Aus dem milden Angesicht:
Geben euch? Was soll ich euch geben,
Alle Wunder habt ihr ja hier,
Eine Erde die könnt hegen ihr,
In euch selber will der Himmel leben.

Kinder, ihr wünscht,
So könnt ihr ja geben
Und selig sein und selig machen,
Und innig sein wie Kinderlachen
Und wie wir von Wundern leben.

Tuet frohe Liebesgaben
Einer in des anderen Hand,
Tuet ab das Geizgewand
Und ihr pflücket alles Haben.

Peter Hille (1854-1904)

Weitere Infos:
Peter Hille Gesellschaft
Peter Hille im „Lexikon Westfälischer Autorinnen und Autoren“
Biografie und Gedichte von Peter Hille auf Zeno.org

Türkische Lyrik 1 – Ein kurzer Überblick

Donnerstag, 15. November 2012

Die türkische Lyrik ruht auf dem Fundament jahrhundertealter Traditionen und genießt zwischen „Bosporus und Ararat“ große Wertschätzung.

Anders als im deutschsprachigen Raum; hier müssen viele, nicht nur türkische LyrikerInnen, gegen ein bescheidenes Interesse an ihren Gedichten anschreiben.

Trotz dieser schwierigen Ausgangslage stoßen Übersetzungen aus dem Türkischen zunehmend auf Interesse. Nicht zuletzt aus der sogenannten Gastarbeiterliteratur entwickelte sich ein breites literarisches Schaffen türkisch-deutschsprachiger AutorInnen. Darunter befinden sich immer mehr Frauen wie Seher Çakir (1971), Siir Eroglu (1961) oder Gülbahar Kültür (1965). Das Gedicht „Fremde Flügel auf eigener Schulter“ von Zehra Çirak (1960) wurde in die vom Literaturwissenschafter Harald Hartung herausgegebene Anthologie „Jahrhundertgedächtnis – Deutsche Lyrik im 20. Jahrhundert“ aufgenommen.

Der Dichter Yunus Emre († um 1321) ist einer der ersten türkischen Volksdichter. Seine Dichtung ist geprägt durch islamische Mystik und die sozialen Konflikte seiner Zeit.

Kommt, lasst uns Bekanntschaft schließen.
Lasst die Dinge schlichter fließen.
Lasst uns in Liebe leben.
Niemand überlebt die Welt.

Im Laufe der Jahrhunderte ist die Volksdichtung immer wieder Sprachrohr gegen Unterdrückung und Willkür im Osmanischen Reich.

So wird der alevitische Dichter Pir Sultan Abdal (16. Jh.) für seine Gedichte, sie sind reich an Fantasie und sufistisch inspirierten Metaphern über Gott, die Natur und die Liebe zu den Menschen, hingerichtet.

Ich als Fluss, der sich im Meer verloren hat.
Ich als Rose, vor der Zeit erblüht und verwelkt.
Ich als kalte Asche – das Feuer ist lange erloschen.
Freund dein Leid entflammt in mir.

Aus dem Gedicht „Ötme bülbül ötme“

Rund vierhundert Jahre später, im Sommer 1993 versammeln sich Dichter, Schriftsteller und Musiker in Sivas, um im Rahmen eines alevitischen Kulturfestivals Pir Sultan Abdal zu gedenken. Das Hotel, in dem sich viele von ihnen aufhalten, wird angezündet. 35 der Autoren und Musiker überleben das Feuer nicht.

Bis ins 19. Jahrhundert gibt es einerseits wandernde Volksdichter und andererseits die „Diwan-Literatur“. Letztere ist mit dem osmanischen Hof verbunden und verwendet eine Sprachmischung aus Arabisch, Persisch und Türkisch. Auch ihre Vertreter, beispielsweise Seyhi, Fuzûli oder Nef’i, sind bis heute unvergessen.

An der Schwelle vom 19. zum 20. Jahrhundert steht Tevfik Fikret (1867-1915). In seinen Gedichten verarbeitet er impressionistische Elemente. Er gilt als einer der Modernisierer der türkischen Lyrik.

Einer der ganz Großen unter den türkischen Dichtern des 20. Jahrhunderts ist Nazim Hikmet (1902-1963). Er schreibt über die Liebe genauso berührend wie über Verzweiflung, Not und Solidarität.

Leben wie ein Baum, einzeln und frei
doch brüderlich wie ein Wald,
das ist unsere Sehnsucht.

Aus dem Gedicht „Die Einladung“ (Davet)

17 Jahre verbringt Hikmet in türkischen Gefängnissen. Bis 1960 bleiben seine heimlich gelesenen Gedichte verboten. Er stirbt 1963 im Moskauer Exil.

Auch Ahmed Arif (1927-1991), ein kurdischstämmiger Dichter, ist aus politischen Gründen von 1950 bis 1952 im Gefängnis. Zeitlebens veröffentlicht Arif nur einen, jedoch viel gelesenen Band mit Gedichten: „Hasretinden Prangalar Eskittim“.

Der Schriftsteller, Lyriker und Philosoph Necip Fazil Kisakürek (1904-1983) lernt die türkischen Gefängnisse ebenfalls von innen kennen. Er wird wegen „starker Opposition zu Ismet Pasa und der Republikanischen Volkspartei“ einige Jahre eingesperrt.

Der türkische Romancier Yasar Kemal (1923)schreibt über die Schriftsteller seiner Generation:

„Es gibt praktisch keinen, der nicht durchs Gefängnis gegangen ist. Sabahattin Ali, der als erster Romane über die Bauern geschrieben hat, wurde ermordet. Hikmet war 17 Jahre im Gefängnis, Kemal Tahir 15 Jahre, Aziz Nesin 5 Jahre, Ahmed Arif, unser bedeutendster Lyriker der Gegenwart, 5 Jahre, Ruhi Su auch fünf Jahre. Auch Orhan Kemal saß lange Zeit im Gefängnis. Ich selbst war dreimal im Gefängnis. Das erste Mal mit 17 Jahren, dann wieder 1950, als ich gefoltert wurde. 1971 wurde ich wieder festgenommen, aber nach vielen internationalen Protesten wieder freigelassen. Es gibt keinen Zweifel – das Gefängnis ist die Schule der türkischen Gegenwartsliteratur.“

2008 wird er mit der höchsten türkischen Kultur-Auszeichnung, dem Kulturpreis des Präsidenten, ausgezeichnet. Bei der Entgegennahme des Preises nimmt er folgendermaßen Stellung:

„Dass mir dieser Preis zugesprochen wird, möchte ich als Zeichen dafür sehen, dass politische Standfestigkeit und der Kampf für Frieden und Menschenrechte nicht länger ein Grund zur Ausgrenzung sind und dass sich allmählich ein Weg zum Frieden in unserer Gesellschaft öffnet.“

Weiterführende Links:

Alevitische Lyrik

Türkischdeutsche Literatur – Chronik einer Wanderung

Themenschwerpunkt: Türkische Literatur auf dem Weg nach Europa


Liste deutsch-türkischer SchriftstellerInnen

38 in Österreich lebende türkische Autorinnen und Autoren haben mit ihrer Lyrik zur Anthologie „heim.at. Anthologie türkischer Migration“, herausgegeben von Gerald Kurdoglu Nitsche beigetragen.

„Kultgedichte – Kült Siirleri“ (hgg. v. Erika Glassen und Turgay Fisekçi, Türkische Bibliothek, Bd. 14, Zürich, Unionsverlag 2008)

Der rote Faden der Türkischen Bibliothek: Zwanzig Bände versuchen einen Gesamteindruck von der modernen türkischen Literatur von 1900 bis zur Gegenwart zu vermitteln

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