Literaturgefluester

2009-11-30

Herzzeit

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:11

So heißt der Briefwechsel Ingeborg Bachmann-Paul Celan mit Briefen zwischen Paul Celan und Max Frisch, sowie Ingeborg Bachmann und Gisele Celan-Lestrange, herausgegeben und kommentiert von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll und Barbara Wiedermann, der 2008 erschienen ist und im Sommer in Ö1 zu hören war.
Davon habe ich durch meine Sommerfrische nicht viel mitbekommen, mich aber die letzten Tage intensiv in das Buch hineinbegeben, denn Literatur und die Fünfzigerjahre, bzw. Sechzigerjahre interessieren mich sehr. Ein bißchen weiß ich auch darüber, war 2006 ja ein großes Bachmann Symposium mit sehr vielen Veranstaltungen und da habe ich auch einige der Herausgeber kennengelernt.
Trotzdem ist es schwer dieses Buch zu besprechen und wird mir auch nicht gelingen, denn da müßte ich in die Welt der Fünfzigerjahre und der beiden Dichter viel mehr eintauchen und es stellt sich auch die Frage, kann man, darf man, geht das überhaupt?
Ingeborg Bachmann hat Paul Celan jedenfalls 1948 in Wien kennengelernt und ihren Eltern geschrieben „Der surrealistische Lyriker hat sich herrlicherweise in mich verliebt!“
Paul Celan geht nach Paris, widmet Ingeborg, das Gedicht „In Ägypten“ und der Briefwechsel beginnt, der sich, wie die sogenannte Liebesbeziehung in einigen Phasen abspielen wird. Es wird immer von Besuchen geschrieben, die meist nicht stattfinden, einmal ist Ingeborg Bachmann die Werbende und Zurückgestoßene, später ist es umgekehrt.
Das Trauma des Krieges spielt seine Rolle und die Lebensgeschichten der beiden sind mehr als intensiv, vor allem die Celans, die der Bachmann klingt da etwas milder, ist es wahrscheinlich aber nicht. Bücher werden hin und hergeschickt, Gedichte gewidmet, Einladungen wie zum Beispiel zu der Gruppe 47 vermittelt. Die Bachmann schreibt Celan genau, welchen Autobus er nehmen soll, etc. und auch von ihrer Arbeitsüberlastung, Krankheit und Überforderung ist sehr viel die Rede.
Paul Celan heiratet, die Bachmann lernt Hans Werner Henze und Max Frisch kennen, zieht in die Schweiz, nach Rom, nach 1953 war sie kaum mehr in Österreich, steht irgendwo, die Liebesbeziehung wird wieder aufgenommen und zerbricht neuerlich.
Die Plagiatsvorwürfe von Claire Goll betreffs der „Todesfuge“ spielen eine große Rolle und die Kränkung, die ein Kritiker namens Blöcker mit seinem Artikel „Gedichte als graphische Gebilde“ bei Paul Celan auslöste.
Es kam zu zwei Mordversuchen, die Paul Celan an seiner Gattin verübte, Psychiatrieaufenthalte und schließlich Celans Selbstmord, der 1970 in die Seine ging.
Die Bachmann hat ihn um drei Jahre überlebt und auch einen fürchterlichen Tod gefunden.
Der Band ist sehr gründlich kommentiert, es gibt Fotos und Originalabbildungen der Briefe und der Postkarten und wenn man sich vorstellt, daß das alles auf Schreibmaschinen geschrieben wurde und in Päckchen hin- und herging, merkt man, wieviel sich inzwischen in unserer Kommunikationskultur geändert hat. Es stellt sich auch die Frage, ob man die Mailwechsel, die die heutigen Dichter miteinander führen, später so gut dokumentieren und kommentieren kann oder ob dadurch nicht viel verloren geht, so wie es heute wahrscheinlich auch keine Originale oder andere Originale gibt?
Das ist interessant, vor allem aber die Nachkriegsgeschichte, das Elend der traumatisierten Persönlichkeiten, die zu den starken lyrischen Ergüssen führte, während die Menschen dahinter zerbrochen sind.
Dann gibt es noch die verschiedenen Liebesbeziehungen der Bachmann, es gibt ja auch den Hans Weigel mit seiner „Unvollendeten Symphonie“, der auch eine gewisse Rolle spielt.
Die Bachmann hat sich in ihren Werken auch mit ihren Beziehungen auseinandergesetzt, die „Drei Wege zum See“, lese ich in den Kommentaren, beziehen sich auf ihre schwierige Beziehung zu Paul Celan.
Man müßte das alles viel genauer studieren und tut es aus Zeitmangel nicht, es geht einem auch gar nichts an und trotzdem haben wir durch den Briefwechsel einen sehr intimen Einblick in die Psyche zwei sehr schwieriger Menschen bekommen, die in einer sehr schwierigen Zeit gelebt haben und von ihr nicht nur gelobt, sondern auch überfordert worden sind.
Es passt auch zu dem intensiven Lyrikseminar der letzten Tage, denn es ging da auch um Briefe, wenn die von Fried vielleicht auch nicht so psychologisch intensiv sein mögen und, daß der Bachmann-Celan Briefwechsel, die jungen Dichterinnen animieren können, hat sich auch gezeigt.
Mich hat es natürlich auch betroffen und da ist mir eingefallen, daß ich in den Siebzigerjahren mit einem Celan Bändchen meiner Freundin Elfi mit dem Zug nach Hamburg gefahren bin und die „Todesfuge“ nicht verstanden habe, weder den politischen noch den menschlich emotionalen Hintergrund.
Jetzt wissen wir das alles besser und sollten wahrscheinlich anregen, mehr Bachmann und Celan zu lesen oder sich überhaupt mit der Literatur der Fünfzigerjahre zu beschäftigen und das kann man auch, gibt es ja gerade im Museum auf Abruf in der Felderstraße eine Ausstellung zum Kunstverständnis der Fünfzigerjahre mit einem literarischen Begleitprogramm über das ich noch berichten werde.

3 Kommentare »

  1. Paul Celan als – wenn auch versuchter – Mörder? Wieso wird das nie publik bis jetzt? Ist ja ein Skandal und zwar doppelt.

    Kommentar von Anni Bürkl — 2009-11-30 @ 12:04 | Antworten

  2. Und PS: Ich hebe viele Mails auf, die ich mit Kolleginnen tausche – so lange sie einen tieferen Inhalt haben und sich nicht um Banales wie Terminvereinbarungen drehen.
    🙂

    Kommentar von Anni Bürkl — 2009-11-30 @ 12:06 | Antworten

  3. Für mich war es auch neu, aber ich bin keine Paul Celan Spezialistin, so wie ich es verstanden habe, ist das in Verbindung mit einer psychiatrischen Krankheit zu sehen, wahrscheinlich die traumatische Folge der traumatischen Lebensgeschichte, die Daten stehen im Buch, wie lange das schon bekannt ist, weiß ich nicht, aber Briefe und Rechte werden oft erst nach einer gewissen Zeit freigegeben und dann werden Dinge erforscht, bekannt und veröffentlicht und was mails betrifft, so sind sie für mich auch die neue Form der Briefkultur, also lange genau und korrigiert, ich drucke sie mir auch meistens aus

    Kommentar von jancak — 2009-11-30 @ 13:51 | Antworten


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