Literaturgefluester

2011-10-16

Die Nacht, die Lichter

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:32

Jetzt habe ich wieder einen Erzählband gelesen, obwohl ich Clemens Meyers „Die Nacht, die Lichter“, ein Buch aus dem Flohmarkt von Alfreds bibliophiler WU-Kollegin, für einen Roman gehalten habe. Stories steht aber schon am Einband und sie sind auch sehr zu empfehlen, stark und ungewöhnlich realistisch und auch der Lebenslauf des 1977 in Halle an der Saale geborenen Clemens Meyer, der in Leipzig lebt und mit „Die Nacht, die Lichter“,, 2008 den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen hat, ist ungewöhnlich, ist er doch der Sohn eines Krankenpflegers und stieß durch die Bibliothek seines Vaters auf Bücher, nach dem Abitur jobbte er als Bauarbeiter, von 1998 bis 2003 studierte er am deutschen Literaturinstiut in Leipzig und finanzierte sich sein Studium als Wachmann, Möbelpacker und Gabelstaplerfahrer, es gab einen Aufenthalt in der Jugendarrestanstalt Zaithain und das sind auch die Milieus in denen die Stories spielen.
Handeln sie doch von Arbeitslosen, alten Männern in einsamen Dörfern und anderen Heruntergekommenen , aber auch vom kleinen Glück der Ausgeschlossenen und Übergebliebenen, von denen preisgekrönte Romane und Erzählungen sehr selten erzählen. Ich habe den Namen Meyer und eine Beschreibung des Buchs, glaube ich, nach der Verkündung des Buchmessenpreises gehört, da erschienen mir die Themen zu brutal und aggressiv. Jetzt hat mich die realistische Schilderung sehr beeindruckt und sprachlich genügend abgehoben sind sie natürlich auch, sonst hätte man ihm nicht im Leipziger Literatur Institut aufgenommen, den Buchpreis und noch einige andere Preise gegeben.
Noch etwas ist vielleicht ungewöhnlich, die Geschichten spielen in Leipzig oder sonst wo in Ostdeutschland und handeln nach der Wende, wo die übergebliebenen Arbeitslosen aufs Arbeitsamt gehen, ihre ebenfalls arbeitslosen Mütter besuchen und ihnen Geld in die Tasche stecken wollen und dann drei Briefe aus dem Postkasten nehmen, einem vom Arbeitsamt, eine Absage auf eine Bewerbung und einen aus Cuba, der vom alten Freund Wolfgang kommt, der in Cuba sein Glück machte und Frank davon schreibt.
In „Die Flinte, die Laterne und Mary Monroe“, rennt ein Mann mit einer Flinte in seiner Wohnung herum und spricht mit seiner Frau, die ihm Bett liegt und wie Mary Monroe ausschauen soll, nach und nach erkennt man, daß sie tot ist und er sie ermordet hat.
Sehr beeindruckend die Geschichte „Von Hunden und Pferden“, da ist auch ein Arbeitsloser, Geschiedener oder anderer Einsamer, der nichts hat als seinen Hund, den er zum Tierarzt bringt, weil er hinkt und den er durch eine Operationen retten kann, wenn er dafür dreitausend Mark aufbringt. Die borgt ihm niemand, so kommt er auf die Idee, sie sich durch Pferdewetten zu verdienen, er gewinnt auch, nur als er in seiner Freude mit dem Geld nach Hause will, bemerkt er nicht, daß ihm drei Gestalten folgen…
„Ich bin noch da“, hat mich vielleicht noch stärker beeindruckt und auch persönlich betroffen, obwohl sie von einem schwarzen Boxer handelt, der die Zahlen 18 – 32 -3 hat, das heißt achtzehn Siege, zweiunddreißig Niederlagen und drei Unentschieden, weil er, obwohl er sich sehr bemüht, immer nur für Kämpfe engagiert wird, wo klar ist, daß er verlieren wird. Er stammt aus Rotterdam hat dort eine Frau und ein Kind und will ein kleines Boxstudio errichten, so kommt er nach Deutschland und gewinnt, obwohl er das offenbar nicht soll, mit dem Geld muß er sich dann vor einigen Angreifern verteidigen, darunter sind auch ein paar Neo Nazis, denen seine Hautfarbe nicht gefällt, am Schluß schaut er noch ein bißchen lädierter aus, fährt aber mit 19 Siegen zum Bahnhof.
Eine Geschichte, die, „Die Nacht, die Lichter“ heißt, gibt es auch, aber die Lichter der Nacht spielen eigentlich in dem ganzen Buch eine Rolle, wie auch die jungen Männer, die wegen irgendetwas im Knast landen, dann ihre Begegnungen mit Schwulen und mit anderen Typen haben und ihren Töchtern das ersparte Geld in die Freiheit bringen.
„Das kurze und glückliche Leben des Johannes Vettermanns“, ist ebenfalls sehr beeindruckend, obwohl es in der letzten Etage eines Leipziger Luxushotels spielt, Johannes Vettermann ist der Sohn eines Gemüsehändlers der durch die Wende zuerst aufstieg, dann wieder abstürzte nachdem die Vietnamesen den Obst- und Gemüsehandel übernahmen, er hat auch als Maler und Kunsthändler Karriere gemacht, dann ist er dem Rauschgift verfallen und sich zwei schicke Damen in seine Hotelsuite bestellt, damit sie ihm den letzten Schuß setzen.
Ebenso beeindruckend die Geschichte des Weinvertreters, der sich plötzlich mit billigen Fusel in einem Zug wiederfindet, nicht weiß, wie er dorthin gekommen ist, dort die Bekanntschaft eines Zeugen Jehovas macht, der ihn zu Gott bekehren will und nach und nach erkennt er, daß er offenbar Fahrerflucht begangen hat.
Starke Worte, ungewöhnliche Themen , schräge Geschichten, es wird schon viel geschlagen, gesoffen und gekifft dabei, es kommt aber immer auch immer wieder zu den starken Momenten des kleines Glücks, etwa in der Boxergeschichte, obwohl die „Des alten Mannes der seine Tiere begräbt“, mit der das Buch endet, nur beeindruckend depressiv ist, ist dem alten Mann doch seine Frau schon vor Jahren weggestorben, jetzt ist er der einzige Gast der Wirtin und Friseurin des Dorfes, die Geschäfte haben schon längst geschlossen, er hat nur mehr einen Hund, seine Hühner hat er schon begraben, als er sich mit Schnaps betrinkt und sich vom letzten Freund die Pistole ausborgt, um den alten Hund zu erschießen. Man ahnt, daß er dabei zwei Kugeln brauchen wird und hat sehr viel von der Tristesse des ostdeutschen Lebens und der Einsamkeit seiner alten und auch jungen Menschen gelernt.
„Meyer weiß wovon er schreibt“, schreibt die Welt am Sonntag und ich habe in Wikipedia gelesen, daß die „Die Nacht, die Lichter“ 2010 szenisch uraufgeführt wurden.
2010 habe ich ihn, glaube ich, auch auf der Leipziger Buchmesse erlebt, als er da wahrscheinlich sein drittes Buch präsentierte, heuer habe ich seinen Leipziger Buchmessenblog in meinem Wohnzimmer sehr intensiv verfolgt.

4 Kommentare »

  1. Anstatt Jammern dass die eigenen Bücher nicht genug anerkannt werden und anstatt „Wirklichkeit aus zweiter Hand“ (wie das surfen im Netz ja ist anstatt real dort zusein;-) handeln Sie doch hier und setzen Ihre Schriften einer „Eichung“ aus: http://www.schoenstebuecher.at/rte/upload/schoebu_folder_2011.pdf
    mfg

    Kommentar von JuSophie — 2011-10-17 @ 15:48 | Antworten

  2. Ja, das eine Idee, zwar rechne ich mir nicht sehr viele Chancen aus, aber wenn Sie „Mimis Bücher“ einreichen wollen, das Sie ja noch haben, habe ich nichts dagegen.
    Das mit dem Jammern ist so eine Frage, natürlich tue ich es und als Therapeutin würde ich auch meinen, daß das besser ist, als den Frust in sich Hineinzufressen.
    Ich selber würde es ja eher als Bericht über meine Schreiberfahrungen verstehen. Mich hätte das als junge Autorin sehr interessiert und ich weiß auch, daß mich einige junge Autorinnen lesen und das mit der Wirklichkeit aus zweiter Hand, sehe ich nicht so.
    Denn mich interessieren die Bücher der anderen und die Buchmesse sehr. Nach Frankfurt zu fahren ist mir zu teuer und zu weit, so habe ich das Wochenende sehr genossen und viel gelernt.
    Das Schreiben kommt aber nicht zu kurz, so habe ich gerade die „Zwillingswelten“ fertig durchgesehen und warte jetzt auf den Text von E.A.Richter, damit wir die Umschlaggestaltung machen können und habe mir auch die „Frau auf der Bank“ zum Weiterkorrigeren geholt.
    Ich finde Literatur eben interessant in allen ihren Formen und hätte mir eher gedacht, daß Sie meinen, daß ich zu viel und zu schnell schreibe und mir mehr Zeit lassen soll.
    Aber vielen Dank für den Tip, einen kleinen Frust habe ich in den letzten Tagen auch erlebt, als ich mich schon freute, daß in Frankfurt die selbstgemachten Bücher so gut aufgenommen wurden.
    Wikipedia hat mir ein paar herausgestrichen, weil sie „Eigenverlag“ nicht wollen. Es ist eben ein weiter mühevoller Weg, der eine zum Jammern bringen kann.
    Ihnen alles Gute, ich habe aus „zweiter Hand“ im Internet ersurft, daß Sie Veröffentlichungen im „Dum“ und „Driesch“ haben.
    Ich lese heute übrigens um halb acht im Cafe Amadeus, Märzstraße 4, aus „Sophie Hungers Krisenwelt“, wenn Sie Zeit und Lust haben, lade ich Sie ganz herzlich dazu ein.

    Kommentar von Eva Jancak — 2011-10-17 @ 16:43 | Antworten

    • Danke für die guten Wünsche, nehme ich doch gerne an. Wie gut dass man/frau nicht alles an Veröffentlichungen ergoogeln kann. Und: Da muss ein Missverständnis sein, wegen der Einreichung eines Buches von Ihnen, war ein Tipp für Sie, oft schreibt man ja ganz falsche Adresssen an, wie ich auch bereits erfahren durfte und die interesantesten Antworten bekam. Z.B. um sie auch an meinen „Misserfolgen“ tröstlich teilnehmen zu lassen, die jeder Autor haben kann: bekam für einen Essay, die Rückmeldung er sei zu akdemisch- und das von einem Studiumabbrecher*lach*te ich für mich hin.Ich nahm die Rückmeldung dennoch ernst, im wahrsten Sinn des Wortes und überarbeitete ihn und werde ihn bei einem Essaywettbewerb einreichen. Also wo eine Türe zugeht, weil es nicht passt- ich bekomme nie Koliken wenn es nicht passt- geht woanders eine Türe auf. So sehe ich das nicht nur für freundschaftliche Beziehungen im Leben, sondern auch für literarische.
      Leider hatte ich am Tag ihrer gut beworbenen Lesung (es lag bei der Emily Walton Lesung ein wunderbarer Terminzettel mit den nächsten Lesungen auf, wo auch der Ihre draufstand), bereits drei andere Termine- ohne Abstriche gehts ja nirgends. Dass Sie so cool die Lesung vor den beiden Männern gehalten haben, ist ja bewundernswert. Bei meiner Lesung in der Bücherei am 7.10 war der Raum voll, es lasen jedoch auch noch zwei andere Autorinnen. Vielleicht ist „Rudellesen“ sicherer, als das konkurrenzlose??? frage ich mich, mit den besten Wünschen für die nächste Lesung für Sie.

      Kommentar von JuSophie — 2011-10-20 @ 16:06 | Antworten

  3. Diesen Terminzettel habe ich leider nie gesehen, nur den von Elisabeth Chovanec, aber die hatte einen falschen Termin und war der Meinung, sie würde am 24. 10. statt am 7. 11. lesen.
    Egal, war eine interessante Erfahrung, vor zwei Männern zu lesen, fast, wie eine Tonaufnahme, aber ähnlich leer war es auch, als ich einmal mit Uwe Bolius in der Alten Schmiede in den Energieferien um siebzehn Uhr gelesen habe.
    Gruppenlesungen sind da sicher sicherer, weil man davon ausgehen kann, daß die anderen ihre Leute mitbringen, es ist aber, wie es ist, das sagt schon Erich Fried und das mit der Bucheinreichung hätte ohnehin nicht gepasst, habe ich mir ja die Einreichungsbedingungen angesehen und da wäre die „Mimi“ im falschen Zeitraum erschienen.
    Also weiter viel Erfolg für Sie und vielen Dank für Ihre Wünsche, vielleicht sehen wir uns am 5. 11 und dafür habe ich schon einige Anmeldungen von interessanten Menschen bekommen.

    Kommentar von jancak — 2011-10-20 @ 17:13 | Antworten


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