Literaturgefluester

2013-05-17

Veza Canetti lebt

Filed under: Uncategorized — jancak @ 00:00

„Sozialkritische Literatur zeitgenössischer Autorinnen“, steht auf dem Umschlag des „Promedia“-Bändchens mit dem Bild einer Frau im altmodischen Kleid, von der statt eines Gesichtes nur ein riesiger großer roter Mund zu sehen ist und die mit dem Finger auf eine Hauswand mit einem Briefkasten und einer Uhr zeigt.
Vor zirka einem Jahr ist der Aufruf von Karin Ballauf, Petra Ganglbauer und Gertrude Moser-Wagner, den Herausgeberinnen, anläßlich Veza Canettis fünfzigsten Todestages, sozialkritische beziehungsweise formal spannende Kurzprosa einzureichen, zu mir gekommen.
Detail am Rande war noch, daß sich der Aufruf an deutschsprachige Autorinnen wandte, die das vierzigste Lebensjahr schon überschritten hatten, um dem Jugendkult und dem Fräuleinwunder bei den Einreichungen entgegenzusetzten und ich, die ich als Verza Canetti in den Neunzigerjahren zum ersten Mal in Buchform aufgelegt, bzw. im Theater gespielt wurde, mir sowohl die „Gelbe Straße“ kaufte, als auch den „Oger“ im St. Pöltner Landestheater gesehen habe und 2006 von Judith Gruber-Rizy eingeladen, auch bei dem „Fest für Veza“, in der Ferdinandstraße war, habe das Literaturgeflüster durchforstet, denn irgendwie habe ich ja vielleicht etwas mit der 1897 geborenen Dichterin gemein, obwohl ich nicht expressiv schreibe, in keiner experimentellen Szene verhaftet bin und auch keinen späteren Nobelpreisträger zum Mann habe, aber ich wurschtle mich an die vierzig Jahre im literarischen Untergrund dahin, gebe meine Bücher selbst heraus, weil ich bis auf einen Roman in einem Kleinstverlag und zwei Sachbüchern auch nur in Anthologien und in Zeitschriften zu finden bin und mir, auch wenn das nicht bemerkt wird, die Literatur, das Schreiben und das Lesen sehr wichtig sind, so daß ich die Möglichkeit des Bloggens, die Veza Canetti noch nicht hatte, seit 2008 nütze und seither mein literarisches Leben fast täglich und manchmal auch darüber ins Internet stelle.
Aus diesen dann drei Texte herausgefischt, die zwar keinen unmittelbaren Bezug zu Veza Canetti haben, hatte ich im „Literaturgeflüster“ ja ,glaube ich, noch nicht sehr viel über sie geschrieben.
Aber mein „Langer Brief an den Hern Kurz“ schien mir die die „aktuellen gesellschaftlichen Bedingungen“ widerzuspiegeln, „Nebelschwaden“, ein Kurztext zum Projekt an dem ich gerade arbeitete, ebenfalls und das „Post-Frühstück“ schien mir auch geeignet.
Da die ersten beiden Texte inzwischen in anderen Publikationen erschienen sind oder noch erscheinen werden, war ich gar nicht so unglücklich, als mir Petra Ganglbauer oder war es wer anderer schrieb „Diesmal leider nicht!“ und ich wollte zuerst auch gar nicht zu der Veranstaltung in die „Alte Schmiede“ gehen, dann ist sich das aber doch ausgegangen, habe ein paar liebe Kommentare auf den Artikel bekommen und vielleicht sogar eine neue Kommentiererin für das „Literaturgeflüster“ gefunden, was mich sehr freuen wurde und bei der Tafelenthüllung im Hause Ferdinandstraße Nummer 29 bin ich kurz auch gewesen und dann ist jetzt noch das Buch zu mir gekommen, so daß ich auch noch einen Eindruck über die aktuelle Zeitgenössische Auseinandersetzung der deutsprachigen Autorinnenschaft über Vierzig geben kann.
Gertrude Moser-Wagner, die mir auch einen Kommentar schickte,leitete in ihrem Vorwort in das Projekt ein, erzählte, wie es zu der Textauswahl kam und bedankte sich auch den nicht ausgewählten Autorinnen, für ihr Engagement was ich auch sehr interessant finde.
„Veza-werden“ ist der erste Text, der mir bisher unbekannten Elke Krasny, der ein bißchen an die Erinnerungsbücher erinnert, von denen ich vor kurzem eines gelesen habe.
„Ich erinnere mich. Ich erinnere an sie. Die Positionen sind vielfach verschoben.“
Ein Zitat von Virginia Woolf gibt es auch und die Aufzählungen all der Namen unter denen Veza Canetti in den erwähnten Zeitungen und Zeitschriften geschrieben hat „Veza Magd, Veronika Knecht, Martha Murner, Martina Murner, Marina Muner, Martin Murner“
„Sie war eine Frau. Sie war eine Jüdin. Sie war eine Behinderte. Sie war eine Austromarxistin. Sie war eine Emigrantin. Sie war eine Übersetzerin. Sie war eine Schriftstellerin. Sie war eine Feministin“.
Da ist interessant, daß ich das mit Behinderung bisher genausowenig wußte, wie das Valerie Szabo-Lorenz Jüdin war, zumindest kann ich mich nicht erinnern, das von ihr gehört zu haben, obwohl ich mit ihr ja sehr gut und lang befreundet war.
Susanne Hochreitner, deren Text zu den literaturwissenschaftlichen Texten gehört, die auch noch eingefügt wurden, habe ich schon in der Alte Schmiede gehört.
Dann wird es literarischer und so erinnert die 1949 in Heidelberg geborene Lebensberaterin Shobhar C.Hamann in ihren Text vorher an fünf Frauen, die von ihrem Männern geschlagen werden, um die Alimente betrogen, von den Jugendamtsmitarbeitern belächelt, werden, bevor sie zu Vezas Briefwechsel mit Elias Canettis Bruder George kommt und daran erinnert, daß sich Elias, erst an das Schreiben seiner Frau erinnerte, als er schon Nobelpreisträger war, sie hat ihm dagegen bei der Herausgabe der „Blendung“ geholfen und war auch offensichtlich auch noch sehr depressiv.
In „Nachrichten aus dem „Hier und jetzt“ der 1965 in Bregenz geborenen Ute Liepold spricht eine Frau eine andere auf der Straße an, erzählt von der Gewalt, die Frauen von ihren Männer erleiden, die sie aus Liebe heiraten und retten wollen und dann mit ihren Kindern, mit blauen Augen und zerkratzten Händen im Frauenhaus landen, wo sie vielleicht langsam wieder zu sich kommen.
Brigitte Menne geht es in „Dorothea mit dem Hammer oder die Eingebungen des heiligen Geistes“ poetisch an und erzählt in einer Mischung zwischen Polizei und anderen Protokollen die Geschichte einer Schizoprenen mit religiösen Wahn, einer Bäuerin, die mit einem Hammer auf ihren schlafenden Mann einschlug, „um die Welt vor dem Teufel zu retten.“ Er will sie, ihren Sex und ihre Arbeitskraft zurückhaben, sie ist aber ganz froh über die geschlossene Anstalt in der sie landet,“beschäftigte sich mit nützlichen Arbeiten und wurde mit der Zeit ausgeglichen und umgänglich.“
In „Valerie und Valerie“ erzählt Sylvia Treudl von Valerie Lorenz und ihrer Tante die in Weitra im Waldviertel lebt und Valerie Lorenz-Szabo, habe ich ja in den späteren Siebzigerjahren im „Arbeitskreis schreibender Frauen kennengelernt“ und bin jung und blauäugig auch in ihre Gemeindewohnung nach Grinzig gekommen, wo mir der Lyriker Wilhelm Szabo zwar die Hand küsste, aber mich und mein literarischen Arbeiten nicht so förderte, wie ich es mir erwartete.
Er hat auch seine Frau nicht gefördert, die eine Kunstschule besuchte, mit ihm im Waldviertel und später in Wien lebte, an deren Jausen ich mich sehr gern erinnere, haben wir uns ja bis zu ihrem Tod 1996 regelmäßig bei ihr getroffen und wir haben auch einmal ein Frauenbuch herausgeben wollen, in dem sie einen Text mit dem Titel „Kafka ist es nicht“ drinnen haben hätte sollen, wo man die mangelnde Anerkennung des gefeierten Lyrikers an seiner schreibenden Frau finden kann. Nach ihrem Tod sind in der Edition Doppelpunkt „Veras Puppen“, erschienen, vorher, glaube ich, auch Texte in Anthologien. Sylvia Treudl hat recherchiert, daß sich im Literaturkreis Podium niemand an die Valerie erinnert hat. Da hat sie vielleicht Elfriede Haslehner nicht befragt, aber vielleicht ist die dort nicht mehr so aktiv. Eine Parallele zu Verza Canetti kann man aber sicher herstellen und es ist auch sehr wichtig, daß Syvia Treudl an sie erinnert, ob sie in den ersten Frauenverlagsanthologien Texte drinnen hat, weiß ich nicht und „Veras Puppen“ ist ja auch nicht im „Wiener Frauenverlag“ erschienen, aber jetzt kann man Interessantes über die Dichterin nachlesen.
Weiter geht es bei den achtzehn Prosatexten mit und ohne Veza Canetti mit prezzemolas „Konditormeisterin“, die wahrscheinlich authentische Geschichte einer Frau, die als alleinerziehende Mutter eine Konditorei gründete und ihr Kind um siebenunddreißig Jahre überleben mußte.
Die Musikredakteurin Irene Suchy, die ich von Ö1 kenne überraschte mit einer „Litanei gottloser Gebete.“
Dine Petrik, deren zweites Hertha Kräftner Buch ich vor kurzem erst besprochen habe, ging auf Spurensuche ihres nicht aus dem Krieg zurückgekommenen Vaters und Irene Wondratsch, ebenfalls GAV-Kollegin und seit kurzuem in Pension erzählt sehr poetisch und mit Farbenangabe wie eisengrau oder erdbeerot „Was Katja zwischen dem 19. März und dem 11. Mai erlebt.“
In „Die Puppe zu Besuch beim alten Mann“, erzählt die aus Polen stammende Magdalena Diercks, was Agnieska bei ihrem Nachbarn erlebte, und wie sie dem einsamen und verbitterten langsam näher kommt. Und in „Kreuzungen“ von Silvia Hlavin fährt ein 1956 Ungar Flüchtling jetzt Rosenzüchter mit einem solchen Strauß für seine Mutter nach Budapest. Der Wartburg einer entlassenen Staatssicherheitsbeamtin rast in ihn hinein und sie erinnert sich an alle seine Briefe, die sie einmal lesen und an ihre Vorgesetzen weiterletien mußte.
In „Fahrige Zeichen im Nirgendwo“ von Katja Schröckenstein geht es dann langsam wieder zu den Canettis zurück. Zuerst werden aber Grenzen gebrochen, Päße gezeigt und auch sonst von Flüchtlingsschicksalen erzählt. Und Gertraud Klemm mit der ich ja erst vor kurzem gelesen habe, gibt wieder eine Probe ihres bei Droschl erscheinenden Romanes „Herzmilch“ ab.
Gerda Sengstbratl, die glaube ich, einmal in einer von Petra Ganglbauers Schreibgruppen war, zeigt in einem sehr poetischen Text, wie die Auslöschung der Frauen am Land passiert und die in Kurks geborene Ljuba Arnautovic geht in das Wien des Austrofaschismus und zeigt sehr eindrücklich die Angst einer evangelischen Frau, die mit einer Nonne in einem Keller eines Polizeigefängnis eingesperrt ist, in dem langsam das Wasser hochsteigt. Dann kommen zwei Horrorvisionen, bevor es mit Fotos des Veza-Projektes und den zwei Männern im Buch weitergeht.
In „Gehen und Stehen“ beschreibt Claudia Bittner, die glaube ich, zweimal den Siemens-Preis gewonnen hat, die weiblichen Arbeitsbienen in ihrem Alltagstrott und die 1948 geborene Elfie Resch, die Redaktionsmitglied des „Driesch“ ist, neben der ich bei Veza-Veranstaltung in der „Alten Schmiede gesessen bin und die ich auch mit dem Buch unterm Arm an nächsten Tag bei den Maidemonstrationen gesehen habe, schildert ein Szenario, nach dem Frau, die erfolglos bei den schwarz-blau Demos mitmarschierte, sich auf einen Berg zurückzieht, als die Chips eingeführt wurden und die Bücher abgegeben werden müssen, in Wahrheit wird letzteres wahrscheinlich viel subtiler passieren, sie vereinsamt dort ein bißchen und als die Depression zu groß ist, kommen die Mädchen, die sie versorgen mit zwei Flüchtlingen hinauf, so, daß „Die Alte vom Berg“ wieder eine Aufgabe hat.
Klaus Zeyringer erzählt ein bißchen, wie wenig Schriftstellerinnen bis zum Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts publiziert wurden und kommt zu den vierzehn Erzählungen, die unter den schon erwähnten Pseudonymen in der Arbeiterzeitung in den Dreißigerjahren von Veza Canetti publiziert wurden und Klaus Neudlinger ist zu einem Symposium nach Ruse gefahren, wo das Geburtshaus Elias Canetti steht, an dem die Veza ja „zwanzig Jahre Dienst versah“ und der Bogen hat sich geschlossen.
Eine wunderbare Textauswahl von mir bekannten und auch unbekannten Autorinnen, interessant wäre nun auch die Texte der nicht Ausgewählten zu kennen und zu wissen, wie und inwiefern, sie sich von den ausgewählten unterscheiden und einige Namen, die zu diesem Thema wahrscheinlich auch etwas zu sagen hätten, wie Ruth Aspöck, Judith Gruber-Rizy etc habe ich vermißt, weiß aber nicht, ob sie eingereicht haben.

3 Kommentare »

  1. Mit dieser Besprechung hast du mich endgültig neugierig auf Veza Canetti gemacht. Morgen werde ich mich an den Händler meines Vertrauens wenden und schauen, ob er etwas von ihr lagernd hat. Wobei die Anthologie von Promedia sicher auch interessant zu lesen ist.
    Liebe Grüße
    Gabi

    Kommentar von Buchmanie — 2013-05-17 @ 12:48 | Antworten

  2. Im Buch sind auf Seite 206 alle Publikationen, die wahrscheinlich noch erhältlich und im Hanser Verlag erschienen sind,angeführt. Das gibts den Roman „Die gelbe Straße“, der die Ferdinandstraße beschreibt, den Roman „Die Schildkröten“, daraus wird bei der Vernissage am 24., glaube ich, gelesen und da werden die Bücher wahrscheinlich auch erhältlich sein.
    Die Anthologie ist ebenfalls sehr zu empfehlen, obwohl man darin mehr über die weibliche Gegenwartsliteratur als über Veza Canetti selbst erfährt.
    Aber dieser Schwerpunkt ist sicher sehr interessant und ich habe eigentlich nur deshalb davon etwas mitgekommen, weil mir Gustav Ernst seinen Roman zukommen ließ. Sonst wäre ich stattdessen zur Präsentation ins Literaturhaus gegangen, wie in meinem Kalender dick angeschrieben stand. Ja, wie es das Leben so spielt…

    Kommentar von jancak — 2013-05-17 @ 14:08 | Antworten

  3. Vielen Dank für Eure Überlegungen, Berichte und Beobachtungen. Darf ich alle Interessierten zur Finissage ins Hotel Praterstern/Hof, 1020 Wien, Mayergasse 6 am 12.6.2013 um 18 Uhr einladen, denn nun kommt die Literatur von Veza Canetti selbst zum Zug. Dort wird vom Ersten Wiener Lesetheater und Zweiten Stegreiftheater aus „Die Schildkröten“ gelesen werden, (Organisation Gabriele Stöger). Maren Rahmann wird „Lieder vom Leben und Widerstehen“ zum Besten geben und die VEZALEBT Ausstellungsräume über der Straße (Studio Balogh und Sternstudio) sind am Mittwoch 12.6. auch schon ab 17 Uhr geöffnet. Die Anthologie „Veza Canetti lebt“ kann bei dieser Gelegenheit bei uns erworben werden. Wir freuen uns wieder auf viel Publikum und hoffen auf gutes Wetter zum Abschluss im schönen Garten des Hotels. Das Veza-Projekt, das in der Alten Schmiede gut begann, hat alle unsere Erwartungen übertroffen. Ein Zeichen, dass Kunst und Literatur gemeinsam stark sind und dass Veza Canetti in der Zeit liegt, will sagen – mit unserer Zeit zu tun hat! Einen schönen Bericht, der die Kunstschiene (also auch meinen Teil, die bildende Kunst) näher herausarbeitet, gibt es seit vorgestern in:
    wien.international.at
    http://www.wieninternational.at/de/aktuell/auf-den-spuren-von-veza-canetti-de
    http://www.wieninternational.at/en/aktuell/in-the-footsteps-of-veza-canetti-en
    und gut gemacht ist auch das hier:
    Radio ORANGE, Interview von Jürgen Plank mit Konstantin Kaiser und Gertrude Moser-Wagner,
    Auszug aus „Lied für Veza“ von Evelyn Blumenau/NOVI SAD
    mp3 zum herunterladen: http://we.tl/w88hSDCj0o

    Kommentar von Gertrude Moser-Wagner — 2013-06-01 @ 00:46 | Antworten


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