Die Spitze des Eisbergs

Die Frauen in Pakistan werden Opfer von Tradition und Religion: Betsy Udink schlägt Alarm

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das muslimische Kopftuch als Zeichen der Emanzipation zu tragen, wie dies manche Muslimas im Westen oder in der Türkei zu tun behaupten, ist so abstrus, als würden Sklaven zum Zeichen ihrer Freiheit in Ketten gehen. Und es ist zudem eine Verhöhnung all derjenigen, die unter das Kopftuch gezwungen werden. Wie beispielsweise die Frauen in Iran, in Saudi Arabien oder anderen Ländern, in denen der Islam Staatsreligion ist. Auch Pakistan zählt dazu. In diesem - wie es sich selbst gerne nennt - "Land der Reinen" zu leben, ist für Frauen geradezu die Hölle und oft genug tödlich. Dass dies durchaus keine übertriebene Behauptung ist, sondern dort tatsächlich nicht weniger als ein Gynozid betrieben wird, bezeugen nicht nur die zahllosen 'Ehren'morde, die aus frauenfeindlichen Gründen wohl millionenfach durchgeführten Abtreibungen weiblicher Föten oder die massenhafte Tötung neugeborener Mädchen durch Vernachlässigung. Ein Blick in die Bevölkerungsstatistik zeigt: In dem Land leben acht Millionen weniger Frauen als Männer.

Natürlich weiß man hierzulande seit Längerem, dass es um die Frauenrechte in Pakistan nicht zum Besten steht. Doch die alltäglichen Ungeheuerlichkeiten des mordenden, sich aus Tradition und Religion speisenden Männlichkeitswahns und dem damit einhergehenden Frauenhass sind im wahrsten Sinne des Wortes unvorstellbar. Und der aufgrund des Gynozids zunehmende Frauenmangel führt dazu, dass die Männer 'ihre' Frauen immer stärker überwachen und unterdrücken. Leidtragende der Bevölkerungsentwicklung sind inzwischen auch männliche Jugendliche und Kinder, von denen immer mehr missbraucht werden, und zwar nicht einmal, sondern regelmäßig. SAHIL zufolge, einer nichtstaatlichen Organisation in Pakistan, die gegen sexuellen Missbrauch an Kindern kämpft, sind davon insbesondere die Schüler in den Koranschulen betroffen.

Doch dies alles sei nur die "Spitze des Eisbergs", sagt Betsy Udink. Wenigstens diese hat die niederländische Autorin, die selbst von 2002 bis 2005 in Pakistan lebte, nun auch für deutsche LeserInnen sichtbar gemacht. Neben ihrem eigenen Erleben stützt sich ihr aufrüttelndes Buch "Allah und Eva" nicht nur auf zahlreiche Interviews mit JournalistInnen, WissenschaftlerInnen und VertreterInnen von Non-Profit-Organisationen, sondern auch auf ein umfangreiches Archiv, in dem sie zahllose Zeitungs- und Zeitschriftenartikel zu Frauenrechtsverletzungen und -morden im Lande gesammelt hat. Die alltäglichen Frauenmorde sind den Zeitungen meist nicht mehr als kleine Notizen wert. Sie werden in Pakistan zur Kenntnis genommen, "wie wir die kleinen Meldungen über Verkehrsunfälle hinnehmen und uns nicht weiter darüber aufregen".

Die Gründe und Anlässe, eine Frau zu ermorden, sind ebenso vielfältig wie nichtig. Fast immer lassen sie sich aber darauf zurückführen, dass die Frau auf irgendeine Weise ihr Leben (oder auch nur einen kleinen Moment ihres Lebens) selbst bestimmen wollte. Da kann es schon reichen, dass sie ihren männlichen Angehörigen - den Vätern, Brüder, Ehemännern oder auch schon mal den Söhnen - in einer Kleinigkeit den Gehorsam verweigern oder sie für einen Moment vergessen, sich unterwürfig genug zu verhalten. So sind die Mörder einer Frau denn auch in aller Regel ihre männlichen Verwandten. Da jede ermordete Frau zugleich als Warnung für die Überlebenden dienen soll, werden sie nicht schlicht getötet, sondern auf bestialische Weise zu Tode gefoltert. Ihnen werden Haare und Augenbrauen abrasiert, ihre Gesichter werden zu Brei geschlagen, sie bekommen die Augen ausgestochen, ihnen werden Nasen und Ohren abgeschnitten, die Hände oder auch schon mal die Zehen abgehackt, sie bekommen Salz und Chilipulver in die Wunden gerieben. Sie werden vergewaltigt, oft gleich von einer ganzen Gruppe Dorfbewohner. Sie werden bei lebendigem Leib verbrannt. Ein Martyrium, das sich schon mal über einige Wochen hinziehen kann. Und da die Frauen nicht nur getötet, sondern vollkommen ausgelöscht werden sollen, ist es den weiblichen Angehörigen verboten, die Ermordete zu betrauern.

Die Annahme, dass Armut und Mangel an Bildung an Frauenunterdrückung und -morden schuld seien, weist die Autorin mit dem Hinweis zurück, dass der Terror gegen Frauen in allen Schichten Pakistans gleich groß ist. Auch noch so 'aufgeklärte' Universitätsprofessoren begehen ohne weiteres einen 'Ehren'mord. Und die Zahl der Abtreibungen weiblicher Föten ist gerade unter den Reichen und Gebildeten des Landes besonders groß. Denn sie haben das nötige Geld, um sich eine Geschlechtsbestimmung des Ungeborenen leisten zu können.

Noch absurder als die Armutsthese ist eine auf ihr fußende Annahme, die Udink von einem pakistanischen Wissenschaftler vorgetragen bekam: In einem Buch, so erklärte er ihr, habe er bewiesen, dass letztendlich der IWF und die Weltbank die Verantwortung für den Sexismus und die Frauenmorde in seinem Land trügen.

Nein, sagt Udink, "die Unterwerfung der Frau ist ein wesentlicher Bestandteil des Islam". Und sie fügt hinzu, dass daran auch "keine feministische islamische Theologie etwas ändern" könne.

Auf Druck internationaler Menschenrechtsorganisationen und westlicher Staaten, von denen Pakistan Entwicklungshilfe erhält, werden dort alljährlich eine "Unmenge von Workshops und Konferenzen" über Zwangsheiraten, 'Ehren'morde und andere 'häusliche Gewalt' durchgeführt. Udink hat etliche dieser Veranstaltungen besucht und ist zu dem Schluss gelangt, dass sie nur dazu gedacht sind, "der Welt vorzugaukeln", der pakistanische Staat versuche "mit allen Kräften", die 'Ehr'- und sonstigen Verbrechen an Frauen zu verhindern.

Aber auch Tagungen, die von IslamistInnen veranstaltet wurden, hat Udink besucht. So lässt sie die Lesenden an einer Konferenz teilhaben, die in einer pakistanischen Stadt unter dem Motto "Die Familie: der Grundpfeiler der Gesellschaft" von der "International Muslim Women Union" organisiert wurde. Stellvertretende Generalsekretärin der Organisation ist Dr. Kausa Ferdoz, die im pakistanischen Senat gegen eine Regierungsvorlage gestimmt hat, welche vorsah, die Strafe für 'Ehren'morde zu erhöhen. Diese Änderung, so begründet die Muslima ihre Ablehnung, würde "die Scharia untergraben". Auf der Konferenz wird selbstredend nicht etwa die Unterdrückung der Frau im Islam beklagt, sondern vielmehr, dass die "westlichen Länder" Kritik an den "Rechten, die der Islam den Frauen geschenkt hat", üben.

Über derlei immer wieder anzutreffende Verdrehungskünste schreibt Udink mit amüsanter Ironie, welche die Grenze zum Sarkasmus gelegentlich sanft berührt. So zerlegt sie etwa auch die Lobpreisungen, die der Professor Falzur Rahman für das islamische Erbrecht anstimmt, in ihre teils verlogenen, teils stupiden, immer aber misogynen Einzelteile. Nicht besser ergeht es Maulany Wahiduddin Khan, der in seinem Buch "Women Between Islam und Western Society", darüber fantasiert, dass Frauen ein schlechteres Gedächtnis als Männer hätten, weshalb es "völlig in Übereinstimmung mit den Naturgesetzen" sei, dass die Zeugenaussage einer Frau nur halb soviel wert sei wie die eines Mannes.

Titel und Untertitel des Buches - "Allah und Eva. Der Islam und die Frauen" - benennen zwar sein zentrales Thema, doch decken sie durchaus nicht alles ab, was Udink zwischen die zwei Buchdeckel gepackt hat. In vierundzwanzig allenfalls lose zusammenhängenden Kapiteln informiert sie die Lesenden über weit mehr. So etwa auch über die Verfolgung christlicher und muslimischer Minderheiten durch die muslimische Mehrheit. Sie berichtet von einem Dorf, in dem 300 Männer und Frauen mit nur einer Niere leben, ebenso wie über das "Inferno von Baluchistan". Und sie erzählt von ihren haarsträubenden Erfahrungen mit dem Gesundheitswesen eines Landes, das stolz auf seine Atomwaffen ist, oder über die Familie Benedicts, ihres Chauffeurs. Ein weiterer, nicht allzu umfangreicher Abschnitt widmet sich den Hijras, die von den Gender und Queer Studies gelegentlich als 'drittes Geschlecht' verklärt werden. Wieder ein anderer gilt den Sufis. Bei ihnen, schreibt Udink, sei der Islam "am fröhlichsten".

Ungeachtet des weit gefächerten Inhaltsspektrums: Das eigentliche Thema des Buches sind die Unterdrückung der pakistanischen Frauen und der politische Islam. Dieser, so prophezeit Udink optimistisch, werde allerdings "auf Dauer nicht überleben". Denn er böte "für die Nöte der Menschheit, für die ökonomischen und sozialen Probleme keine praktisch umsetzbaren Lösungen". Darum werde er "auf mittlere Sicht an Attraktivität verlieren". Das wird wohl so sein, kann aber nicht bedeuten, bis dahin die Hände in den Schoß zu legen. Zu viele Menschen, Frauen und Männer, fallen ihm täglich zum Opfer. In vielen Ländern und insbesondere in Pakistan, dem 'Land der Reinen', das "für Frauen das tödlichste Land der Welt" ist. Darüber vor allem hat Udink geschrieben. Es ist ein Buch, das einen schockiert - ein notwendiges Buch.


Titelbild

Betsy Udink: Allah & Eva. Der Islam und die Frauen.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Anna Berger.
Verlag C. H. Beck, München 2007.
234 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783406563225

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