Gerüchte im Kaffehaus

Michael Köhlmeiers Roman "Bevor Max kam" als gelungene Verbundung von Gegenwart und fin de siècle

Von Jan van den BeldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan van den Beld

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gut hundert Jahre ist es her, daß sich die österreichische Literaturszene anschickte, einen Mythos zu gebären: die Wiener Kaffeehauskultur. Das Café wurde zum Ort geistiger Befruchtung, hier gingen Schriftsteller ein und aus, die, wenn das nicht schon der Fall war,später einmal zu den ganz Großen gehören würden.

Diesen Mythos arbeitet Michael Köhlmeier in seinem neuen Buch auf, indem er das Romangeschehen ins heutige Wien verlegt. Jeden Mittwoch sitzt der Erzähler, von Beruf Schriftsteller, in seinem Kaffeehaus, um auf seinen Freund Max zu warten. Immer wird er in ein Gespräch mit einem der Gäste verwickelt, und man erzählt sich eine Geschichte - sei es, um sich die Zeit zu vertreiben, sei es, weil man etwas auf dem Herzen hat.

Ein verständnisvoller Zuhörer ist er, "der Schreiber, der im Kaffeehaus residiert". Einfühlsam gibt er Zeugnis von den Ängsten und (enttäuschten) Hoffnungen seiner Gesprächspartner. Da ist beispielsweise Rita, die 46jährige Ex-Schwimmerin, die von sich sagt: "Wenn ich eine Romanfigur wäre und ich wäre die Schriftstellerin, dann würde ich mich sterben lassen." Oder Herr Pietzsch, der seit seiner Pensionierung seine Tage im Kaffeehaus verbringt, weil er es nach dem Tod seiner Frau zu Hause nicht mehr aushält.

Nun wäre "Bevor Max kam" kein Roman, stünden die insgesamt 55 Episoden nicht miteinander in Beziehung. Das tun sie in zweierlei Hinsicht: Zum einen entwickeln die Geschichten ihr Eigenleben - als Gerüchte kursieren sie im Kaffeehaus -, zum anderen überschneiden sie sich thematisch. Im Laufe der Lektüre gerät der Text zu einem Kompendium von Themen und Motiven, die bereits die Wiener Literatur des fin de siècle bestimmt haben. Nicht von ungefähr findet der einsame Wernhofer in der Nervenheilanstalt heraus, "daß alles doppelt ist in der Welt". Aber ist, was er da sagt, wirklich so verrückt?

Es scheint vielmehr, als entwickle sich der Roman zu einem komplexen Spiel mit Realitäten. "Es gibt immer noch eine andere Version, von jeder Geschichte", untermauert die Rundfunkmitarbeiterin Jetti Lenobel diese Lesart. Und so darf es nicht weiter verwundern, daß sich das Erfundene als Realität entpuppt - und daß zuviel Realität unglaubwürdig wirkt.

Titelbild

Michael Köhlmeier: Bevor Max kam.
Piper Verlag, München 1998.
226 Seiten, 13,70 EUR.
ISBN-10: 3492040659

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