Keine Delikatessen

Karl Ivan Solibakke und Karina von Tippelskirch haben einen Sammelband über „Ingeborg Bachmanns Schreiben gegen den Krieg“ herausgegeben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Gleichsam als Mitbegründerin einer kritischen Autorengruppe nach 1945“ habe die österreichische Poetin Ingeborg Bachmann „ihre Väter- und Mütterfiguren vor den Konsequenzen ihrer mörderischen Taten in Schutz“ genommen. Eine in mehrfacher Hinsicht fragwürdige Feststellung. Karl Ivan Solibakke, der Bachmann zudem einen „heiklen Bezug zum Judentum“ nachsagt, trifft sie in der Einleitung zu einem von ihm gemeinsam mit Karina von Tippelskirch herausgegebenen Sammelband. Man darf wohl davon ausgehen, dass Solibakke mit dem erwähnten Zusammenschluss die „Gruppe 47“ meint und nicht den weithin unbekannten „Verband demokratischer Schriftsteller“, dem die Schriftstellerin 1949 beitrat. Bachmann war mitnichten eine der GründerInnen einer der beiden Gruppierungen, auch nicht „gleichsam“. Was die von Solibakke vermutlich angesprochene „Gruppe 47“ betrifft, so ist anzumerken, dass Bachmann nicht zu den 16 Teilnehmern der ersten Zusammenkunft zählte, die im Herbst 1947 am Bannwaldsee stattfand. Vielmehr wurde sie 1952 erstmals zu einem der Treffen eingeladen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, von welchen Väter- und Mütterfiguren Bachmanns hier überhaupt die Rede sein kann. Bis zur Gründung der „Gruppe 47“ hatte sie gerade mal ihre Erzählung „Die Fähre“ in der „Kärntner Illustrierten“ unterbringen können. Auch über den damals noch auf Jahrzehnte hin unveröffentlichten Roman „Das Honditschkreuz“ lässt sich schwerlich ein derartiges Verdikt verhängen. Ebenso wenig machte sie sich später der Exkulpation der Elterngeneration schuldig.

Der vorliegende Band geht auf eine Tagung zurück, die Ende 2010 an der Syracuse University veranstaltet wurde, und befasst sich unter dem Titel „Die Waffen nieder! Lay Down Your Weapons!“ mit Bachmanns „Schreiben gegen den Krieg“. Die HerausgeberInnen haben die von den AutorInnen zu Aufsätzen überarbeiteten Fassungen der damals teils in englischer, teils in deutscher Sprache gehaltenen Vorträge vier Abteilungen zugeordnet: „Bachmann rekontextualisiert“, „Bachmann und das Judentum“, „‚Böhmen liegt am Meer‘ und andere Gedichte“ sowie „Interpretationen“. Zwei Benennungen irritieren ein wenig. Zum einen die letztgenannte, denn selbstverständlich finden sich auch in den vorherigen Rubriken Interpretationen der Werke Bachmanns. Sodann irritiert der Titel der zweiten Abteilung. Dies, weil sich drei der fünf in ihr enthaltenen Aufsätze mit Bachmanns Liebesbeziehung zu Paul Celan befassen, der zwar Jude war, ihre Beziehung zu ihm in den Beiträgen aber zu Recht nicht auf Bachmanns Beziehung zum Judentum heruntergebrochen beziehungsweise verallgemeinert wird. Ein vierter, von Mark Anderson geschriebener Aufsatz, befasst sich mit einer „Delicate Affair“, wie der Titel des Beitrags verspricht. Es ist die doch reichlich platonische Schwärmerei der jugendlichen Bachmann für den englischen Besatzungssoldaten Jack Hamesh. Anderson aber beschränkt den Blick nicht auf die Beziehung der beiden, sondern zieht aus ihr weitreichende Schlüsse für die in Bachmanns Werk wiederholt anzutreffende Engführung von Antisemitismus und Misogynie, die im Übrigen keine Entdeckung Bachmanns ist, sondern fast schon so etwas wie eine Konstante der Europäischen Kulturgeschichte. Erst der letzte der Aufsätze nimmt keine erlebte oder doch gewünschte Liebesbeziehung Bachmanns in den Blick, sondern „Ingeborg Bachmann’s Writing on the Holocaust as testimony“. Kirsten Krick-Aigner hat ihn verfasst.

Eröffnet aber werden die vier Abteilungen mit einem Beitrag von Gisela Brinker-Gabler, die Bachmann im Titel ihres Aufsatzes als „Weiterdenkerin“ apostrophiert und die Rolle der Literatin als „public intellectual“ beleuchtet. Brinker-Gabler „suggests that Bachmann had a unique understanding of her role and interaction with the public sphere and of the ties between literary and political responsibility.“ Um ihre These zu validieren, zieht sie Bachmanns unter dem Titel „Politik und Physis” bekanntes Nachlassfragment, einen Absatz aus einem an Werner Henze gerichteten Brief der Literatin und Bachmanns für ein nicht-realisiertes Zeitschriften-Projekt verfassten Text „Tagebuch“ heran. Robert Pichl behandelt hingegen Bachmanns „Hang zu humorvollen Detailschilderungen und ironischen Pointen“ und Karen R. Achbergers Aufsatz steht unter dem anspielungsreichen Titel „Composing after Auschwitz“. Dass Bachmann, wie die Autorin konstatiert, „an inveterane critic of fascism and German society“ war, trifft sicher zu. Vehementer noch aber als Deutschland hat sie ihre österreichische Heimat kritisiert.

Die Beitragenden des Abschnittes „‚Böhmen liegt am Meer’ und andere Gedichte“ richten ihren Blick nicht nur auf Bachmanns Lyrik, sondern lassen ihn auch schon einmal über die Gebiete der bildenden Kunst schweifen. So stellt Mitherausgeberin Karina von Tippelskirch Werke des Künstlers Anselm Kiefer neben die der Literatin.

Im letzten Abschnitt stellt Helga Schreckenberger Bachmanns Hörspiel „Ein Geschäft mit Träumen“ in den Kontext des Nachkriegs-Österreichs. Peter Beiken macht in Gewalt und Krieg zwei „Grunderfahrungen und Hauptthemen“ in Bachmanns Leben und Werk aus, während Dagmar Lorenz unter dem Titel „Visions of Violence in the Austrian Landscape“ in Bachmanns „Drei Wege zum See“ und Clemens Eichs „Das steinerne Meer“ nebeneinander stellt. Beide „narratives“ seien „paradigmatic of a pervasive attidute of shame associated with Austrian’s past, coupled with an ambivalent fixation on the generations who lived through Astro-Fascism, National Socialism and WW II“. Auch Karl Solibakke meldet sich noch einmal zu Wort und geht der „Krise der Wahrheit“ in Ingeborg Bachmanns Erzählung „Ein Wildermuth“ nach, die Anfang der 1960er-Jahre in dem Band „Das dreißigste Jahr“ erschien.

Einige der Beitragenden wie etwa Robert Pichl, Peter Beiken oder Sara Lennox haben sich schon vor geraumer Zeit einen Ruf als profunde Bachmann-Kenner gemacht. In dem vorliegenden Band stellen sie einmal mehr unter Beweis, dass er zu Recht besteht. Das HerausgeberInnen-Duo hat seine editorischen Leistungen hingegen auf das allernotwendigste beschränkt und selbst auf die aus guten Gründen in Sammelbänden üblichen biografischen Angaben der Beitragenden verzichtet.

Titelbild

Karl Ivan Solibakke / Karina von Tippelskirch (Hg.): "Die Waffen nieder!“. Ingeborg Bachmanns Schreiben gegen den Krieg.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2012.
258 Seiten, 36,80 EUR.
ISBN-13: 9783826049101

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