„Wanderer, deine Spuren sind der Weg“

In seinem Roman „Der Aufstand der Ungenießbaren“ wirft Edo Popović böse Blicke in die Zukunft seiner kroatischen Heimat

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der kroatische General Ante Gotovina ist gemäß dem Haager Tribunal nun doch kein Kriegsverbrecher, darüber herrscht Euphorie im Land. Andererseits wurde der ehemalige Regierungschef Ivo Sanader wegen Korruption zu zehn Jahren Haft verurteilt. Die Nachrichten aus Kroatien sind widersprüchlich, sie verweisen auf ein Land im tiefen Zwiespalt. Ein Fressen, gewissermaßen, für den Autor Edo Popović. Sein jüngster Roman bringt es mit rabiater, geradezu flegelhafter Direktheit auf den Punkt, indem er ein paar Jahre voraus in die Zukunft schaut.

Seit 1991 wird Kroatien, heißt es in seinem neuen Roman, von einer Organisation mit dem Akronym HUKEIVERBRE regiert. Es ist ein Kartell der Macht, das unter dem Vorwand der Privatisierung das Land ausgeplündert und die Bevölkerung aus den ummauerten Städten ausgeschlossen hat. Wer immer dagegen die Stimme erhebt, erhält zur Antwort ein empörtes ,Wir sind Held und kein Verbrecher‘ – eben „Hukeiverbre“. So geht jede Schweinerei durch. So wird aber auch ein nicht minder rabiater Widerstand geweckt, dessen Speerspitze aus einer Gruppe namens „Die Ungenießbaren“ besteht. Aus Not oder Überzeugung haben sie sich vom kapitalistischen System abgewendet, sie ernähren sich aus den Abfällen der sinnlosen Überschussproduktion. Ihr Leitspruch: „Wir wollen weder verbrauchen noch verbraucht werden. Wir wollen weder fressen noch gefressen werden. Wir sind ungenießbar.“

Eine terroristische Note erwächst diesem Widerstand durch zwei ihrer Repräsentanten: die Fraktalfrau und Gärtner. Sie entführen Repräsentanten des Systems und foltern sie zu Tode. Dabei erweist sich der skrupellose Gärtner nicht nur als Ekelfigur, er ist zugleich ein rhetorisch gewiefter Systemkritiker. Seinen Folteropfern setzt er gerne seine ökonomische Sicht auseinander, während er ihnen zum Essen und Trinken bloß Geld vorsetzt, damit sie an ihrer Gier verrecken. Was ist denn das für ein Reichtum, der die Reichen doch nicht glücklich macht?

Gärtner erinnert von Ferne an den bösen Alex in „Clockwork Orange“. Mit ihm ruft Edo Popovićs Roman eine schwarze, böse Vision der nahen Zukunft herauf, in der die gesellschaftliche Segregation konsequent vollzogen wird. Der Widerspruch im System wird von den Ungenießbaren schonungslos analysiert. Was geschieht mit all den Menschen, die zwar konsumieren müssen, aber weder Arbeit noch Einkommen haben? Die Frage ist dringlich aktuell, in ganz Europa. Als Antwort postulieren die Ungenießbaren den Unsinn jeglichen (auch ökonomischen) Wettbewerbs, „da ein Wettbewerb nur dann Sinn hat, wenn identische Einzelne gegeneinander antreten“. Weil Individuen aber einmalig sind, ist genau das nie der Fall – es sei denn, ihr Eigensinn wird mit dem Nervengift von Propaganda und TV paralysiert und still gestellt.

Der Roman tippt diese Dinge nur punktuell an, gerade so aber entfaltet er in den Zwischenräumen der lockeren Form seine gedankliche Sprengkraft. Ideologiekritik in literarischer Form ist nie unproblematisch, Popović allerdings formuliert sie ebenso radikal wie mit lakonischem Witz. Insbesondere Gärtner wird zur beunruhigenden Kippfigur: Er ist ein seelenloser Killer und schillernder Analytiker.

Im Wechselspiel mit dieser Erzählspur etabliert Popović einen zweiten Schauplatz. Auf den alten Schlachtfeldern in den verlassenen Bergen begegnen sich der Kroate Vida und der Serbe Jokić. Im Krieg anfang der 1990er-Jahre hatten sie jeder für sich auf der richtigen Seite gestanden. Sie waren unversöhnliche Gegner, indem sie beide dasselbe wollten, ihre „Familie zu beschützen“. Das neuerliche Zusammentreffen ist unter diesen Umständen nicht einfach. Sie müssen sich beide eingestehen, dass sie in einer nationalistischen Einzelzelle gefangen gehalten wurden. Davon haben sie nun genug.

„Die Ungenießbaren“ ist ein beunruhigendes, unruhiges Buch voller Anspielungen, Zitate und Rätsel, das durch die aktuellen Meldungen neue Nahrung erhält. „Wahrheit und Lüge leben nebeneinander“, munkelt düster der Serbe, „hier werden die Dinge nie wieder in Ordnung kommen“. Und anderswo? Im „Aufstand der Ungenießbaren“ erhält Popovićs „dirty novel“ böse, bittere Züge.

Ein Rückblick auf sein Debüt „Mitternachtsboogie“, mit dem er Ende der 1980er-Jahre in Kroatien Kultstatus erlangte (und das 2010 auf Deutsch erschienen ist), demonstriert die Spannkraft in seinem bisherigen Werk. „Mitternachtsboogie“ erzählt in loser Folge Geschichten aus dem Szene-Untergrund von Zagreb und Berlin. Saufen, Vögeln, Schreiben, und mitten drauf auf diesem Karussell ein Protagonist mit dem Namen des Autors. Schon vor dem Mauerfall entzog sich die Jugend jenem System, für das zwei plus zwei immer vier ist, ohne Alternative. Die Verachtung beruhte auf Gegenseitigkeit. Ob’s aber zum Glück reichte? Popović überrascht in dieser losen Prosa mit einer derben, rasanten und von Szenejargon angetriebenen Sprache, die ausspricht, was gemeint ist. „Wenn du etwas Neues sagen oder schreiben willst, musst du dir eine neue Sprache ausdenken“, lautet das Credo des Erzählers. Dann fiel der Eiserne Vorhang, darauf folgten Vertreibung und Verbrechen. Popović hat seine Sprache angepasst.

Die deutsche Ausgabe von „Mitternachtsboogie“ wird erweitert durch eine Erzählung aus der Zeit nach dem Krieg: „Unter dem Regenbogen“, in die Popovićs Erfahrungen als Kriegsreporter eingeflossen sind. Elias und ein paar andere halten eine Stellung an der Front: Warten und Stumpfsinn, worüber sie zuhause nicht sprechen können. Der Krieg macht allen Angst, doch was wären die Soldaten ohne die Feinde da drüben, die hin und wieder zurück schießen?

Hier schließt sich der Kreis zum neuen Roman, in dem sich Vida und Jokić über die Grenzen hinweg zu verstehen beginnen. Sie beide sind ehemalige Krieger und zugleich Opfer, die ihre Erfahrungen nie mehr los werden.

„Dieser Krieg hat die Menschen wirklich verdorben“, sagt einer der Frontkämpfer in „Unter dem Regenbogen“. Edo Popović entwirft im „Aufstand der Ungenießbaren“ ein Szenario, in dem diese Opfer und dieser Krieg mit andern, ökonomischen Mitteln weiter geführt wird. Die Verhältnisse sind bestürzend, der Aufstand der Ungenießbaren vermag sie aber nicht zu ändern. Niedergedrückt konstatiert Gärtner, dass „wir keine Chance hatten zu siegen“. Doch die Fraktalfrau hält ihm entgegen, dass sie fallen werden, die Diktatoren, „wenn wir aufhören, diesen ganzen Quatsch zu kaufen, den sie produzieren und verkaufen“.

Titelbild

Edo Popovic: Mitternachtsboogie. Roman.
Übersetzt aus dem Kroatischen von Alida Bremer.
Verlag Voland & Quist, Dresden ; Leipzig 2010.
174 Seiten, 19,86 EUR.
ISBN-13: 9783938424513

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Titelbild

Edo Popovic: Der Aufstand der Ungenießbaren. Roman.
Übersetzt aus dem Kroatischen von Alida Bremer.
Luchterhand Literaturverlag, München 2012.
190 Seiten, 17,99 EUR.
ISBN-13: 9783630873572

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