Rhetorik und Revolution

Das neue Büchner Jahrbuch nimmt sich vor allem den „Hessischen Landboten“ vor

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Jahr 2012 sah es aus, als würde Georg Büchner zum ersten Wut- und Mutbürger Europas geadelt. Das Buch „Der europäische Landbote“ des aus Wien stammenden Schriftstellers Robert Menasse war zwar keine Flugschrift wie seinerzeit Büchners „Der hessische Landbote“. Aber doch eine erhellende essayistische und, wie kaum zu vermeiden, durchaus streitbare Replik auf Büchners politische Aktualität. Der 12. Band des Büchner Jahrbuchs, den Burghard Dedner, Matthias Gröbel und Eva-Maria Vering für die Büchner Gesellschaft und die Forschungsstelle Georg Büchner an der Universität Marburg herausgegeben haben und auf den hier deshalb nur kurz inhaltlich hingewiesen werden kann, ohne ihn eingehend zu rezensieren, stellt den „Hessischen Landboten“ in den Mittelpunkt der Untersuchungen. Die vollbringen das Kunststück, schwindelfrei auch für Nicht-Büchner-Philologen auf der Höhe der Forschung neue Aspekte der Forschung einzubringen.

Büchner war, durch die Schulbildung gut „präpariert“, ein luzider Beobachter der Sprache seiner Zeit. Er beherrschte die Rhetorik des Vormärz, die ihre eigenen Worte entlang der Grenzen zwischen Zensur und Konspiration finden musste. Der Mannheimer Germanist Joachim Franz spricht von Büchners „Programmzettel zum Theater der Mächtigen“. Für den Tübinger Literaturwissenschaftler Dietmar Till sind Revolutionen „Urszenen der Rhetorik“. Er untersucht Statistik und Bibel als persuasive Mittel in Büchners Flugschrift und kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass, aus einem theologischen Blickwinkel betrachtet, Bauern als politische Erfüllungsgehilfen eines eschatologischen Programms angesprochen werden. Hier wäre ein Anschluss für die neu gewichtete Deutung Büchners als eines von der Passion, nicht von der Erlösung her denkenden Autors, wie sie Hermann Kurzke in seiner exzellenten Büchner-Biografie (2013) vertritt. Allerdings mit dem Zusatz, dass „die Endgerichtsbarkeit in Büchners Metaphernorchester nur schwach instrumentiert ist“ (Kurzke).

Der renommierte Büchner-Forscher Alfons Glück argumentiert, dass alles im „Landboten“ publik gemachte statistische Material zum Staatshaushalt dazu diene, den theonomen „Staatsmythos“ zu delegitimieren; Geld, nicht Gott regiere die klassengeteilte Welt, so könnte die Botschaft bei den Adressaten, den Bauern und Tagelöhnern angelangt sein.

Der Herausgeber Burghard Dedner unternimmt ein weiteres Mal eine akribische Analyse der Textanteile des „Landboten“, dessen Entwurf auf Büchner und dessen Endfassung auf Weidig zurückgeht. Dedner kommt auf der Grundlage der Zeugnisse von Büchners Freund August Becker zu dem Schluss, dass es für zentrale Textpassagen, die von der Forschung „mit lexikalischen oder inhaltlichen Gründen“ Weidig zugeteilt wurden, entweder keine Autornachweisbarkeit gibt oder eben dennoch Büchner als Autor angenommen werden müsse.

Weitere Beiträge widmen sich, unter anderen, dem Verhältnis Büchners zu den Zeitgenossen Ludwig Börne und Karl Gutzkow, dem semiotischen Zusammenhang von Mode und Moderne in Büchners Werken, dem Vergleich der Woyzeck-Darstellung in dem Gutachten des Gerichtsmediziners Clarus mit der in Büchners Drama sowie der reichen Büchner-Rezeption unter anderen bei Friedrich Dürrenmatt und Volker Braun. Auch in dem Überblick, den Gábor Kerekes (ELTE Budapest) über die relativ rasche Entwicklung Büchners zu einem „der wichtigsten deutschen Autoren des 19. Jahrhunderts“ in ungarischen Literaturgeschichten bis 2009 gibt, zeigt sich: Büchner ist ein europäisches Phänomen. Seine Werke halten es gut aus, dass man mit ihnen nicht fertig wird.

Titelbild

Burghard Dedner / Matthias Gröbel / Eva-Maria Vering (Hg.): Georg Büchner Jahrbuch. 2009-2012, Band 12.
De Gruyter, Berlin 2012.
408 Seiten, 64,95 EUR.
ISBN-13: 9783110280449

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