Coming late!

John Barth's "Die schwimmende Oper" in deutscher Übersetzung

Von Julia SchmitzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Schmitz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lange hat es gedauert, bis der Debütroman des Initiators der amerikanischen Postmoderne - John Barth - übersetzt wurde. Fast ein halbes Jahrhundert liegt zwischen dem erstmaligen Erscheinen 1956 in New York und der deutschen Übersetzung, die 2001 im Münchner Liebeskind Verlag erschienen ist.

Auch diese Rezension hat lange auf sich warten lassen, und das aus guten Gründen. Denn die von einer Kritik geforderte Stellungnahme wollte sich partout nicht herausbilden. Irritation entstand auf Grund dieser scheinbar sinnlosen Prämisse, einen Tag beschreiben zu wollen, an dem der Protagonist die Entscheidung trifft, sich umzubringen, es dann aber doch nicht tut. Dass dies nicht geschehen wird, ist schon zu Beginn klar, wenn Todd Andrews, Protagonist des Romans, resümierend feststellt, dass er die Ereignisse jenes Tages narrativ festhalten möchte. Es geht also nicht um das Ob, sondern um die Erforschung der Beweggründe für und am Ende gegen den Selbstmord. Für den Versuch, diesen einen Tag zu beschreiben, braucht Todd Jahre, um Fakten zu sortieren und zu recherchieren. Anscheinend hat sein Job als Anwalt ihn zu einer Art Schreiberbürokraten werden lassen, der genau datieren kann, an welchem Tag er vom Hedonisten zum Moralisten und später zum Zyniker wurde, jedoch den Tag, um den es geht, "(entweder den 21. oder 22.) im Juni 1937", eben nicht fassen kann. Bei dem Versuch die Fakten zu ordnen bricht das tatsächliche Chaos des Lebens über ihn herein, das nicht zuletzt den Roman reizvoll werden lässt.

Beeindruckend erscheint die Stringenz und Konsequenz, die Todds Handeln kennzeichnet, wobei diese Rationalität ihm zunächst auch den Anschein einer gefühlskalten, berechnenden Figur gibt. Wenn nach und nach die tiefer liegenden Erfahrungen, wie der Selbstmord seines Vaters, den er nie verwunden hat, hervortreten, kann sein kühles Verhalten auch als Reaktion und Schutz gegenüber solchen Tiefschlägen verstanden werden.

Diesem Eindruck folgte eine indifferente Haltung gleich dem Protagonisten, der für sich am Ende feststellt, dass im Grunde alles egal ist. Hamlets Frage ist für Todd ohne Bedeutung. Der Roman kulminiert in der nihilistischen Konklusion: "Es gibt keinen eigentlichen Grund zu leben (oder sich umzubringen)." So viel erschreckende, aber auch argumentativ nachvollziehbare Gleichgültigkeit kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Todd ein Mann mit gebrochenem Herzen ist, der vergeblich versucht, Gefühle aus seinem Leben auszuklammern. Schließlich ist es auch die Rechtfertigung, den letzten Schritt eben doch nicht zu tun.

Doch der Roman ist nicht überall so nihilistisch, vielmehr birgt er sogar einen gewissen Humor in sich, der vor allem zutage tritt, wenn das Vernunftprinzip am Ende ist und Todds Unvermögen, mit einer Sache fertig zu werden, deutlich wird. Denn wie die Beschreibung dieses Tages letztlich unvollständig bleibt und bleiben muss - denn kein Roman kann es je schaffen, einen Tag vollständig zu beschreiben - bleibt auch sein großes Projekt der "Untersuchung", die sich vor allem mit dem Vater beschäftigt, notwendigerweise unvollendet, wobei es für Todd auch reicht, sein Leben mit den Vorarbeiten zu dieser "Untersuchung" zuzubringen.

"Die schwimmende Oper" ist eine Metapher für das Leben an sich, die zugleich als realer Ort in der Geschichte als Showboat, das vor der Küste von Maryland ankert, angesiedelt ist. Todd selbst stellt sich einmal vor, dass es ein Boot geben müsste, das die ganze Zeit über ein Theaterstück aufführt, ohne Anfang und Ende, und das immerzu in Bewegung wäre. Die Zuschauer würden immer nur zufällig irgendeinen Teil des Stücks sehen, so wie der Leser nur einen Ausschnitt aus Todds Leben erzählt bekommen hat, wobei dieser Ausschnitt als pars pro toto fungiert.

Titelbild

John Barth: Die schwimmende Oper. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Matthias Müller.
Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2001.
336 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 393589001X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch