David Ogilvy Superstar

Mit Schema F zum Ziel?

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er gilt neben Howard Gossage, Leo Burnett und Raymond Rubicam als Vater der modernen Werbung, sein Buch "Geständnisse eines Werbemannes" als heilige Schrift. Im Alter von 37 Jahren gründete der in England geborene Schotte David Ogilvy eine kleine Agentur in New York, die sich binnen kurzer Zeit unter dem Namen Ogilvy & Mather zu einer der weltweit größten Werbeagenturen entwickelte. Innerhalb weniger Jahre zog Ogilvy die Etats aller wichtigen Großunternehmen der USA an Land, darunter auch American Express, General Food, Campbell's Soup oder Shell.

Ogilvy setzte sich kompromisslos für seine Kunden und deren Produkte ein. Er trug Hemden von Hathaway, Anzüge von Sears Roebuck, trank zum Frühstück Maxwell-Kaffee zu seinem Pepperidge-Farm-Toast und wusch sich mit Dove. Nach Sonnenuntergang nippte er wahlweise an Rum aus Puerto Rico oder löschte seinen Durst mit Schweppes. Ebenso kompromisslos handelte Ogilvy, wenn er sich nicht mehr hundertprozentig mit einem Produkt identifizieren konnte. Den Vertrag mit Rolls Royce kündigte er, weil er mit der Qualität der Luxuskarosse nicht mehr zufrieden war. Der von ihm entwickelte Slogan ist noch immer in aller Munde: "Bei 60 Meilen in der Stunde kommt das lauteste Geräusch in diesem Rolls Royce von der elektrischen Uhr."

Erst in jüngster Zeit findet man in der Werbeliteratur Stimmen, die sich vom ehrfürchtigen Zitieren und Nachbeten der "Geständnisse" distanzieren und die Erkenntnisse von Amerikas Werbemann Nr. 1 als veraltet betrachten. "Ogilvys Buch", meint George Lois, "ist unserer Branche nicht würdig, weil es all die sinnlosen Regeln aufstellt, was man in der Werbung tun und lassen darf und was nicht. Es gibt keine Gesetze in der Werbung."

Um diese Regeln und Grundsätze aber geht es. Hier zehn eherne Richtlinien für den Gewinn von Etats, da zwölf Forderungen an die Mitarbeiter, dort fünfzehn Merksätze für den Umgang des Kunden mit seiner Agentur und - man höre und staune - gleich zweiundzwanzig (!) "Gebote" für die Lebensmittelwerbung. Regeln, die so einfach gestrickt sind, dass, wer sie beherzigt, nichts falsch, aber auch (fast) nichts richtig machen kann. "Nehmen Sie von Anfang an die richtige Agentur", heißt es an die Adresse des Auftraggebers, "Gestalten Sie Ihre Anzeigen zeitgemäß", mahnt Ogilvy die Werbeleute.

Schrieb nicht auch Shakespeare seine Sonette nach strengen Regeln, und hielt sich Mozart beim Komponieren seiner Sonaten nicht an einen strikten Aufbau? In Ogilvys Augen geht nichts ohne Disziplin, Vorschriften und Verbote. Der Sekuritätsgewinn durch die Formulierung derartiger Orientierungshilfen wird dabei vor allem einem behilflich gewesen sein: ihm selbst.

Der Mann, der sich vom Tabakpflanzer und Koch zum Vorzeige-Werber heraufgearbeitet hat, führte seine Mitarbeiter selbst dann noch wie einen Stab von Beiköchen, als er die Küche des Pariser Hotels Majestic schon längst verlassen hatte. Er schätzte Pünktlichkeit und sah sich jede Kampagne persönlich an, bevor sie dem Kunden vorgelegt wurde. Er legte höchsten Wert darauf, dass seine Angestellten ihr Büro in einem ordentlichen Zustand hielten und verteilte sein Lob nur sehr sparsam. Wie sein ehemaliger Küchenchef von Zeit zu Zeit noch selbst Hand angelegt hatte, begab sich Ogilvy dann und wann unter seiner Texter, um ihnen einen Beweis seines überragenden Könnens zu geben.

Ogilvys idealer Angestellter arbeitet hart, ist trotz seiner außergewöhnlichen Kreativität frei von Neid und Missgunst und begegnet anderen mit Respekt und Höflichkeit. Einfache Tugenden und militärischer Drill bestimmten das Agenturgeschäft. "Für Speichellecker oder Schreiberlinge habe ich keinen Platz", raunzt der Feldmarschall der Reklame.

In persönlich gefärbten Erfahrungsberichten und im vollen Bewusstsein seiner Erfolge plaudert Ogilvy aus seinem Leben - wie er den Shell-Etat bekam oder mit welchen Tricks er die anderen Agenturen im Kampf um den Kunden KLM ausstechen konnte. Einen breiten Raum in den "Geständnissen" nimmt deshalb das Eigenlob ein: "Ich habe nun gewiß meinen Anteil zu den Anzeigen beigetragen, die von der Fachwelt als Meisterwerke bewundert werden". Die Eitelkeit und Lobhudelei in eigener Sache wären noch zu verschmerzen, wären viele der so großzügig erteilten Ratschläge nicht so unbrauchbar. Bei einer Präsentation am frühen Morgen, so heißt es, könne der Kunde einen Kater haben; dafür schlafe er nach dem Mittagessen vielleicht während der laufenden Vorstellung ein ...

Der "Grand Old Man" der Werbung ist ein Kauz an der Spitze eines großen Unternehmens. Sein Buch ist voller Verschrobenheiten - angefangen von der naiven Hoffnung auf klinische Untersuchungen und exakte psychologische Tests zur Rekrutierung kreativer Spitzenkräfte, über eine fast unerträgliche Zitierwut bis hin zu dem Vorurteil, dass fast alle Kreativen unangenehme Gesellen seien. Modernes Teamwork hält Ogilvy für ein Werk des Teufels, für "Humbug" und eine "Verschwörung der Mittelmäßigkeit". Nicht nur diese Statements lassen erkennen, dass die "Geständnisse" inzwischen (Werbe-)Geschichte sind.

"Was Sie sagen, ist viel wichtiger, als wie Sie es sagen." - Im Mittelpunkt von Ogilvys Ansichten über Werbung steht das Produkt. Ein Zugang, der sich inzwischen zumindest stark relativiert hat. Die Unterhaltung hat längst damit begonnen, die altehrwürdige "Produktinformation" zu überflügeln. Schon das allein macht viele von Ogilvys Ratschlägen ungültig, allen voran die zum Schreiben wirkungsvoller Texte: "Wenn Sie ein Mittel gegen Blasenschwäche verkaufen, so schreiben Sie das Wort 'Blasenschwäche' in Ihre Überschrift, und jeder, der darunter leidet, wird durch die Überschrift angesprochen werden."

Moderne Werbung verachtet die direkte Umsetzung von marketingstrategischen Zielsetzungen in kommunikationsstrategische Maßnahmen und hat für die Bewerbung des funktionalen Produktnutzens nur eine Schmähvokabel übrig: "Illustrated Marketing". Auch mit der Liste von Wörtern und Sätzen, "die wahre Wunder wirken" (wie "Greifen Sie zu", "Letzte Chance", "Jetzt ist es da!") wird man heute keinen Konsumenten mehr hinter dem Ofen hervorlocken können. Das gleiche gilt für die Gestaltungstipps für Plakate, Anzeigen und Fernsehspots, wobei Ogilvy aus seiner Verachtung des Mediums Plakat keinen Hehl macht: "Die Besitzer von Plakatwänden sind skrupellose Projektionsjünger."

Keine Werbung ohne Konzepte. Doch Ogilvys Regeln und Maßregelungen dürften auf viele Kreative von heute entmündigend wirken. Überblättern wir also getrost die zehn Ratschläge "für junge Mitarbeiter" samt der Empfehlungen für "erholsame Ferien". Eine gewisse Entschädigung verschafft das letzte, mit "Sollte man Werbung abschaffen?" überschriebene Kapitel. Hier sorgt die Unzeitgemäßheit Ogilvys für interessante Verschiebungseffekte, denn viele der energisch verneinten Misstrauensfragen wie "Kaufen Menschen wegen der Werbung Dinge, die sie nicht brauchen?" oder "kann man durch Werbung dem Konsumenten etwas Minderwertiges andrehen?" müsste man heute mit einem lautstarken "Ja" beantworten.

Die Erfolgsgeschichte Ogilvys ist nicht wiederholbar. Nur in den Gründerjahren der Werbeagenturen war es noch möglich, als kleine Agentur einen großen Kunden zu ergattern. Trotzdem ist ein bemitleidenswertes Lächeln fehl am Platz. Denn die Situation der Werbung in den sechziger Jahren zeigt, worauf es vielleicht auch heute noch ankommt. Es muss nicht immer eine riesige Maschinerie mit Heerscharen von Textern und ,Creativ-Directoren' in Gang gesetzt werden, um eine gute Kampagne zu entwickeln. Auch wenn die großen Etats nun einen vielseitigen Service verlangen, sollte in letzter Konsequenz nur die Durchschlagskraft einer Agentur und ihre kreatives Potenzial über die Vergabe entscheiden.

Titelbild

David Ogilvy: Geständnisse eines Werbemannes.
Econ Verlag, München 2000.
228 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-10: 3430172756

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