Ein Zug nach Nirgendwo
Starship Nr. 8 - Ein Buch, das ein "Anfang sein möchte"
Von Thomas Neumann
Ein seltsames Buch. Den größten Teil des Textes fasst schon der Titel: "Das Jahr in dem wir nirgendwo waren" oder "The year we have been nowhere". Zusammen etwas mehr als zweihundert Seiten, kaum Worte. Und wenn, dann nur als Teil von Bildern, von Fotos, Werbeanzeigen oder Plakaten, Flyern und Anzeigen. Worum es geht, steht im Klappentext: "Weil wir so seltsam abwesend waren, schien uns eine systematische Form die einzige Möglichkeit eine Verortung herzustellen." Die "Redaktion" des Buchs "formuliert ein Angebot", mehrere "Autoren" reagierten.
Das Ergebnis ist eine Kollage aus den Antworten der Autoren, ohne dass diese im Einzelnen als solche zu erkennen sind. Und der "Leser" blättert durch diese Notate, auf der Suche nach dem Angebot, das irgendwo formuliert wurde, durchblättert die Seiten, vor und zurück und kommt sich ebenso vor, wie es die Autoren im Klappentext beschrieben haben, irgendwo im Nichts, seltsam unbestimmt.
Trotzdem tritt der tagebuchartige Charakter der Bildnotate - denn bei den Beiträgen des Bands handelt es sich durchgängig um Photos, um Kopien, schnelle Skizzen, mit dem Photoapparat notiert - deutlich hervor. Ist es vielleicht auch nicht so, dass alle 365 Tages dieses Jahres "in dem wir nirgendwo waren" als solche deutlich und chronologisch hervortreten, aber die Dynamik im Aufbau wird deutlich. Ohne dabei im Einzelnen bestimmen zu können, wie sich der Bilderfluss der Ausgabe zu einem optischen Gesamterlebnis gestaltet, tritt fast der Effekt ein, den man beim Lesen japanischer Mangas hat: Sie werden zu einem Film, der den avisierten Gegenstand wie einen Videoclip umspielt.
Nimmt man den Band und die Leseerlebnisse mit den 240 Seiten Fotomaterial zusammen, ist er zwar nicht gerade ein Lektüre-Erlebnis, aber er ist denn doch mehr als nur eine Aneinanderfügung von "persönlichen" Notizen zu einem "Jahr".
Auch ist es nicht das, was man von einem Buch erwarten könnte, das sich selbst einen vielversprechenden Titel verleiht, der den Leser neugierig macht. Es ist daher wohl weniger eine Ausgabe für den gedankenlosen Konsumenten, als ein Band, der für den kreativen Gestalter und Betrachter nutzbringend Verwendung finden könnte. Eine Aneinanderreihung von Anregungen also und in diesem Sinne wohl auch das, was man den Anfang eines künstlerischen Prozesses nennen könnte: 360 Tage dokumentieren und die Offenheit eines solchen Unternehmens deutlich machen - mit allen Möglichkeiten der Spannung und aus gehäuften Desinteresses.
Somit ist es genau dieser Aspekt, der den Band in den Händen eines kundigen Beobachters zu einer nutzbringenden Lektüre werden lässt - wenn man sich denn darauf einlassen kann. Zusammenfassend kann man sagen, dass der Buchmarkt um vieles reicher wäre, wenn sich mehr Autoren oder Herausgeber-Teams auf solche mutigen Experimente einlassen würden. Unbedingt in Ruhe anschauen, auch wenn es seltsam ist!