Zur Schau gestelltes Außenseitertum

Klaus Bittermann betätigt sich in „Einige meiner besten Freunde und Feinde“ als Fachmann für „Öde Literatur“

Von Jörg AubergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Auberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In seiner Typenlehre der Pariser Presse listete Honoré de Balzac in der Rubrik „Journalist“ an erster Stelle den Typus „Der geschäftsführende Chefredakteur-Eigentümer-Direktor“ auf, in dessen Refugium alle Funktionen des Betriebs verschmelzen: „[…] da er zu nichts taugt, erweist er sich als geeignet für alles“. Auch in der gegenwärtigen deutschen Presselandschaft lässt sich dieser Typus aufspüren. Während in den Territorien des „Neulands“ (vulgo: in der digitalisierten Welt) das Prinzip der „separation of concerns“ gilt (dem in früherer Zeit in einem anderen „Medienkontext“ auch Verleger wie Jacques Schiffrin, Barney Rosset und John Calder folgten), möchte Klaus Bittermann nicht nur als Verleger und Eigentümer der Edition Tiamat reüssieren, sondern im Zirkulationsrausch als multifunktionaler Agent, Promoter, Journalist, Kritiker und Ideologe im Betrieb wahrgenommen werden. In seinem Tiamat-Omnibus unter dem Titel Einige meiner besten Freunde und Feinde transportiert Bittermann in Zweit-, Dritt- oder Viertverwertung Texte durch die publizistische Landschaft, welche unter anderem die NDR-Kultur-Autorin Annemarie Stoltenberg dazu verführten, den Band zu ihrem „Lieblingsbuch in diesem Herbst [2019]“ zu küren und vom „Facettenreichtum des Verlags [Edition Tiamat]“ zu schwärmen.

Die publizistische Promotion des Bandes schwankt zwischen einer vierzigjährigen Jubiläumsfeier des Verlags (der 1979 in der fränkischen Provinz gegründet wurde) und einer eklektischen Laudatio auf „Unruhestifter und Abweichler“ wie John Fante, Jörg Fauser, Patrick Modiano oder Robert Desnos, die Bittermann am Rande des Kulturbetriebs verortet und wie ein jovialer Autorenfischer als seine virtuellen „rowdy friends“ für seine Version eines Reader’s Digest vereinnahmt. In seinem Vorwort brüstet sich Bittermann, die Bücher seiner favorisierten Autoren (und weniger Autorinnen) „gegen die hohle Bestsellerliteratur zu verteidigen, die die Buchhandlungen verstopft und die Gehirne verklebt“. Dieses zur Schau gestellte „Außenseitertum der Eingeweihten“ ist jedoch – wie Theodor W. Adorno in Minima Moralia schrieb – Illusion: Stets geht es darum, „im allgemeinen Wettrennen als ,brillant‘ besser abzuschneiden.“

In seiner autobiografischen Selbstdarstellung zeichnet sich Bittermann als fränkischen Provinzler, der es in der Berliner Metropole verstand, kulturelles Kapital anzuhäufen: „Klaus Bittermann, 1952 geboren, wuchs in der fränkischen Kleinod- und Bratwurstmetropole Kulmbach auf, wurde der Schule verwiesen, wollte aber sowieso weg, wanderte nach Nürnberg aus und kam vom Regen in die Traufe. Abgebrochenes Philosophie-, Soziologie- und Politologie-Studium in Erlangen. Seit 1981 in Berlin, trieb sich zunächst in der Hausbesetzerbewegung herum, verlegte sich später auf den Verlag und aufs Schreiben.“ In seinen Anfängen gab Bittermann die situationistisch geprägte Zeitschrift anschläge heraus, die sich zu Beginn der 1980er Jahre im Zeitgeist der Hausbesetzerbewegung und der polnischen Opposition bewegte. Mit der sechsten Ausgabe im Dezember 1983 hatte er jedoch seine wahre Profession in der Promotion der beiden „Unruhestifter“ und „Aufrührer“ Guy Debord und Wolfgang Pohrt gefunden. Debord gab das Intro mit einem Statement gegen die Gegenwart der „vergammelten Waren“, und Pohrt wurde mit einer Rede unter dem Titel Die nationale Wiedererweckung der Deutschen eingeführt, die er am 1. November 1983 auf einer Podiumsdiskussion mit Thomas Schmid und Fritz Vilmar gehalten hatte. In seiner nonchalanten Art bezeichnete Bittermann – ganz im Stile des intellektuellen Hooligans – den FU-Professor Vilmar „als ein besonders weit verbreitetes und typisches Exemplar deutscher Dummheit“, mit der „die Friedensbewegung bisher einen so großen Erfolg verbuchen konnte“.

Danach pries Bittermann Pohrt als Antiserum in Zeiten des deutschen Debilismus in verschiedenen Ausgaben an, bis er nach dem Tod der schreibenden Cashcow des Verlags dessen gesammelte Schriften in einem postmodernen MEW-Pastiche noch einmal dem kapitalistischen Verwertungskreislauf zuführte. Auch in der Bittermann-Anthologie ist Pohrt als ewig raunender Tiamat-Geist von Anfang bis Ende präsent. Der „intellektuelle Unruhestifter“ gehört in den Augen Bittermanns neben Eike Geisel, Henryk M. Broder, Lothar Baier und Christian Schultz-Gerstein zu einer „Generation von Kritikern“, die sich „seit den siebziger Jahren radikal, scharfsinnig und originell mit dem ideologischen, politischen und kulturellen Zeitgeist auseinandersetzten, ohne einer institutionalisierten Opposition oder Gruppe anzugehören“.

Dass Bittermann einen kritischen Intellektuellen wie Lothar Baier, der schon auf den „arroganten Gestus“ revolutionärer Studenten des Jahres 1968 mit ihren fanatisch-manischen Diskussionen mit Idiosynkrasie reagierte, für seinen Zirkel reklamiert, gehört zu dessen geschichtsklitternder „Operation Rewrite“. Nicht zufällig verabschiedete sich Baier nach nur einem Buch aus dem Milieu von Bittermanns „Wild Bunch“, da in diesem Hole-in-the-Wall-Zirkel primär das von Pohrt in einem Verriss des „in neudeutscher Klebrigkeit“ verschwindenden Kursbuchs postulierte Credo von Aggressivität und Militanz als Inbegriff des linken Charakters dominierte. Das Exemplar des „Linksintellektuellen“ in der Tiamat-Variante war im destruktiven Autismus autoritärer Charaktere verortet, die Adorno – anknüpfend an die legendäre Studie The Authoritarian Personality (1950) – 1960 in seinem Vortrag Die autoritäre Persönlichkeit als selbstbezogene Verabsolutierung beschrieb. Selbst in der vorgeblichen antiautoritären Revolte weste Autorität in den Antiautoritären fort, diagnostizierte Adorno kurz vor seinem frühen Tod in den Marginalien über Theorie und Praxis.

In seinem lobhudelnden Rückblick auf die vierzigjährige Geschichte seines Verlages unterschlägt der Verleger so manche despektierliche Volte seiner Autoren, die nicht in all den Jahren ihres Lebens wie weiße Ritter dem Tugendpfad gefolgt waren. So weist Gerhard Hanloser in seiner jüngst erschienenen Studie Die andere Querfront (2019) auf das antizionistische Vorleben Eike Geisels hin, das nicht in das heute gepflegte Image des „streitbaren Publizisten“ passe. Die „Beschweigung“ von Geisels antizionistischen Invektiven durch den Herausgeber Bittermann belegen für Hanloser die „Lückenhaftigkeit antideutsch beeinflusster Geschichtsschreibung“.

Ohnehin nimmt es Bittermann mit historischer Tiefenschärfe nicht so genau. In erster Linie inszeniert er sich als „Klaus Bittermann, dem Dadaismus, Surrealismus, Situationismus und Anarchismus mehr bedeutet haben als das Wohl des Volkes“, als Unruhestifter und Aufrührer, der in seinen Texten aber immer wieder die gleichen Worthülsen aufbereitet. So ist der Bielefelder Revoluzzer Wiglaf Droste der „Hunter S. Thompson Deutschlands“; H. L. Mencken ist im Bittermann-Jargon „der Henryk M. Broder der damaligen Zeit“; in einer Rezension von Mordecai Richlers Roman Barney’s Version (1997) rühmt er den „genialen H. L. Mencken“. Ohnehin dispensiert er den literarischen Hintergrund der Autoren, die er als „Unruhestifter und Abweichler“ preist: Über Richlers Protagonisten Barney Panofsky schreibt er: „Barney Panofsky kann man nicht lieben, aber er verlangt einem Bewunderung ab. Ich glaube nicht, dass einem Autor das jemals so gut gelungen ist wie Mordecai Richler.“ Mit solchen Plattitüden banalisiert er sowohl die postmoderne Erzählsituation des Romans (in der die Autobiografie des an Alzheimer erkrankten Barney von seinem Herausgeber, dem Sohn Michael, besserwisserisch korrigiert wird) als auch die neokonservative Wende, die Richler im Laufe der 1980er Jahre vollzog.

Eine ähnliche Ignoranz trägt Bittermann auch in Texten zu John Fante und Jörg Fauser zur Schau. Über John Fantes Entwicklung weiß er nicht viel zu berichten; vor allem ist ihm aus den Waschzetteln des Verlags der Hinweis im Kopf geblieben, dass ihn Charles Bukowski als seinen Gott bezeichnete, und so reduziert Bittermann das Werk Fantes auf diesen kläglichen Publicity-Satz: Man „muss Bukowski auf Knien danken, dass er die Leute mit der Nase darauf gestoßen hat.“ Ähnlich verfährt Bittermann bei der Lobhudelei Jörg Fausers, den er als „Partisan am Rand der Literatur“ feiert und dessen Werk bei Diogenes die dritte Wiederauferstehung widerfährt. Eine kritische Bestandsaufnahme von Fausers Indienstnahme der Pulp Fiction im Stile der „Black Mask“-Schule findet bei Bittermann nicht statt. Mit Recht verwies Mike Davis auf den nativistischen, wenn nicht faschistischen Untergrund von „Black Mask“-Autoren wie Raymond Chandler, dessen Protagonist Philip Marlowe von einer Aversion gegen Schwarze, Asiaten, Schwule und Frauen gekennzeichnet ist.

Am Ende desavouiert sich Bittermann selbst mit einem aus der „Brutalität des Rustikalen“ (wie Adorno es nannte) geborenem Ressentiment der Halbbildung, in dem Wahrnehmung zur Wahnbildung verschwimmt. „[Günter] Grass ist der lebende Beweis“, weiß Bittermann zu berichten, „dass öde Literatur in Deutschland und weltweit durchaus eine Chance hat.“ Der Experte für „öde Literatur“ ist Bittermann, der in der „Sprache des Angebers“ sich als der „literarische Fachmann“ gebärdet, aber nie über den „Sumpf der kleinen Rackets“ hinausgekommen ist. 

Titelbild

Klaus Bittermann: Einige meiner besten Freunde und Feinde.
edition TIAMAT, Berlin 2019.
384 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783893202492

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