Sigrid Nunez – Der Freund

Als ihr bester Freund stirbt, erbt die Protagonistin eine riesige Dogge. Sigrid Nunez‘ „Der Freund“ verhandelt aber mehr als nur eine ungewöhnliche Freundschaft; der Roman dreht sich auch um Trauerarbeit und die Bedeutung von Literatur.


„At a conference once, you startled the packed audience by saying, Where do all you people get the idea that being a writer is a wonderful thing? Not a profession but a vocation of unhappiness, Simenon said writing was. George Simenon, who wrote hundreds of novels … who, at the time of his retirement, was the bestselling author in the world. Now, that’s a lot of unhappiness.”

Neu ist die Story nicht: Wahlweise ein Kind oder Hund tritt zufällig in das Leben eines einsamen Menschen (zumeist ein Mann) und zwingt ihn dazu, sich auf den neuen Gefährten einzulassen und somit das Leben umzukrempeln. Ob als Comedy oder Drama, vor allem im Film – man denke etwa an Hugh Grant oder Jean-Paul Belmondo – wird diese Konstellation immer wieder aufgewärmt. Was also macht „Der Freund“, der siebte Roman der US-amerikanischen Autorin Sigrid Nunez, trotz vergleichbarer Ausgangslage so außergewöhnlich?

Zwei Einsame

Ihr bester Freund, mit dem sie seit Jahrzehnten ein ganz besonderes Verhältnis pflegte, nimmt sich überraschend das Leben. Zeit, um ausgiebig um ihn zu trauern, bleibt der Ich-Erzählerin aber nicht. Noch bevor sie einen Weg findet, mit seinem Tod umzugehen, meldet sich Ehefrau Drei bei ihr: Der Verstorbene hinterlässt eine 80 Kilogramm schwere arthritische Dogge. Mit der Begründung, sie sei ein Katzenmensch, wehrt die Protagonistin dieses unfreiwillige Erbe ab, außerdem ist in ihrer 45 Quadratmeter großen Wohnung kein Platz für einen Hund, der Mietvertrag verböte es obendrein. „Einem Hund kann man den Tod nicht erklären“, entgegnet Ehefrau Drei. „Er versteht nicht, dass Daddy nie mehr nach Hause kommen wird.“ Den Gedanken an den trauernden Hund erträgt die Erzählerin nicht, denn „Liebe verdient etwas Besseres als das“, als Hundepension, Tierheim, als von niemandem gewollt zu werden. Und so landet die Harlekindogge Apollo doch bei ihr. Apollo, stellt sich heraus, leidet unter dem Tod seines Herrchens fast mehr als die Protagonistin. Tiere könnten vielleicht keinen Suizid begehen, aber, „[i]hre Herzen können brechen, und sie tun es“. Sehr langsam nur erwacht die Dogge aus ihrer Apathie, sehr langsam nähern sich Hund und Frau an und trösten sich durch die bloße Anwesenheit des anderen. „Was sind wir, Apollo und ich, wenn nicht zwei Einsame, die einander schützen?“

Sigrid Nunez‘ „Der Freund“, auf Deutsch übertragen von Anette Grube, erzählt aber nicht nur von dieser ungleichen Freundschaft, viel mehr noch ist dies ein Roman über Schriftsteller:innen und das Schreiben. Wie ihr toter Freund ist auch die namenlose Erzählerin Autorin, und lässt viele Reflexionen über die Bedeutung von Literatur (und deren Wandel im Laufe der Zeit) einfließen, zitiert Rilke, Flannery O’Conner, George Simenon, Virginia Woolf und Sebald, verweist aber auch auf Lady Gaga und Ted Bundy. Dies geschieht oft in assoziativen, kurzen Absätzen, dann wieder liest sich der Roman so intim und nah wie ein Tagebuch. Nunez‘ Figur beleuchtet auch die Kulturgeschichte von Mensch und Hund und erwähnt neben fiktionalen Verarbeitungen dieser Beziehung wahre Geschichten von Hunden, die ihren Besitzer:innen über deren Tod hinaus treu blieben – wie Hund Hachikō, der zehn Jahre lang täglich an einem Tokioer Bahnhof wartete, an dem er zuvor Tag für Tag sein Herrchen abgeholt hatte.

Schreiben als Beerdigung

Fast der gesamte Roman ist adressiert an den verstorbenen Freund (der wie Apollo titelgebend sein könnte), dessen Tod die Ich-Erzählerin, auch wenn sie sich laufend damit auseinandersetzt, nur schwer akzeptieren kann. „Du warst nicht mehr da, aber nicht tot“, so empfindet sie zumindest. „Eher so, als ob du verschwunden wärst.“ Am Ende bleibt die Angst, durch dieses Buch, diesen langen Brief, dazu beizutragen, den Freund so, wie er wirklich war, zu vergessen und damit doch dem Tod zu überlassen. Ein Paradoxon? Möglicherweise, aber sie ist sicher, dass „Schreiben und Fotografieren mehr von der Vergangenheit [zerstören], als sie bewahren“. Und deswegen könne geschehen: „Indem man über jemanden schreibt, den man verloren hat – oder auch nur viel über ihn spricht –, beerdigt man ihn endgültig.“

Die Grenzen zwischen Roman, Essay und Memoire in „Der Freund“ sind fließend. Es ist leicht, Überschneidungen zwischen Nunez und ihrer Protagonistin zu finden, die wie sie Autorin und Dozentin für Creative Writing ist und in der Nähe des Manhattaner Union Square lebt. Im Roman selbst wird diese Lesart auch thematisiert. „Ich gehe nie automatisch davon aus“, erklärt die Erzählerin einem ihrer Studenten, „dass ein Werk autobiographisch ist“. Woraufhin dieser verblüfft entgegnet: „Über wen soll ich denn sonst schreiben?“

Mit diesem Roman gelang Sigrid Nunez, Jahrgang 1951, der späte Durchbruch. Nunez, die bereits sieben Bücher verfasst hatte, darunter ein Memoire über Susan Sontag, mit deren Sohn David Rieff sie zusammen war, blieb der ganz große Erfolg bisher verwehrt. „Der Freund“ nun katapultierte sie auf die New York Times-Bestsellerliste, zudem bekam sie 2018 den National Book Award verliehen. Welch Glück, dass diese Autorin endlich „entdeckt“ wurde. „Der Freund“ gelingt der erstaunliche Drahtseilakt, von einer trauernden Frau, einem trauernden Hund und der wachsenden Freundschaft zwischen den beiden zu erzählen, ohne auch nur ein einziges Mal in Sentimentalitäten abzurutschen. Die vielen literarischen, historischen und popkulturellen Bezüge, die Nunez herstellt, die Zitate über Literatur, Trauer, Tod und die Beziehung von Mensch und Hund, bereichern diesen warmen, mitunter humorvollen Roman auf vielen Ebenen, ohne jemals überladen oder überheblich zu wirken. Und genau das ist es auch, was „Der Freund“ von anderen Büchern und Filmen mit ähnlicher Handlung so unterscheidet.

Dieses Rezension wurde bereits in der taz veröffentlicht.

Sigrid Nunez – Der Freund
Aus dem Amerikanischen von Anette Grube
Aufbau, Berlin
Januar 2020, 235 Seiten


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