Geliebter Freund (Auszug)
„Zum Schluß meinst du, ich soll dir Antwort schreiben,
Natürlich nur in dein Geschäft,
Denn deine junge Frau, sie könnte drunter leiden,
Und wenn sie meinen Brief erwischt,
Dann ging’s Dir schlecht.
Geliebter Freund, ich hab‘ dir nichts zu sagen;
Denn du bist fremd und fern und alles ist vorbei.
Ich hab‘ dich sehr geliebt… Es ist vorüber,
Ich sprech‘ nicht gern davon… Kurz:
Schwamm darüber!“
Es ist so eine typische Stimme der 1920er und 30er Jahre, die aus diesen Gedichten zu uns spricht: Ein bisschen schnodderig, ein bisschen frech, ein wenig melancholisch, ein wenig bitter-süß. Man meint, den Sound der Weimarer Republik im Ohr zu haben, wenn man Lili Grün liest. Und nicht zu Unrecht wird sie als Vertreterin der Neuen Sachlichkeit mit Irmgard Keun, Erich Kästner und Kurt Tucholsky verglichen. Nur: Wo Keun, Kästner und der Teobald Tiger heute noch ein Begriff sind, geriet Lili Grün in Vergessenheit. Wieder einmal in dieser Reihe über jüdische Lyrikerinnen die Geschichte einer mehrfachen Vernichtung – Lili Grün wurde von den Nazis deportiert und am Tag ihrer Ankunft im weißrussischen Lager Maly Trostinec ermordet. Und: „Vermutlich wurde Lili Grüns letzte Habe jedoch spätestens mit ihrer Deportation aus Wien 1942 vernichtet“, bedauert Anke Heimberg, die jetzt die Werke von Lili Grün, soweit noch erhalten, wieder herausgibt. Ihr und dem AvivA Verlag in Berlin ist es zu verdanken, dass die Schriftstellerin zumindest wieder über ihre Bücher in ihrer ganzen Lebenskraft erwacht. Mein Dank gilt an dieser Stelle zudem der Bücherliebhaberin Vera vom Blog glasperlenspiel13, die mich auf Lili Grün aufmerksam gemacht hat.
Neben zwei Romanen – „Alles ist Jazz“ (Link zur hervorragenden Buchbesprechung beim Blog aus.gelesen) und „Zum Theater!“ – sind nun in dem Band „Mädchenhimmel!“ die Gedichte und Kurzgeschichten Lili Grüns zusammengetragen worden. Es entsteht ein Bild vor meinen Augen von einer jungen, temperamentvollen Frau, die die Fesseln überkommener alter Ver- und Gebote abstreifen will, die den „Notschrei einer allzu Braven“ ausstößt:
„Ach, ich geh‘ mir selber auf die Nerven,
Weil ich gar so artig bin,
Und voll untentwegter Pflichterfüllung
Steck‘ ich stets in meiner Arbeit drin.“
und deshalb aufbricht zu neuen Ufern am „Mädchenhimmel!“ und hinterher eine freches Lied singen darf:
Elegie bei einer Tasse Mokka (Auszug)
“Mein letzter Freund war ein Jurist.
Ich bin seit dieser Zeit gegen Juristen.
Juristen sind alle falsch, herzlos und bös,
Ich kann dieses Wort gar nicht hören, es macht mich nervös.
Darum wünsch‘ ich mir zum nächsten Verehrer
Beispielsweise einen Volksschullehrer.“
All den blonden und zarten Stenotypistinnen, Verkäuferinnen und Bürofräuleins, die Lili Grün in ihren Gedichten verewigt und von deren Rendezvous nach Ladenschluss erzählt, haben eines gemeinsam: Sie schwanken zwischen Lebenslust und Liebesleid, träumen vom Geldbriefträger, der die Millionen bringt, und feinen Kleidern mit Dekolleté, gehen flüchtige Affären ein und sind doch vor allem auf der Suche nach der großen Liebe – auch wenn sie die „Uralte Liebesmelodie“ singen, wohl wissend, dass alles seine Zeit und sein Ende hat.
„Ein Fräulein erwacht in einer fremden Wohnung“, die Liebe, sie ist manchmal ein „Kurzer Zwischenfall“, das Leben auch einmal ein „Langweiliger Tag“. Schon die Gedichttitel bringen das Zeitgefühl der 1920er zum Ausdruck: Eine Lebensgier und eine skeptische Sehnsucht, als ahnte man zugleich, dass die Zeiten nicht besser werden.
Lili, eigentlich Elisabeth, wurde 1904 als Jüngste der vier Kinder von Hermann und Regine Grün in Wien geboren. Ihr Mutter verlor sie früh, bereits 1915 – ein Verlust, der sie prägte, zumal wenige Jahre später, 1922, auch der Vater starb – er hatte sich an der Front ein chronisches Nierenleiden zugezogen. Das Theater wurde ihr Flucht- und Bezugspunkt, sie strebt eine Karriere als Schauspielerin an, es zieht sie – auch bedingt durch die Arbeitslosigkeit in Wien – nach Berlin. Anke Heimberg schreibt im Nachwort zu „Mädchenhimmel!“:
„Doch in der glitzernden Kulturmetropole Berlin wuchs mit der wirtschaftlichen Depression und den damit einhergehenden Spaßmaßnahmen beim Film und beim Theater die Zahl der ein Engagement suchenden KünstlerInnen ebenfalls kontinuierlich. (…). Wiederholt berichteten Berliner Zeitungen über die zunehmende Verelendung unter den SchauspielerInnen, deren Situation durch mangelhafte Ernährung, armselige Kleidung, äußerst bescheidene Wohnverhältnisse und chronische Erkrankungen, wie die weit verbreitete Armenkrankheit Tuberkulose, gekennzeichnet war.“
Dass in den goldenen Zwanzigern für die meisten wenig Gold auf der Straße lag, auch das blitzt bei aller Leichtigkeit in und zwischen den Zeilen immer wieder durch:
Einzelhaftpsychose (Auszug)
„Ich weiß nicht mehr, wie meine Stimme klingt,
Ich glaub‘, ich habe seit Tagen nicht gesprochen.
Ob man sich etwas aus der Zeitung liest?
»In Neukölln hat einer seine Frau erstochen – – «
Ach nein, es ist schon besser, wenn man etwas singt.“
Statt großer Bühne findet Lili Grün jedoch Kontakt zum Kabarett, dort zum Brücke-Kollektiv um Julian Arendt, zu dem auch Erwin Straus, Margarethe Voß, Ernst Busch, Hanns Eisler und Erik Ode (Der Kommissar) gehörten. Lili Grün trägt eigene Gedichte vor – und findet auch Anklang bei den Presseleuten. Im Film-Kurier: »Lilly grün trägt Erotik, sehr persönlich und sehr belustigend«, in der Vossischen Zeitung lobt man ihre »witzig-sentimentalen Gedichte«. Lili Grün, die damit beginnen kann, ihre Gedichte und Geschichten in renommierten Zeitungen zu veröffentlichen, leidet jedoch an Tuberkulose. Ihrer Gesundheit wegen kehrt sie 1933 nach Wien zurück – sowohl für sie ein persönliches, als auch ein politisches Schicksalsjahr. Denn sie kann zwar ihren ersten Roman veröffentlichen, doch mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Berlin ist der Weg für die Autorin – Jüdin, linksorientiert, in Handeln und Denken so gar nicht dem Bild vom deutschen Mädel entsprechend – schon vorgezeichnet. Verarmt und chronisch lungenkrank gelingt es ihr nicht, aus Österreich zu fliehen. 1942 wird sie mit dem Transport Nr. 23 aus Wien deportiert.
Eine weitere Stimme zum Schweigen gebracht, ein Leben gekappt, Sehnsüchte, die unerfüllt zurückbleiben:
Ich möchte wieder achtzehn Jahre sein…(Auszug)
„Ich möchte wiederum ein Tagebuch,
In das ich täglich niederschreibe,
Was leider nicht geschehen ist,
Und das ich in der stillen Hoffnung führe,
Daß es vielleicht doch einmal einer liest.“
Ein Tagebuch oder andere biographische Zeugnisse konnte Lili Grün, wie ihre Herausgeberin schreibt, wohl nicht mehr hinterlassen, sind nicht mehr aufzufinden. Aber zumindest können ihre Bücher nun wieder gelesen werden.
Lili Grün: Mädchenhimmel! AvivA Verlag 2014, 192 Seiten, 18,00 €. Bei ocelot.de könnt ihr das Buch jetzt sofort und portofrei bestellen.
Herzlichen Dank an Birgit für diesen Gastbeitrag! Die Rezension ist zuerst auf dem Blog Sätze&Schätze erschienen.
Bisherige Rezensionen zur Hotlist 2014:
» Sarah Schmidt: Eine Tonne für Frau Scholz (Verbrecher Verlag)
» Emrah Serbes: junge verlierer (binooki)
Herzlich gerne – verbunden mit der Hoffnung, dass Lili Grün dem Vergessen wieder entrissen wird…
LikenGefällt 1 Person
Mich interessieren dieses Thema, diese Zeit, diese Frauen sehr. Lili Grün ist für mich ein neuer Name. Und Neues in der Vergangenheit zu finden hat für mich den besonderen Reiz mit diesen Autorinnen und Autoren plötzlich über eine Lesebrücke verbunden sein, die sich selbst über grausamste Zeiten hinweg spannt. Danke!
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