Der Unionsverlag Zürich feiert in diesem Jahr sein 40jähriges Jubiläum. Tschingis Aitmatow, Leonardo Padura, Jean-Claude Izzo, Celil Oker, Assia Djebar … die Zahl der Autoren ist groß. Und die Auswahl der Länder, in die man sich gedanklich träumen kann, scheint endlos. Es lohnt sich unbedingt, mal auf die Website des Verlages zu gehen und gemeinsam mit Lesern durch die Welt zu reisen und zu stöbern in: Lieblingsbücher aus 40 Jahren. Da ist kein Kontinent, der fehlt.

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Meine Wahl aus der Fülle der Namen ist auf die algerische Autorin Assia Djebar (30.06.1936-06.02.2015) gefallen. Sie ist eine der ganz großen Dichterinnen des Maghreb. In dem Roman Das verlorene Wort beschreibt sie die Zerrissenheit ihrer Heimat Algerien auf ganz besondere Weise. Sie verwebt die politischen und religiösen Auseinandersetzungen ihres Heimatlandes mit einer Liebesgeschichte zu einem feinen Teppich. Ich als Leser kann auf diese Weise die harten Fakten „aushalten“. Gleichzeitig schafft Djebar unvergessliche Bilder. Wenn sie beschreibt, wie Nadijas Augen lachen zwischen Berkanes Händen und er den Saum ihrer Lippen mit dem Finger nachfährt. Wenn Djebar dieses Dich kennen bis zur Ermüdung beschreibt.
Berkane, in Algerien geboren, hat 20 Jahre im Exil in Frankreich verbracht und kehrt nun voller Sehnsucht in sein geliebtes Heimatdorf zurück. Er ist etwa 50 Jahre alt und möchte von diesem Tag an in seinem Haus am Meer leben und einen Roman schreiben. Es geht in Das vergessene Wort oft um das Schreiben und die Liebe (S. 154):
Schreiben ist ein Zwang: Wenn das geliebte Wesen fehlt und du es nicht vergessen kannst, beginnst du zu schreiben, um so die Verbindung aufzunehmen! Ich schreibe, von Nadija heimgesucht, und hoffe, dass sie meine Stimme erkennt, wenn sie dies eines Tages liest, und sei es am Ende der Welt! Es ist zwar unwahrscheinlich, aber nicht ganz ausgeschlossen.
Doch die Erinnerung an die Vergangenheit lässt ihn nicht los, ergreift ihn machtvoll und reißt Berkane mit sich. Tragische Bilder von Krieg und Folter in den 50er und 60er Jahren erwachen vor seinem inneren Auge. Doch auch wunderschön und sehr poetisch beschriebene Momente aus Berkanes Kindheit tauchen auf, so wie die Erinnerung an die Frauen aus seinem Ort: Da gab es Passantinnen im weißen Schleier aus Seide oder Satin, die dich mit kholgeschwärzten Augen offen anblickten, über den Gesichtsschleier hinweg, der steif auf ihrem Nasenrücken saß (S. 58).
Dies sind dann die Momente im Roman, wo ich das Buch zuschlagen, meinen Koffer schnappen und losreisen möchte. Nach Nordafrika. Ich will thé à la menthe – süßen Minzetee – trinken, dem Ruf des Muezzins aus einer nahen Moschee lauschen, frisch gebackenes Fladenbrot knabbern. Ich will dem leisen Rauschen des Meeres lauschen. Und genau das will auch Berkane, doch gelingt es ihm nicht. Wie tragisch er mit seiner Vergangenheit verknüpft ist, das erfährt man am Ende des Romans, wenn sein Wagen an einem Unfallort ohne ihn aufgefunden wird –
Nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich experimentiert die Autorin. Bilder der arabischen Sprache werden vermischt mit algerischen Dialekten und Worten, die es wiederum nur auf Französisch gibt. Wie beispielsweise der Begriff Laizismus – ein Wort, das im Arabischen in den 60er Jahren unbekannt ist. Mit diesem Roman ist mir Assia Djebar so richtig ans Herz gewachsen. Die Melancholie ihrer Sprache, ihre Liebe zur Kasba – der Altstadt Algiers – und auch die Beschreibung der Gefühle von Zerrissenheit in der Fremde hallen noch lange in mir nach.
Assia Djebar. Das verlorene Wort. Aus dem Französischen von Beate Thill. Unionsverlag Zürich 2003. 249 Seiten. 9,90 €
Wie schön, von Assia Djebar hier zu lesen…ich habe einige ihrer Bücher verschlungen, das jetzt vorgestellte kenne ich noch nicht, wird aber nachgeholt. Ich mag ihren Stil auch sehr. Und ich fände es toll, wenn sie endlich von der Anwärter-Liste auf den Nobelpreis zur Trägerin avancieren würde: Eine Frau, die aus dem Arabischen stammt, die nicht nur schreiben kann, sondern auch eine noble Haltung einnimmt – das wäre mal ein Signal.
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Ja, sie gehört wirklich in die erste Liga der arabischen AutorInnen. Sie kennt eben beide Seiten, auch die europäische, und hat damit einen ganz anderen Blick. Will man die arabische Welt verstehen, kann man mit einem Roman von Assia Djebar gar nichts falsch machen. Es ist wirklich traurig, dass sie im Februar verstorben ist. Ich denke, damit ist auch die Chance auf den Nobelpreis vergeben.
Schöne Grüße, masuko
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Oh, die Nachricht von ihrem Tod – ich glaube, ich habe es gelesen, aber es ist mir wieder entfallen. Wie traurig…
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Ja, sehr traurig. Doch hat sie uns viele gute Bücher hinterlassen und einiges bewirkt mit ihrem Schreiben.
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